# taz.de -- Mit de Maizière am Frühstückstisch: Der Terror ist da, das Müsl… | |
> Die Behörden gehen von verschiedenen Bedrohungsszenarien für Deutschland | |
> aus. Das ist Panikmache. Und aus statistischen Gründen ziemlich | |
> unangebracht. | |
Bild: Ranga Yogeshwar und sein Frühstück mit den Teilnehmern der Innenministe… | |
Niemand hat mich gewarnt, als ich vor Wochen mein Zimmer buchte, doch bei | |
der Ankunft in Hamburg stöhnt der Taxifahrer: "In Ihrem Hotel tagen die | |
Innenminister!" Unsere Fahrt verläuft chaotisch. Die halbe Hamburger | |
Innenstadt ist gesperrt. Schranken, Blaulicht, Umleitungen, Stau, | |
Kontrolle. Mit Verspätung erreichen wir das Hotel. Entlang der Außenalster | |
vor Hauseingängen und Seitenstraßen patrouillieren Polizisten und | |
Sicherheitsbeamte. Was für ein Aufgebot! | |
An der Hotelrezeption entschuldigt man sich für die Unannehmlichkeiten. | |
Mein Zimmer ist im siebten Stock. Überall, in der Lobby, in den Fluren, im | |
Aufzug stehen Herren im grauen Anzug mit breiten Schultern und wachsamen | |
Augen. Sie tragen ein grünes Badge. Darauf steht "Personenschutz". Sie sind | |
freundlich, wir witzeln. "Ja, Herr Yogeshwar, hier sind Sie sicher." Mein | |
Hamburger Aufenthalt ist eine Verirrung in eine mir fremde Welt. Der Blick | |
aus meinem Zimmer fällt auf die Außenalster. Novemberwetter in Hamburg, | |
kalt, feucht und grau. Die Silhouette der Stadt hat sich in einen feinen | |
Nebelschleier gekleidet. | |
In der unsicheren Welt | |
Im Hotelprospekt heißt es: "Als Gast in unserem Hotel in Hamburg entdecken | |
Sie neue Perspektiven auf unsere schöne Stadt." Von oben betrachte ich die | |
Emsigkeit des massiven Sicherheitsaufgebots: martialisch gekleidete | |
Polizisten in dunkelblauen Overalls, Helme, Funkgeräte, zivile Beamte mit | |
dem obligaten Knopf im Ohr, Pferdestaffeln und Blaulicht auf strotzenden | |
Luxuslimousinen. Warum richtet man eine solche Tagung inmitten einer Stadt | |
aus? | |
Die Minister könnten doch auf einem Schiff tagen, da wäre die Sicherheit | |
doch einfacher zu bewerkstelligen. Doch wer weiß - vielleicht ist der eine | |
oder andere von ihnen seekrank? Ich muss ins Fernsehstudio. Taxi? Nein - in | |
der Nähe des Hotels sind keine Taxen erlaubt. Die Sicherheitsbeamten sind | |
ausgesprochen höflich und entschuldigen sich. Ich verrate ihnen meine Idee | |
von der ausgelagerten Tagung. Sie nicken. Ja, auch für sie erscheint der | |
ganze Aufwand hier übertrieben. Wir verstehen uns. Ich gehe also zu Fuß, um | |
irgendwo dort draußen in der "unsicheren" Welt ein Taxi zu finden. Der | |
Regen hat zugenommen. | |
In der Fernsehsendung reden wir über mein neues Buch "Ach so!": Antworten | |
auf Fragen des Alltags. Warum fällt der Apfel vom Baum? Warum haben Frauen | |
kalte Füße? Als ich heimkehre, zu Fuß, weil die Taxen ja nicht vorfahren | |
dürfen, fragt mich der Polizist: "Wohin wollen Sie?" - "In mein Hotel - tut | |
mir leid, dass auch die Innenminister dort wohnen." Ich muss ihm meine | |
Zimmerkarte zeigen. Dann erkennt mich der junge Beamte: "Sind Sie nicht der | |
aus dem Fernsehen?" | |
Wir reden über die Absurdität von Straßensperren und über den ganzen | |
Aufwand. "Politiker sind doch Staatsdiener", meine ich, "sie sollten uns | |
Bürgern dienen, doch hier scheint sich das wohl umzukehren. Eine Stadt mit | |
Bürgern, Taxifahrern und Politikern dient den Ministern." Er lacht, und | |
sein offener Blick passt gar nicht zu seiner gepanzerten Uniform. Die ganze | |
Nacht wird er draußen ausharren müssen. In der Kälte und im Novemberregen. | |
"Sehen Sie", sagt er, "da habe ich das Abitur absolviert, und nun lande ich | |
hier!" | |
Wir reden offen, wie zwei ganz normale Bürger. Die Funktionen und | |
Dienstgrade haben sich aufgelöst. Er mag meine Sendung und interessiert | |
sich für wissenschaftliche Themen. Und auch in Sachen Terrorhysterie liegen | |
unsere Ansichten nahe beieinander. Wir wünschen uns eine gute Nacht, und | |
ich stelle mir vor, wie schwer es wohl sein muss, wenn man bei dieser | |
Einstellung die ganze Nacht gegen den angeblichen Terror anfrieren muss. In | |
den Spätnachrichten ist die Rede von einem verdächtigen Gepäckstück in | |
Namibia. | |
Eine Bombe im Flugzeug Richtung Deutschland? Zugegeben, ich bin nur | |
Wissenschaftsjournalist, befasse mich mit physikalischen Phänomenen, doch | |
offen gesagt glaube ich nicht an diese Nachricht. Das passt doch alles zu | |
gut. Bei mir im Hotel die Innenminister, und ausgerechnet jetzt wird | |
verkündet, dass Deutschland demnächst zum Ziel eines Terroranschlags wird. | |
Das riecht nach Inszenierung. | |
Ich kann nicht einschlafen, denn mir wird bewusst, dass mein Bett inmitten | |
der Zielscheibe des angeblichen Terrors steht. Wenn schon Attentat, dann | |
doch hier! So viel Polizei ist doch das Warnsignal für drohende Gefahr, das | |
beruhigt nicht - im Gegenteil. Auf der nächtlichen Außenalster | |
patrouilliert ein Boot, und entlang der leeren Straße stehen frierende | |
Polizisten. | |
Ich rufe meine Frau an. Den Kindern geht es gut. Mein Sohn macht dieses | |
Jahr Abitur und war bei der Berufsberatung. "Geh nicht zur Polizei!", denke | |
ich, sonst musst du sinnlos frieren. Während des Telefonats denke ich | |
darüber nach, dass unser Gespräch bestimmt abgehört wird. Bei dem | |
Polizeiaufgebot wird doch bestimmt alles überprüft. Ein Gutenachtkuss ist | |
vermutlich nicht sicherheitsrelevant, aber verdammt wichtig. Nach dem | |
Auflegen fühle ich mich einsam. Ich schalte den Fernseher aus und blicke | |
aus dem Fenster. | |
Eher stirbt man im Auto | |
In der Wissenschaft muss man Phänomene verifizieren, und solange dieses | |
nicht geschieht, fehlt der endgültige Beweis. Jeder von uns kann zum | |
Beispiel das Gesetz der Schwerkraft selbst überprüfen, doch in der Welt des | |
Terrors herrschen anscheinend andere Regeln: Wenn Sicherheitsbehörden | |
angebliche Bomben finden oder von einem erhöhten Risiko sprechen und | |
dieselben Sicherheitsbehörden von uns Bürgern mehr Geld verlangen, dann ist | |
das absurd. | |
Das grenzt an einfache Selbstbedienung. Niemand von uns Bürgern kann | |
kontrollieren, ob das alles stimmt. Und überhaupt mag ich diese Panikmache | |
nicht. Als Naturwissenschaftler habe ich gelernt, Risiken quantitativ zu | |
vergleichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich von einem Auto oder einem | |
Schäferhund getötet werde, ist weit größer, als Opfer eines Terroranschlags | |
in Deutschland zu werden. Nein, ich habe keine Angst, und selbst dann, wenn | |
alle Polizisten Hamburgs um mein Bett stehen, behalte ich meinen klaren | |
Kopf. Das, was hier passiert, ist eine Inszenierung. Ich schlafe ein. | |
Am nächsten Tag lese ich in einem Kinosaal aus meinem Buch. Ich erzähle, | |
warum Äpfel vom Baum fallen und Vorurteile uns beeinflussen. Und davon, | |
dass es nicht hilft, eine Münze am Automaten zu reiben, bevor man sie | |
einwirft. Das Hamburger Publikum ist offen und sehr herzlich. Wir lachen | |
viel an diesem Abend. Dann muss ich wieder zurück in mein gut bewachtes | |
Hotel an der Außenalster. | |
Am nächsten Morgen hat es der Terrorkoffer sogar auf die Titelseiten der | |
Tageszeitungen geschafft. Ich ärgere mich über diese unkritische Haltung | |
meiner Journalistenkollegen. Warum beteiligen sie sich an dieser | |
Sicherheitshysterie? Warum wird nicht hart hinterfragt, statt einfach zu | |
glauben, was uns da verkündigt wird? | |
Der Sicherheitsstaat | |
Ich frühstücke erneut inmitten von BKA-Beamten, Staatssekretären, Fahrern | |
und Personenschützern. Der Kellner weist mir einen Tisch zu. Ausgerechnet | |
direkt neben Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Er sitzt allein im | |
gestreiften Hemd und liest Zeitung. Ich frage ihn, warum man solche | |
Tagungen nicht auf dem Lande abhält. "Das ist eben Sache des gastgebenden | |
Bundeslandes", meint er. Ich mache mich auf zum Buffet. | |
Inzwischen komme ich mir völlig deplatziert vor. Ich zweifle an dieser | |
ganzen Terrormanie, lehne die diversen Formen staatlicher Überwachungen ab, | |
halte nichts von inszenierten Tagungen, die Städte blockieren, und sitze | |
erneut ausgerechnet inmitten der Apologeten eines Sicherheitsstaates. Am | |
Buffet ist das Müsli und der Fruchtsalat alle. Kein Wunder, die sportlichen | |
Personenschützer ernähren sich gesund! | |
Die unmittelbare Sitznähe zu unserem Innenminister ist mir unangenehm. Ich | |
bemühe mich wegzuhören. Ich lese in der Zeitung vom Koffer. Beim | |
Durchleuchten seien Batterien gefunden worden, die über Kabel mit einem | |
Zünder und einer laufenden Uhr verbunden waren. Herr de Maizière liest | |
dieselbe Zeitung, und ich frage mich, ob er das alles schon vorher wusste. | |
Beim Verlassen des Frühstücksraums bemerke ich, wie sich der Blick der | |
Sicherheitsbeamten verändert hat. | |
Die anfängliche Skepsis hat sich aufgelöst. Anscheinend weiß man, dass von | |
mir keine Gefahr ausgeht. Doch bitte - ich gehöre nicht dazu! Bei meiner | |
Abreise merke ich, dass ich eben ein einfacher Bürger bin. Kein Taxi. Ich | |
gehe mit meinem Koffer erneut in die "unsichere Zone" jenseits der | |
Absperrungen und warte zwanzig Minuten, bis ein Taxi anhält. | |
Der Fahrer kommt aus Afghanistan. Er erzählt mir, dass die westlichen | |
Medien ein verzerrtes Bild seiner Heimat zeigten. "Die Briten und | |
Amerikaner arbeiten doch mit den Taliban zusammen", echauffiert er sich. | |
"In Afghanistan gibt es unzählige Bodenschätze und Uran, und das wollen sie | |
sich unter den Nagel reißen. Terror und Anschläge, das ist doch alles | |
Humbug!" | |
Am Flughafen sind die Sicherheitsvorkehrungen wie erwartet verschärft | |
worden. Es gibt viele Schutzwesten und Maschinengewehre. Vor mir steht ein | |
leerer Kinderwagen - vermutlich ein "Sicherheitsproblem". Im Flugzeug | |
serviert man uns einen Snack. Es gibt Müsli - endlich! | |
21 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Ranga Yogeshwar | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Überwachung | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |