# taz.de -- Interview NS-Beteiligung Auswärtiges Amt: "Am Ende nur noch Opfer" | |
> Die Studie "Das Amt" hat gezeigt, wie stark das Auswärtige Amt in den | |
> Mord an den europäischen Juden verstrickt war. Jetzt melden sich die | |
> Kritiker zu Wort. | |
Bild: Das Auswärtige Amt war während des Nationalsozialismus viel stärker am… | |
taz: Herr Herbert, den Herausgebern der Studie "Das Amt" wird vorgeworfen, | |
sie hätten entscheidende Quellen nicht berücksichtigt, die das Auswärtige | |
Amt selbst veröffentlicht hat. Das meint jedenfalls der Historiker Gregor | |
Schöllgen. Stimmt das? | |
Ulrich Herbert: Nein. Selbstverständlich haben die Herausgeber der Studie | |
diese Quellen berücksichtigt. Sie haben sie jedoch nicht nach der von | |
Schöllgen mit herausgegebenen Reihe "Akten der deutschen Auswärtigen | |
Politik" (ADAP) zitiert, sondern nach den Originalen im Archiv. Das ist | |
legitim und üblich. | |
Schöllgens Argument lautet: Es ist bezeichnend, dass die Herausgeber die | |
offiziellen Quellen des Auswärtigen Amtes ignoriert haben - denn sie | |
wollten zeigen, dass das Amt die historische Aufklärung behindert hat. Ist | |
da was dran? | |
Das sind eigenartige Spekulationen. Warum sollte jemand die ADAP | |
absichtlich verschweigen, die jeder Geschichtsstudent im ersten Semester | |
kennt? | |
Steht in "Das Amt" eigentlich etwas wirklich Neues? | |
Das ist weder der Anspruch des Buches noch haben die Herausgeber solches je | |
behauptet. Ihre Aufgabe war es, Haltung und Verhalten des Amtes in der | |
NS-Zeit und nach 1945 darzustellen. Darüber wird seit Jahrzehnten | |
geforscht. Aber dennoch wurde gerade bei vielen Exmitarbeitern des | |
Auswärtigen Amtes bis vor wenigen Jahren so getan, als sei das Auswärtige | |
Amt im Dritten Reich an den Verbrechen kaum am Rande beteiligt und ein Hort | |
des Widerstands gewesen. Darum ging ja seinerzeit der Streit mit | |
Außenminister Fischer, der daraufhin die Kommission einberief. Sie hat | |
daraufhin das vorhandene, aber verstreute Wissen gesammelt, es um einige | |
Aspekte, vor allem über die Zeit vor 1939, erweitert und systematisiert. | |
Nun aber lautet der Vorwurf nicht mehr: Das ist nicht wahr! Sondern: Alles | |
schon bekannt! Das Verdienst des Buches liegt aber darin, Schritt für | |
Schritt auf der Grundlage des vorhandenen Wissens zu zeigen, dass das | |
Auswärtige Amt eine Institution der NS-Diktatur und an den Verbrechen des | |
Regimes beteiligt war und in welchem Maße. | |
Hans Mommsen, ein ausgewiesener NS-Historiker, kritisiert, dass die Studie | |
unterstelle, das Auswärtige Amt sei 1939 an den Planungen der Vernichtung | |
der Juden beteiligt gewesen - doch 1939 sei noch offen gewesen, ob die | |
Nazis die Juden vernichten oder etwa nach Madagaskar deportieren würden. | |
Das ist im Grunde der alte Schulenstreit. Mommsen sieht den Weg zum | |
Judenmord als eine "kumulative Radikalisierung". Er glaubt, dass der | |
Entschluss zur Vernichtung sehr spät, erst Ende 1941, womöglich noch später | |
gefallen sei - wenn es überhaupt einen Entschluss gegeben habe. Andere | |
Historiker sehen hingegen einen im Grundsatz früh gefassten Entschluss, der | |
dann sukzessive verwirklicht wurde. Mommsens Position ist nicht | |
unumstritten, vor allem viele israelische Historiker kritisieren seine | |
Interpretation als Verharmlosung, darunter auch Moshe Zimmermann, einer der | |
Herausgeber des Buches. | |
Ist es nicht historisch richtig, dass der definitive Entschluss zur | |
Endlösung erst 1941 fiel? | |
Im Grundsatz stimme ich Mommsen hier zu. 1939 konnte man sich in der | |
NS-Spitze den Massenmord an den Juden noch gar nicht vorstellen, so wie | |
Anfang 1939 auch nicht vorstellbar war, dass Deutschland 18 Monate später | |
halb Europa besiegt haben würde. Andererseits gibt es schon sehr früh | |
zahlreiche Zitate von NS-Protagonisten, die von Vernichtung der Juden | |
sprechen. Auch Ernst von Weizsäcker, damals Staatssekretär im Auswärtigen | |
Amt, hat sich ja so geäußert. Ich finde die Passagen in "Das Amt", die | |
suggerieren, es habe schon Anfang 1939 im Außenamt eine Kenntnis von der | |
Vernichtungsabsicht gegeben, nicht überzeugend. Aber Mommsens Kritik, | |
deswegen sei das ganze Buch nichts wert, halte ich für vollständig | |
überzogen. | |
In "Das Amt" wird nahegelegt, dass die Entscheidung zur Endlösung nach | |
einer Unterredung von Hitler mit Ribbentrop am 17. September 1941 fiel. Das | |
Auswärtige Amt war also direkt an der Entscheidung beteiligt gewesen. Ist | |
das haltbar? | |
Es ist ganz unklar, ob es überhaupt eine einmalige "Entscheidung" gegeben | |
hat. Saul Friedländer und andere haben aber gezeigt, dass in der Zeit von | |
September bis Anfang Dezember 1941 die Vernichtungsrhetorik Hitlers sich | |
enorm steigerte und dass seine Umgebung dies als Zeichen nahm, nun | |
gegenüber den Juden in Polen und in der Sowjetunion keinerlei Rücksichten | |
mehr zu nehmen. Das Auswärtige Amt war in diesen, uns nicht in allen | |
Einzelheiten bekannten, Prozess eingebunden, wenn auch nicht als zentraler | |
Akteur. Aber doch eingebunden - nicht draußen vor. | |
Mommsens Anschuldigungen gehen weiter: Das Buch von Eckart Conze, Norbert | |
Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann sei völlig unbrauchbar, weil | |
Holocaust-Historiker nicht gefragt worden seien. | |
Den Herausgebern vorzuwerfen, sie verstünden nichts von der Sache, halte | |
ich für ungehörig. Peter Hayes ist Herausgeber des "Oxford Handbook of | |
Holocaust Studies", er hat bekannte Studien über die IG Farben und über | |
Degussa im Dritten Reich verfasst. Hätte er deutsche Historiker um | |
Druckgenehmigung bitten sollen? Solche Anwürfe sind schwer | |
nachzuvollziehen. | |
Mommsen wirft der Studie auch vor, eine unwissenschaftliche Auftragsarbeit | |
zu sein. | |
Man kann prinzipiell skeptisch gegenüber "Auftragsforschung" sein, | |
insbesondere wenn nicht sichergestellt ist, dass wissenschaftlich völlige | |
Unabhängigkeit vom Auftraggeber besteht. Die Kommission des Auswärtigen | |
Amtes war, so weit ich das beurteilen kann, völlig unabhängig, und niemand | |
käme wohl auf die Idee, "Das Amt" zeichne dessen Geschichte zu positiv. | |
Aber es gibt natürlich Grenzfälle. Herr Mommsen selbst hat Ende der 80er | |
Jahre für den Volkswagenkonzern ein Buch über Zwangsarbeit bei VW | |
geschrieben, für ein sehr anständiges Salär. Das Buch war gut und kritisch. | |
Allerdings hat Mommsen dann anschließend mehrfach laut gegen die Forderung | |
nach Entschädigung für Zwangsarbeiter gewettert. Das ließ Fragen nach der | |
Unabhängigkeit aufkommen. | |
Der Historiker Daniel Koerfer hat der Studie einen "hämischen Unterton" | |
vorgeworfen. | |
Den habe ich nicht ausmachen können. Er sagt ja auch, dass das Buch nicht | |
der Versöhnung diene. Ist es Aufgabe der Wissenschaft, Versöhnung zu | |
stiften? Es geht um Aufklärung. Herr Koerfer ist ja kein NS-Historiker; er | |
tritt hier als Enkel eines ehemaligen AA-Beamten auf und fordert | |
Gerechtigkeit für die ältere Generation. Sein Vorwurf lautet, dass die | |
Autoren von "Das Amt" sich zu wenig in die seinerzeitige Lage der Beamten | |
des Amtes eingefühlt hätten - schließlich habe es ja auch Zwänge geben, | |
Laufbahnen, zu versorgende Familien. Es wirbt um Verständnis für die Täter | |
und ihr Umfeld, für differenzierte Betrachtung, und dem werde das Buch | |
nicht gerecht. | |
Überrascht Sie diese Kritik? | |
Solche Töne haben wir in Deutschland lange nicht mehr gehört. So ähnlich | |
haben nach 1945 alle großen und kleinen NS-Funktionäre argumentiert: Ihr | |
wisst ja nicht, unter welchen Zwängen wir standen! In der Konsequenz gibt | |
es dann gar keine Verantwortlichen mehr, sondern nur noch in | |
unterschiedlich starkem Maße Getriebene, letztlich: Opfer. Im Vergleich zu | |
solchen Zumutungen ist dieses Buch erfreulich nüchtern, auch wenn ich nicht | |
alle Passagen gleichermaßen überzeugend finde. | |
Warum löst das Buch eigentlich so enorme Reaktionen aus? | |
Das hat eher mit der politischen Vorgeschichte zu tun, mit dem Duell | |
"Fischer gegen die Mumien", wie es in der Presse zugespitzt wurde. Das | |
schafft Resonanz. Entscheidend war aber, dass das Buch von der einen | |
Zeitung hochgeschrieben wurde, und nun von anderen Redaktionen wieder | |
heruntergeschrieben wird. Ein "Hype" entsteht, der ein paar Tage lang | |
Aufgeregtheit vermittelt und dann wieder vergessen wird. Solche | |
inszenierten Fehden, oft mit Bezeichnungen wie "neuer Historikerstreit" | |
versehen, gibt es seit Jahren. Das sind Eigendynamiken der Pressekonkurrenz | |
in Deutschland. Mit dem NS-Regime und seinen Verbrechen hat das nur noch am | |
Rande zu tun. | |
8 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
Christian Semler | |
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