# taz.de -- Kommentar aus der Deutschland-taz: Zehlendorf contra Kreuzberg | |
> Wenn es um MigrantInnen geht, fühle ich mich neuerdings immer | |
> angesprochen. Obwohl ich faktisch keine bin. Chronische Schwäche der | |
> Gastarbeiterkinder. | |
Als die Kinder größer wurden, sind wir nach Zehlendorf gezogen. In | |
Charlottenburg gab es so viele.. so viele..?" Sie sucht das Wort in meinem | |
Gesicht: "...so viele Migranten." Geflüchtet also. Vor meinesgleichen. Wenn | |
es um MigrantInnen geht, fühle ich mich neuerdings immer angesprochen. | |
Obwohl ich faktisch keine bin. Chronische Schwäche der Gastarbeiterkinder. | |
Als die Zehlendorfer Mutti dann noch erfährt, dass ich in einem | |
"muslimischen Viertel" (Kreuzberg!) lebe, türkische Wurzeln habe - aber | |
nicht so aussehe, wie sie mir noch gütig versichert - wird es ganz seltsam. | |
Vor 15 Jahren aus Polen gekommen, sieht sie sich trotzdem nicht als | |
Migrantin. Sie habe ja immer gearbeitet und sei zudem an den südlichen | |
Stadtrand gezogen. | |
Das Partygeplänkel zeigt: Nicht nur Deutsche, auch MigrantInnen schimpfen | |
gern auf MigrantInnen. Vornehmlich auf diejenigen, die sich nicht aus den | |
Innenbezirken davonstehlen, sobald die Kinder ins Schulalter kommen. Denn | |
viele glauben, sie könnten sich und vor allem ihren Nachwuchs durch einen | |
Umzug vor der gesellschaftlichen Entwicklung "retten". | |
Kreuzberger würden das grinsend mit einem "çüs lan!" (Übertreib nicht) | |
kommentieren. Denn es ist voll aggro, was sich hier in Berlin abspielt. | |
Schon jetzt hat etwa ein Viertel der Berliner Bevölkerung keinen | |
"urdeutschen" Hintergrund mehr. Da hilft die Flucht nach Zehlendorf, mal | |
als Stellvertreterbezirk für alle anderen "weißen" Bezirke, nichts. | |
Und allein der Umstand, in einem vermeintlich besseren Bezirk zu wohnen, | |
macht aus einem Migranten an sich auch noch keinen besseren Deutschen - äh, | |
Menschen. Viele denken, sie können sich so dem Integrationsgefasel | |
entziehen, es betrifft sie ja nicht. Es geht ja "nur" um Kreuzberg und | |
Neukölln. | |
Auf eines freue ich mich aber schon: Wenn jetzt noch mehr nach Zehlendorf | |
ziehen, scheidet Kreuzberg bald als unmöglicher Ort zum Leben aus. Dann | |
heißt es auf der nächsten Party: "Zehlendorf? Da leben doch so viele | |
Migranten." | |
7 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Ebru Tasdemir | |
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