# taz.de -- Julian Schnabel über den Film "Mirwa: "Es ist ihre Wahrheit, nicht… | |
> Julian Schnabel hat die Geschichte seiner Lebensgefährtin verfilmt, der | |
> Palästinenserin Rula Jebreal. "Miral" nutzt die Mittel des | |
> Mainstreamkinos, um sich starkzumachen. | |
Bild: Julian Schnabel (r.) and screenwriter Rula Jebrea. | |
taz: Herr Schnabel, wie würden Sie den Konflikt im Nahen Osten einem | |
Marsmännchen erklären? | |
Julian Schnabel: Da gäbe es natürlich sehr unterschiedliche Versionen. Eine | |
würde vielleicht wie "Romeo und Julia" klingen. Zwei Völker, die zusammen | |
in Frieden und Respekt leben wollen, es aber nicht können, weil ihre | |
Tradition, ihr Glaube, ihre Geschichte, ihre Familien es nicht zulassen. | |
Diese Version ist vielen bestimmt viel zu einfach. Was aber an ihr stimmt, | |
ist der Umstand, dass nicht nur die Israelis und die Palästinenser an dem | |
Konflikt schuld sind, sondern komplizierte äußere Umstände. Egal, welche | |
Fassung man wählt, kein Experte der Welt könnte eine Antwort in | |
mundgerechten Häppchen für einen Ahnungslosen aufbereiten. | |
Ist "Miral" nicht selbst so ein Versuch, mit massenwirksamen, emotionalen | |
Mitteln eine so komplexe Angelegenheit wie die Geschichte der Israelis und | |
Palästinenser in einer sehr vereinfachten Erzählung unterzubringen? | |
Bei "Miral" ging es mir vor allem um eines: der autobiografischen Stimme | |
aus Rulas (Rula Jebreal, Journalistin und Schnabels Lebensgefährtin, bg) | |
Buch Bilder zu geben, ihr im Film möglichst detailgenau und präzise zu | |
folgen. Es ist ihre Wahrheit, nicht meine oder unsere. Und mit dieser | |
Wahrheit wollte ich so akkurat und behutsam wie möglich umgehen. Das | |
Verallgemeinern und Vereinfachen, um eine Geschichte zu erzählen, ist eine | |
Sache. Die Freundlichkeit, die Geduld der Leute in Palästina, die mich in | |
ihr Haus und in ihr Leben gelassen haben, ist eine andere. Eine, auf die | |
ich gar nicht vorbereitet war, die mich zutiefst bewegt hat, die die Arbeit | |
an "Miral" erst möglich gemacht und emotional sicher gefärbt hat. | |
Ist Ihre Verfilmung in erster Linie ein Geschenk an Ihre Freundin Rula | |
Jebreal, die Verfasserin des Buches, oder wollten Sie Ihr Publikum vor | |
allem über Palästina aufklären? | |
Ich wollte tatsächlich genau dies. Aufklären, Vorurteile und auch Ängste | |
abbauen, zeigen, wie die Menschen dort leben. In "Miral" gibt es den Vater, | |
der in die Moschee geht und trotzdem ein frei denkender Mann ist. Er ist | |
ein friedliebender Mensch und alles andere als ein Fanatiker. Er gibt seine | |
Tochter ins Dar-Al-Tifl-Institut, das 1948 von der Philanthropin Hind | |
Husseini für palästinensische Waisenkinder in Ostjerusalem gegründet wurde. | |
Miral soll eine weltliche und umfassende Bildung bekommt. Er versteckt | |
seine Tochter nicht unter einem Schleier und zwingt ihr nicht das Leben | |
einer devoten Muslimin auf. Dann gibt es den PLO-Kämpfer, der sich in der | |
Zeit der Intifada in das wunderschöne Mädchen verliebt und sich in dem | |
Moment für sein eigenes Leben und gegen die Ideologie entscheidet. Seine | |
eigenen Leute lassen diesen Individualismus nicht zu und bringen ihn um. In | |
all diesen Figuren werden verschiedenste Optionen und Facetten dessen | |
sichtbar, was alles zur Realität in Palästina gehört. | |
Die israelische Seite taucht entweder als gigantische Baggerschaufel auf, | |
als unbelehrbare, wütende Siedlergruppe, als kaltherzige Militärs oder als | |
Polizeistreife. So viele Facetten gibt es auf dieser Seite nicht. | |
Ich folge den Erinnerung eines palästinensischen Mädchens. Doch bei aller | |
Werktreue gab es allerdings eine Entscheidung, die ich treffen musste. Ich | |
musste mir die Frage stellen, bleibe ich ganz bei der Heldin Miral oder | |
zeige ich den Kontext, also das, was ihr Leben und ihre Entscheidungen | |
beeinflusst hat. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Deswegen kommt | |
all das vor von der Gründung Israels 1948 über den Sechstagekrieg 1967 bis | |
hin zum Osloer Abkommen von 1993. | |
Aber all die historische Zäsuren werden stets aus dem Blickwinkel | |
machtloser palästinensischer Frauen erlebt … | |
… aus Rulas Blickwinkel! Sie ist nun mal die Heldin. Ich wollte von ihrem | |
Schmerz und ihrer Traurigkeit erzählen. Das war der Anfang von allem, und | |
ich wusste von Beginn an, dass das nicht einfach werden würde bei so einem | |
schwierigen, emotionsbeladenen Thema. Aber dahin wollte ich das Publikum | |
mitnehmen. | |
Und Sie wollten offenbar ein sehr großes Publikum dorthin mitnehmen und | |
deswegen haben Sie sich von der Ästhetik bis zur Erzählweise für ein | |
absolutes Mainstreamkino entschieden? | |
Ganz genau, ich wollte dieses Mal wirklich viele, viele Menschen in der | |
Welt erreichen. Deswegen ist auch die Filmsprache Englisch. | |
Haben Sie sich aus demselben Grund auch für die Besetzung von Freida Pinto | |
als Miral entschieden und damit für einen Hauch von Bollywood? | |
Nein, wenn Sie erst Rula sehen und dann Freida, dann wissen Sie einfach, | |
dass es keine andere Besetzung geben kann. Sie sind wie Schwestern. Wissen | |
Sie, was seltsam ist? Als ich Rula das erste Mal sah, hielt ich sie | |
interessanterweise für eine Inderin. | |
Haben Sie sich nie erzählerisch oder künstlerisch eingeschränkt gefühlt bei | |
der Verfilmung des Buches Ihrer Freundin? | |
Nein, nie. Im Gegenteil, Rula hat vor Ort alles möglich gemacht. Sie war | |
oft erste Regieassistenz und Übersetzerin in einem. Sie spricht nicht nur | |
Englisch, Italienisch und Französisch, sondern auch Hebräisch und Arabisch. | |
Sie hat die Leute angeleitet. Sie hat die Drehorte möglich gemacht. Ohne | |
sie hätten wir keinen Fuß in die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem bekommen. | |
Rula ist vielen Menschen dort sehr verbunden, ihnen gegenüber hat "Miral" | |
eine große Verantwortung und ist zu einem respektvollen Umgang mit der | |
Geschichte Palästinas verpflichtet. | |
Sie selbst wuchsen in einer jüdischen Familie in Brooklyn auf. Wie wichtig | |
war der jüdische Glaube für Sie? | |
Ich bin nicht religiös. Ich hatte zwar eine Bar-Mizwa, das war es dann auch | |
schon. Aber meine Mutter war sehr engagiert in der jüdischen Gemeinde. Sie | |
sammelte Gelder für Krankenhäuser und Kinderheime und Pflanzungen in | |
Israel. Wenn es in Israel einen Anschlag gab, war das ein Anschlag auf uns. | |
Wenn es dort friedlich zuging, war das auch gut für uns. Jerusalem war | |
nicht auf einem anderen Planeten. | |
Ist "Miral" die Gelegenheit, einmal die Seite zu wechseln? | |
Ich habe einfach gelernt, dass Palästinenser Menschen sind, die wir nicht | |
zu fürchten oder zu bekämpfen brauchen. Die Konflikte zwischen den Völker | |
dort sollten ganz normale Nachbarschaftsstreitigkeiten sein und nicht mehr. | |
Es gibt mehr Vernünftige als Wahnsinnige dort. Man muss die Fanatiker auf | |
beiden Seiten loswerden! | |
Wenn Sie ein Thema intensiv beschäftigt, ab welchem Punkt wissen Sie, okay, | |
das wird ein Bild, oder das wird ein Film? | |
Im Fall von "Miral" kann es, glaube ich, kein Gemälde geben, das so einen | |
Konflikt ausdrücken oder beinhalten könnte. 1987 war ich einmal in der | |
Wüste mit Israelis und Arabern und wollte Beduinenzelte malen. Mit viel | |
Beige und viel Braun und viel Schatten. Es gelang mir aber nichts Rechtes. | |
Später fand ich einen leeren hölzernen Rahmen. Das war bezeichnenderweise | |
das Bild auf meiner Netzhaut, mit dem ich aus dieser Region zurückkehrte. | |
In meinem Gehirn gibt es zwei völlig voneinander getrennte Sektionen. Eine | |
für den Film und eine für die Malerei. | |
Wie koexistieren oder kooperieren die beiden Abteilungen? | |
Die eine will Geschichten erzählen, sich an ein großes Publikum wenden, die | |
andere sucht die Abschirmung im Rätsel. Beim Malen bin ich niemandem | |
verpflichtet, nur meiner eigenen inneren Vorstellung, meinem eigenen | |
Impuls. Beim Filmen muss ich andere überzeugen, muss die Idee den Weg vom | |
Hirn zum Drehbuch und über die Realität am Set ins Filmbild schaffen. Aber | |
es gibt auch Momente, in denen der Maler Schnabel dem Filmregisseur | |
Schnabel den Weg weist. | |
Was passiert dann? | |
Das ist wie ein kleiner Blitz, ein plötzliches Bild. | |
Welches Bild hatten Sie zuerst vor Augen, als Sie mit "Miral" begannen? | |
Komischerweise das vom Beerdigungsauto. Ich dachte, das ist keine schwarze | |
Limousine, das muss ein gelber Volvo sein. Ich weiß auch nicht, warum. Da | |
muss wohl der Zufall seine Finger im Spiel gehabt haben. | |
18 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Birgit Glombitza | |
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