# taz.de -- Schulexpertin über neue Pisa-Studie: "Die Lesekompetenz stagniert" | |
> Nächste Woche wird die neue Pisa-Studie veröffentlicht. Vor neun Jahren | |
> waren die Ergebnisse miserabel. Ein Fiasko droht auch jetzt, glaubt die | |
> GEW-Vizevorsitzende Marianne Demmer. | |
Bild: "Kleinere Klassen, in denen sich die Lehrer um die individuellen Bedürfn… | |
taz: Frau Demmer, lesen deutsche Schüler neun Jahre nach dem Pisa-Knall | |
jetzt genauso gut wie die finnischen? | |
Marianne Demmer: Ich befürchte, nein. Die Lesekompetenz der Schüler wird - | |
vermutlich - auf niedrigem Niveau stagnieren, und die Abhängigkeit des | |
Schulerfolgs von der sozialen Herkunft wird sich wahrscheinlich sogar | |
erhöht haben. | |
Sie sind so pessimistisch. Woraus ziehen Sie denn diese Schlüsse? | |
Im letzten Sommer wurde gemessen, inwiefern die Schüler in allen | |
Bundesländern die KMK-Bildungsstandards erreicht haben. Diese Ergebnisse | |
liegen vor, und wenn man sie mit den Pisa-Ergebnissen von 2000 für das 9. | |
Schuljahr vergleicht, kann man sagen: die Lesekompetenz stagniert, nur in | |
Mathe und Naturwissenschaften gibt es leichte Verbesserungen. | |
Aber diese Ländervergleiche der Bildungsstandards sind doch nicht identisch | |
mit den Pisa-Tests? | |
Die verantwortlichen Wissenschaftler vom Institut für Qualitätssicherung in | |
Berlin haben den Anspruch formuliert, dass ihre Untersuchungen mit den | |
Pisa-Tests vergleichbar sind. Die Schulen, die an Pisa teilgenommen haben, | |
haben auch am Ländervergleich teilgenommen. Die Punkteskala wurde von Pisa | |
übernommen, und zum Teil waren es dieselben Aufgaben. | |
Angenommen, ihre Befürchtungen stimmen: Es ist doch seltsam, dass sich | |
nichts verändert haben soll. Es gibt kaum noch Hauptschulen, dafür aber | |
12.000 Ganztagsschulen. Wieso wirkt das nicht? | |
In den Schulen hat sich ja nicht viel verbessert. Es gibt weder kleinere | |
Klassen, in denen sich die Lehrer um die individuellen Bedürfnisse der | |
Schüler kümmern können. Noch gab es beispielsweise zielgerichtete | |
Lehrerfortbildungen zur Leseförderung in Haupt- und Realschulen. | |
Sind die Lehrer überhaupt bereit, ihre Methoden zu ändern und dem geliebten | |
Frontalunterricht abzuschwören? | |
Frontalunterricht ist mit der anstrengendste Unterricht, den es gibt. Aber | |
den haben die meisten Lehrer gelernt. Wenn sie jedoch merken, dass | |
individualisierende Unterrichtsformen ihnen etwas bringen, dann wollen sie | |
die auch praktizieren. Sie müssen aber die Möglichkeit bekommen, | |
umzulernen. | |
Haben die Länder die falschen Schwerpunkte gesetzt, als sie | |
Bildungsstandards für die Schüler entwickelten, statt Fortbildungen für die | |
Lehrer zu organisieren? | |
Die Bildungsstandards sind das Einzige, worauf sich alle Kultusminister | |
einigen konnten. Also wurde ein großes Programm aufgelegt, und es wurde | |
viel Geld und Personal in Tests investiert, die nicht per se dazu führen, | |
dass sich die Schüler verbessern. Die individuelle Förderung von Schülern | |
mit Migrationshintergrund und Schülern mit schlechten Sprachfähigkeiten | |
während der gesamten Schulzeit haben die Kultusminister vernachlässigt. Die | |
Ressourcen wurden an der falschen Stelle eingesetzt. | |
Was machen Sie, wenn sich am 7. Dezember herausstellt, dass Sie doch nicht | |
recht hatten? | |
Zuerst bin ich verwundert, dann suche ich nach Erklärungen, und wenn es | |
sich um echte Verbesserungen und nicht um statistische Tricks handelt, | |
freue ich mich natürlich. | |
1 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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