# taz.de -- Aus der Deutschland-taz: Wie deutsch ist Berlin? | |
> Menschen aus 189 Ländern leben in Berlin, ein Viertel der Bewohner sind | |
> Einwanderer. Für viele macht genau das den Reiz der deutschen Hauptstadt | |
> aus. | |
Bild: "Ich könnte nicht woanders leben. Berlin ist die beste Stadt in Deutschl… | |
Leben und leben lassen: "Berlin ist nicht nur deutsch, und das ist auch gut | |
so. Jeder Stadtteil ist ein eigener Kosmos aus Kulturen, Lebensstilen und | |
Traditionen, der weit über den abendländischen Horizont hinaus ragt. Leben | |
und leben lassen - das ist es, was Berlin ausmacht und was es von anderen | |
Gegenden in Deutschland unterscheidet: Eine Mischung aus Offenheit und | |
Gleichgültigkeit gegenüber Neuem und Fremdem. Für mich ist Berlin mein | |
Zuhause, wo ich mich unabhängig von meinem Deutsch- oder Vietnamesischsein | |
wohl fühle." | |
Ngo Thai Son, 24, Student, ist Deutscher vietnamesischer Herkunft. | |
Türken sind nicht willkommen: "Ich finde Berlin ziemlich deutsch. Fast zu | |
deutsch. Früher habe ich mich hier pudelwohl gefühlt. Inzwischen traue ich | |
mich nicht mehr in manche Cafés hier in Nordneukölln. Ich habe das Gefühl, | |
dass ich da nicht willkommen bin. Die Besitzer bekommen Panik, wenn man nur | |
vorbeigeht: ,Oh nein, vielleicht will der Türke hier noch einen Kaffee | |
trinken!' Diese ganzen Alternativen und Studenten kommen hierher, ziehen | |
sich an wie du, wollen so sein wie du, wollen aber bloß nichts mit dir zu | |
tun haben. | |
Ich habe nichts gegen Deutsche, die haben hier auch schon früher gewohnt. | |
Aber die haben mit uns hier gewohnt. Diese ganzen Szenefutzis aber kommen, | |
weil es hier plötzlich cool ist und behindern mit ihren Scheiß-Fahrrädern | |
auch noch den Verkehr. In Wirklichkeit sind ihnen die Mieten in Prenzlauer | |
Berg zu teuer, deshalb bevölkern die jetzt nach Kreuzberg auch noch | |
Neukölln. Und wir sind ihnen ein Dorn im Auge, wir werden geduldet - und | |
nach und nach aus der Gegend verdrängt. | |
Es geht schon damit los, dass Läden nicht mehr an Araber und Türken | |
vermietet werden. Meine Nachbarn grüßen mich nicht mehr. Die denken | |
wahrscheinlich, dass ich kriminell bin. Aber wenn es darum geht, jemanden | |
beim Tüten tragen zu helfen, dann bin ich der erste, der hilft, und dann | |
sagen die nicht nein. Tüten tragen darfst du. Aber Türke darfst du nicht | |
sein." | |
Adel Carikci, 26, war auf der Rütli-Schule und ist heute Projektmanager | |
einer Immobiliengesellschaft. | |
Urlaub von der Provinz: "Wir finden Berlin nach wie vor sehr deutsch, | |
obwohl hier ein Gemisch entsteht, das wir in unserer Provinzstadt | |
vermissen. Wir mögen das! Wir erholen uns hier vom provinziellen Muff | |
unserer Stadt. Hier kann man sein, wie man ist. Wir genießen die | |
Unterschiedlichkeit der Menschen. Das finden wir toll!" | |
Andreas und Marlis Meckel aus Freiburg kommen jedes Jahr vier Wochen nach | |
Berlin. | |
Alte Einwanderungsstadt: "Meine Vorfahren kamen Anfang des 18. Jahrhunderts | |
aus Böhmen im heutigen Tschechien nach Berlin und gründeten in Rixdorf das | |
noch erhaltene Böhmische Dorf. Sie waren evangelische Glaubensflüchtinge: | |
In ihrer Heimat wurden sie gezwungen, den katholischen Glauben anzunehmen. | |
Durch die andere Sprache blieben die Böhmen in Berlin zunächst unter sich. | |
Da der preußische König ihnen Häuser, Vieh und Ackergerät schenkte, gab es | |
auch Neid und Feindseligkeiten bei den Alteingesessenen. Heute spüren wir | |
keine Unterschiede mehr, ich verstehe mich als Berlinerin, Neuköllnerin, | |
Rixdorferin und spreche auch kein Böhmisch mehr. Durch viele Traditionen, | |
die noch heute in unserer Herrnhuter Brüdergemeine gepflegt werden, ist | |
einem der historische Ursprung aber bewusst. Der Zusammenhalt in der | |
böhmischen Gemeinde ist immer noch vorhanden. | |
Mit den Einwanderern aus anderen Ländern, die heute in Berlin und gerade in | |
Neukölln leben, habe ich keine Probleme. Lästig sind die rowdyhaften | |
Jugendlichen, die gerade hier im stillen böhmischen Dorf manchmal ihr | |
Unwesen treiben." | |
Cordelia Polinna betreibt mit anderen Mitgliedern der Herrnhuter | |
Brüdergemeine das Museum im Böhmischen Dorf, | |
[1][www.museumimboehmischendorf.de] | |
Lob der Parallelgesellschaft: "Bevor ich hier ankam dachte ich, dass die | |
Menschen hier nicht so herzlich sind wie in meiner Heimat. Die Deutschen | |
haben den Ruf, kühl zu sein. Doch ich hatte mich geirrt. Meine Nachbarn und | |
die Menschen, die ich kennen gelernt habe, sind alle sehr freundlich. Ich | |
fühle mich hier total wohl. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich in | |
Kreuzberg lebe. Hier ist es so vielfältig und multikulturell. Das hat es | |
mir einfacher gemacht, mich einzuleben. | |
Hier habe ich auch gleich einige Monate nach meiner Ankunft eine Arbeit in | |
einem türkischen Friseursalon gefunden und konnte meinen Beruf als | |
Kosmetikerin ausüben, obwohl ich noch kein Deutsch konnte. Das war für mich | |
sehr wichtig, ich wollte nicht auf andere angewiesen sein. Das wäre in | |
einer anderen deutschen Stadt sicher nicht so einfach gewesen. | |
Ich könnte mir schon vorstellen, irgendwann in die Türkei zurückzukehren. | |
Aber mein Mann ist hier aufgewachsen und möchte hier bleiben. Jetzt haben | |
wir eine kleine Tochter. Damit ich sie unterstützen kann, werde ich, wenn | |
sie in die Kita kommt, wieder einen Deutsch-Kurs besuchen. Denn obwohl ich | |
meinen Integrationskurs bestanden habe, spreche ich noch nicht so gut | |
deutsch. Mein Ziel ist es, Deutsch irgendwann wie meine Muttersprache zu | |
beherrschen." | |
Gönül Akbulut zog vor dreieinhalb Jahren aus der Türkei zu ihrem Mann nach | |
Berlin. | |
Unglaublich gastfreundlich: "Dass es mir in Berlin besonders gut gefällt, | |
liegt auch daran, dass es hier viele Ausländer gibt. Die Berliner sind | |
gastfreundlich bis zum Geht-nicht-mehr. Als ich in Hessen studierte, bin | |
ich nach Berlin in Urlaub gefahren und mir hat diese Vielfalt unheimlich | |
gefallen! Einmal bin ich mit meinem Turban auf die Straße gegangen und eine | |
deutsche Nachbarin hat zu mir gesagt: ,Das ist schön, es macht die Straße | |
bunt!' Das finde ich auch! Ich könnte nicht woanders leben. Berlin ist die | |
beste Stadt in Deutschland!" | |
Walid Elsayed, 49, kam 1986 aus dem Sudan nach Deutschland. Seit 1989 wohnt | |
er in Berlin. | |
Multikultureller geworden: "Das ist eine komische Frage! Naja, Berlin hat | |
sich schon gewandelt, es ist multikultureller geworden. Es fühlt sich gut | |
an, hier zu sein, und ich habe nicht vor, diesen Ort zu verlassen - solange | |
es geht. Es sei denn, es kommen mehr Menschen wie Thilo Sarrazin, und die | |
Kanzlerin schließt sich dem an, was einige Politiker schon behaupten, | |
nämlich dass Multikulti gescheitert sei. Aber ich glaube nicht, dass das | |
passieren wird. Ich bin hier geboren, ich arbeite hier und ich habe genauso | |
wie jeder andere ein Recht dazu, hier zu sein." | |
Ibrahim Bassal vom Bassal-Shop in der Sonnenallee hat die deutsche | |
Nationalmannschaft bei der letzten Fußball-WM mit einer 22 Meter langen | |
Fahne unterstützt. | |
6 Dec 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.museumimboehmischendorf.de/ | |
## AUTOREN | |
C. Icpinar | |
M. Goetz | |
A. Wierth | |
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