# taz.de -- Neue Heitmeyer-Studie: Das Bürgertum verroht | |
> Fremdenfeindlichkeit nimmt in der Schicht zu, die sich politisch eher | |
> moderat einordnen würde – auch in der gut situierten Linken. Es herrscht | |
> eine "Ideologie der Ungleichwertigkeit". | |
Bild: Islamfeindlichkeit hat genauso zugenommen wie Antisemitismus und die Fein… | |
Das Bürgertum verroht - und die liebsten Opfer sind schon ausgemacht: die | |
Muslime. Das ist im Kern die neue und alarmierende Auskunft der größten und | |
ältesten repräsentativen Umfrage Deutschlands, der "Deutschen Zustände" von | |
den Bielefelder Soziologen um Wilhelm Heitmeyer. Die neuesten Zahlen der | |
mittlerweile im neunten Jahr aktualisierten Umfrage zeigen, dass sich die | |
Islamfeindlichkeit in Deutschland im Vergleich zum vergangenen Jahr klar | |
erhöht hat. Besonders stark war der Anstieg bei den knapp 20 Prozent | |
Wohlhabenden oder Reichen im Lande. Und die Islamophobie steigt deutlich | |
auch im politisch sich links oder in der Mitte verortenden Milieu. | |
Heitmeyer sprach bei der Vorstellung der Studie am Freitag in Berlin von | |
einer "zunehmend rohen Bürgerlichkeit". Sein Kollege Andreas Zick sah eine | |
"Radikalisierung der Mitte". | |
Nach den Zahlen der Forscherinnen und Forscher zeigt sich eine zunehmende | |
Islamfeindlichkeit insbesondere bei höheren Einkommensgruppen: "Bildung | |
wirkt in diesem Fall der Abwertung nicht entgegen", warnen die | |
Sozialwissenschaftler, "Islamfeindlichkeit ist konsensfähig, auch bei | |
jenen, bei denen es bisher nicht zu erwarten war." Die Umfrage belegt | |
zugleich eine geradezu sprunghafte Zunahme rechtspopulistischer | |
Einstellungen vor allem bei den Bürgerinnen und Bürgern mit höheren | |
Einkommen (ab 2.598 Euro im Monat). Heitmeyer, Zick und ihre Kollegin Beate | |
Küpper erklären: "Rechtspopulistische Einstellungen verbinden sich mit | |
islamfeindlichen Einstellungen und sind aggressiv aufgeladen." | |
Eine im Vergleich zu den Niederlanden, Dänemark, Frankreich und Portugal | |
ausgesprochen hohe Rate an Islamophobie in Deutschland hatten am Donnerstag | |
bereits Religionssoziologen des "Exzellenzclusters ,Religion und Politik'" | |
der Universität Münster nach repräsentativen Umfragen in diesen fünf | |
Ländern festgestellt. Küpper sagte, dass sich dies mit ihren Ergebnissen | |
einer Studie aus dem Jahr 2008 deckt. Die Deutschen scheinen, so die | |
Expertin, im Vergleich zu den westeuropäischen Nachbarvölkern weniger | |
tolerant gegenüber dem Islam zu sein. | |
Insgesamt, so Heitmeyer, greife eine "Ideologie der Ungleichwertigkeit" um | |
sich - und das schon vor der Sarrazin-Debatte. Denn die telefonischen | |
Umfragen wurden, als Grundlage der Bielefelder Studie, unter repräsentativ | |
ausgewählten 2.000 Personen schon im Mai und Juni dieses Jahres geführt, | |
also lange vor der öffentlichen Diskussion über die Integration, die der | |
ehemalige Bundesbanker Sarrazin mit seinem Buch "Deutschland schafft sich | |
ab" angestoßen hatte. "Insbesondere höhere Einkommensgruppen verweigern | |
schwachen Gruppen ihre Unterstützung", so die Experten der "Deutschen | |
Zustände". Diese Entsolidarisierung treffe vor allem die, die als "Fremde" | |
wahrgenommen würden, also "Ausländer" und "Muslime". "Zivilisierte, | |
tolerante, differenzierte Einstellungen in höheren Einkommensgruppen | |
scheinen sich in unzivilisierte, intolerante - verrohte - Einstellungen zu | |
wandeln." | |
Warum aber findet diese Verrohung statt? Die Soziologen sehen diese | |
Erklärung: Im Kern gehe es dabei vor allem bei den wohlhabenden und reichen | |
Bürgern im Lande um die Sicherung oder Steigerung eigener sozialer | |
Privilegien "durch die Abwertung und Desintegration volkswirtschaftlich | |
etikettierter Nutzloser sowie um die kulturelle Abwehr durch Abwertung", | |
heißt es etwas kompliziert. Insofern ist es wohl nur logisch, dass sich die | |
Abwehr durch Abwertung etwa in Islamfeindlichkeit zeigt, werden doch gerade | |
Muslime von vielen als sowohl ökonomisch nutzlos sowie auch als fremd | |
gewertet. | |
Etwas konkreter gesagt, zeigt sich diese Dynamik in drei Zahlen, die in | |
letzter Zeit angestiegen sind. Beispiel Islamfeindlichkeit. In der Umfrage | |
sagten im Jahr 2009 schon immerhin 21 Prozent der Befragten: "Muslimen | |
sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden." In diesem Jahr | |
waren es bereits 26 Prozent der Deutschen, die dies forderten. Küpper | |
unterstrich: Die Islamfeindlichkeit sei zwar im rechten Spektrum besonders | |
ausgeprägt, also in dem Milieu, das sich selbst als eher konservativ | |
begreife. Aber die Islamophobie steige auch in der politischen Mitte und | |
"links der Mitte", so die Wissenschaftlerin. | |
Mehr Antisemitismus | |
Seit 2008 deutet sich zudem ein erneuter Anstieg des Antisemitismus an, was | |
vor allem beim israelbezogenen Antisemitismus zu sehen ist, also vor allem | |
dann, wenn in Israelkritik antisemitische Abneigungen durchschimmern. So | |
stimmten in diesem Jahr 38 Prozent der Befragten der Aussage zu: "Bei der | |
Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen | |
Juden hat." Und 57 Prozent benutzen Weltkriegsvokabular, das eine | |
Gleichstellung von Nazis und Juden unterstellt, wenn sie sagen: "Israel | |
führt einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser." Im Vergleich zum | |
Jahr 2003 hatte es fast in jedem Jahr einen Rückgang der antisemitischen | |
Einstellungen in Deutschland gegeben, seit 2008 aber scheint der | |
Antisemitismus wieder leicht anzusteigen. Dass der Antisemitismus im | |
Vergleich zu Portugal, Dänemark, den Niederlanden und Frankreich in | |
Deutschland deutlich höher ist, hatten die Münsteraner Fachleute am | |
Donnerstag ebenfalls festgestellt. | |
Trotz dieser trüben Zahlen stellen die Bielefelder Forscherinnen und | |
Forscher jedoch auch ein paar positive Entwicklungen fest. So ist das | |
Ausmaß des Sexismus seit 2002 fast kontinuierlich gesunken. Auch die | |
Abwertung von homosexuellen Menschen ist dieser Studie zufolge seit dem | |
Jahr 2005 rückläufig. Stabil zeigten sich die Zahlen bei der | |
Fremdenfeindlichkeit, beim Rassismus und bei der Abwertung von obdachlosen, | |
behinderten oder schon lange Zeit arbeitslosen Menschen. All diese | |
Phänomene untersuchen die Soziologen um Heitmeyer seit neun Jahren unter | |
dem Begriff "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". | |
Übrigens glaubt immer noch die Hälfte der Deutschen (49 Prozent): "Es leben | |
zu viele Ausländer in Deutschland." Diese Zahl war im Vergleich zum Vorjahr | |
stabil. | |
Was bedeuten diese Zahlen nun politisch? Heitmeyer zeigte sich da | |
pessimistisch in Bezug auf eine mögliche rechtspopulistische Bewegung im | |
Sinne Sarrazins, denn gerade die Zunahme dieses Potenzials in höheren | |
Einkommensgruppen sei "auffällig und gefährlich": "Der Aufruf zur Gründung | |
einer Partei rechts von der CDU ist bereits gestartet, das Potenzial dazu | |
ist ebenso vorhanden wie die schon markierten Opfer von Abwertung und | |
Diskriminierung aus ökonomischen wie kulturell entwickelten Gründen." | |
Heitmeyer zweifelte, ob eine rechtspopulistische Partei wirklich mit Erfolg | |
gegründet werden könne: "Eine solche Partei scheint eher unwahrscheinlich, | |
aber eine verdeckte Bewegung, die sich nicht auf der Straße zeigt, aber in | |
den Mentalitäten aufschaukelt, existiert längst." Es fehlten den Populisten | |
noch die charismatischen Gestalten, die dieses Potenzial massenhaft | |
aufgreifen könnten. Und: "Der Lodenmantel will nichts mit der NPD zu tun | |
haben." | |
3 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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