| # taz.de -- Werner Herzog auf DVD: "Razzle dazzle them" | |
| > Werner Herzogs "My Son, My Son, What Have Ye Done" lief im letzten Jahr | |
| > in Venedig. In die deutschen Kinos kam er nicht, jetzt erscheint er zum | |
| > Glück auf DVD. | |
| Bild: Werner Herzog (2. von links), u.a. als Jurypräsident auf der Berlinale 2… | |
| Auf der Kaffeetasse des Mannes, der gerade mit seinem gewaltigen Schwert im | |
| Haus der Nachbarin die eigene Mutter erstochen hat, steht: "Razzle Dazzle". | |
| Der Mann, der Brad McCullum heißt, wird von Michael Shannon gespielt, der | |
| vom Geschehen in Werner Herzogs Film "My Son, My Son, What Have Ye Done" | |
| mindestens ebenso konsterniert scheint wie du und ich, die wir zusehen. | |
| Der Mörder seiner Mutter, die von Grace Zabriskie dargestellt wird (Mutter | |
| Palmer aus "Twin Peaks"), tritt mit seiner Kaffeetasse auf den Ermittler, | |
| Detective Hank Havenhurst (Willem Dafoe) zu und spricht die unsterblichen | |
| Worte: "Razzle them, Dazzle them. Razzle dazzle them." | |
| Dann geht er hinüber ins eigene Haus, nimmt zwei als Haustiere gehaltene | |
| Flamingos als Geiseln und verschanzt sich mit dem Gewehr hinter den | |
| Gardinen und einer obsessiv in Rosa gehaltenen Hauswand sowie dem | |
| Garagentor, durch das hindurch später der Austausch von Pizza und | |
| himmlischen Gesangsbotschaften stattfinden wird. Aufklärung übers | |
| Geschehene tut not. Also karrt der Film Vertraute des Täters heran, die in | |
| Flashbacks erklären, wie kommen konnte, was kam. | |
| Da ist zum einen Brads Freundin Ingrid (Chloe Sevigny), die nicht als Erste | |
| berichtet, dass der junge Mann von einer Reise in den Dschungel von Peru, | |
| bei der seine Reisepartner in reißendem Wasser ertranken, verändert | |
| wiederkam. Werner Herzog hat keine Kosten und Mühen gescheut, dieses | |
| Ereignis in Flashbacks vor Augen zu führen, man wähnt sich kurzzeitig in | |
| "Fitzcarraldo" oder "Aguirre". Es geht aber verlässlich zurück in den | |
| Belagerungszustand im Flamingohaus in den Suburbs von San Diego: die | |
| üblichen Exotismen, diesmal aber, von David Lynchs Firma produziert, in | |
| kalifornisch transformierter Gestalt. | |
| Ebenfalls als Zeuge von Brads merkwürdiger Wandlung herangeschafft wird der | |
| Theaterregisseur Lee Myers (Udo Kier mit US-amerikanischem Namen und | |
| gewaltigem deutschem Akzent), zu dessen Schauspielertruppe Ingrid und Brad | |
| gehörten. Das Unglück will es, dass Brad in einer Inszenierung der | |
| "Orestie" den Orest darstellen soll, den Mann also, der aus Rache an deren | |
| Gattenmord die eigene Mutter, Klytämnestra, tötet und fortan von den | |
| Erinnyen verfolgt wird. Es scheint, als sei bei der Gelegenheit der | |
| Theaterproben der zuvor ausgeprägte Ödipuskomplex des Sohns in einen | |
| Oresteskomplex umgekippt, mit den erwähnten tödlichen Folgen. | |
| Von Flamingos freilich war bei den antiken Autoren mitnichten die Rede. | |
| Auch von Straußen nicht. Die aber tauchen in einer weiteren Erinnerung auf. | |
| Brad besucht Uncle Ted (Herzog-Stammgast Brad Dourif) auf dessen | |
| Straußenfarm und erhält von diesem das später als Mordwaffe benutzte große | |
| Krummschwert. All das sieht man, auch noch tranceartige Aufnahmen aus einer | |
| dann schon nicht mehr kausal eingebundenen Inneren Mongolei. Und all das | |
| erklärt natürlich wenig bis nichts. Eher geht es Werner Herzog in einer | |
| völlig unentzifferbaren Mischung aus wahnsinnigem Ernst und | |
| radikalkomischer Albernheit um eine ekstatische Wirklichkeit, in der alles | |
| seltsam erleuchtet ist. | |
| Nicht zuletzt erkennt Brad auf einer Haferflockendose Gott. Der spricht | |
| auch zu ihm im Lied eines Folksingers. Die Tonspur des Films ist mit Musik | |
| zugedröhnt, die das Geschehen im grellen Licht Kaliforniens gezielt | |
| pathetisiert. Auch steht das Bild bei mehr als einer Gelegenheit mehrere | |
| Sekunden lang still - als warteten die Darsteller darauf, dass ein Fotograf | |
| endlich abdrückt. "My Son My Son, What Have Ye Done" ist die Überführung | |
| eines eher banalen realen Kriminalfalls in einen völlig anderen Zustand. | |
| Mit diesem Film und seiner "Bad Lieutenant"-Version gelang Herzog im | |
| letzten Jahr das singuläre Kunststück, mit zwei Werken im Wettbewerb von | |
| Venedig vertreten zu sein. "Bad Lieutenant" wurde im Frühjahr höchst | |
| lieblos in ein paar deutsche Kinos gebracht. Der mindestens ebenso | |
| fabelhafte Film "My Son My Son" erblickt das Licht deutscher Leinwände erst | |
| gar nicht. Immerhin auf DVD kann sich nun jeder ein Bild davon machen, wie | |
| der späte Werner Herzog das Hollywoodkino razzelt und dazzelt, bis kein | |
| Stein mehr auf dem anderen ist. | |
| ## Werner Herzog: "My Son, My Son, What Have Ye Done". Mit Michael Shannon, | |
| Chloe Sevigny u. a., 91 Min., USA 2009 | |
| 17 Nov 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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