# taz.de -- Neues Album von Antony and the Johnsons: Danke für dein Lied | |
> Auf ihrem Album "Swanlights" schaffen Antony and the Johnsons wunderbar | |
> nuancierte sinfonische Miniaturen. Sogar Lennons "Imagine" verhelfen sie | |
> zu neuer Würde. | |
Bild: Im Herzen ein Gothic-Transvestit geblieben: Antony bei einem Konzert in L… | |
Seine Stimme ist eigentlich zu viel. Zu viel Gefühl, zu viel Leid, zu viel | |
Verletzlichkeit. Manche ertragen das nicht. Doch genau deshalb ist Antony | |
Hegarty auch einer der größten Sänger, die der Pop gegenwärtig im Angebot | |
hat. Sein jüngstes Album "Swanlights" wird daran wenig ändern, selbst wenn | |
es auf den ersten Blick stiller daherkommt als seine Vorgänger. Es zeigt | |
allenfalls, dass Pop einiges an Kunst verträgt, ohne unter der Last | |
nachgeben zu müssen. | |
Dass aus dem früheren New Yorker Underground-Theatermacher und | |
Klaus-Nomi-Wiedergänger einst ein Weltstar werden würde, hätte dieser sich | |
beim Erscheinen des Debütalbums seiner Band Antony and the Johnsons vor 13 | |
Jahren wohl selbst nicht träumen lassen. Die Platte wurde damals fast | |
ausschließlich von Gothic-Magazinen wahrgenommen und war, wenn überhaupt, | |
nur mit sehr viel Geduld zu bekommen. | |
Dafür erhielten Antony und Kollegen für den erst acht Jahre später | |
fertiggestellten Nachfolger "I Am a Bird Now" gleich den Mercury Prize | |
verliehen. Das alles mit einer Musik, die ziemlich aus der Zeit gefallen zu | |
sein schien in ihrer Mischung aus Chanson, Cabaret und Soul, | |
zusammengehalten von einer Stimme, die irgendwie nach Mann und Frau | |
zugleich klingt und in der sich immer wieder auch das typische, | |
tieftraurige Antony-Jaulen Bahn bricht. | |
Ohne viel an dieser Grundkonstellation zu ändern, hat Antony seinen Ansatz | |
über die Jahre verfeinert und bietet auf "Swanlights" neben maximal | |
reduziertem Kammerpop auch ausladendere orchestrale Arrangements. Wie bei | |
dem Vorgänger "The Crying Light" hat Antony für die größeren Besetzungen | |
mit dem isländischen Komponisten Nico Muhly zusammengearbeitet und | |
wunderbar nuancierte sinfonische Miniaturen wie das zart hingetupfte "Salt | |
Silver Oxygen" geschaffen. Vor gelegentlichen Kitschmomenten bewahrt ihn | |
das nicht, soll es eigentlich auch gar nicht, doch der Gefahr des | |
bombastischen Ohrenkleisters entgehen Antony and the Johnsons stets sehr | |
intelligent. Statt auf Überwältigung setzt "Swanlights" auf differenzierte | |
Introspektion. | |
Das mag auf Kosten der unmittelbaren Ohrwürmer gehen, und tatsächlich ist | |
das soulig rockende "Thank You For Your Love", das schon auf einer Vorab-EP | |
als Single veröffentlicht wurde, nicht einmal die stärkste Nummer des | |
Albums. Dagegen beeindrucken besonders der düster-ambientartige Titelsong | |
mit seinen tiefen Drones und das stark zurückgenommene, in seiner eleganten | |
Einfachheit absolut ergreifende "The Spirit Was Gone". | |
Antony, der auch gern mit anderen Sängern hinter dem Mikrofon steht, hat | |
dieses Mal die von ihm hoch geschätzte Björk zu einem Duett gebeten, das | |
eigentlich gar keines ist: Der isländische Star dominiert das gemeinsame | |
"Flétta" so sehr, dass von ihrem Partner kaum etwas übrig bleibt. Das Stück | |
ist denn auch einer der schwächeren Momente der Platte und | |
erfreulicherweise ein Einzelfall. | |
Dass Antony solo hingegen praktisch alles singen kann, was er will, und es | |
ihm sogar gelingt, einem mehr als reichlich abgenudelten Heuler wie John | |
Lennons "Imagine" zu neuer Würde zu verhelfen, hat er schon auf der | |
Vorab-EP zum Album eindringlich unter Beweis gestellt. Dabei eignet er sich | |
Lennons Vorlage so gewissenhaft an, dass er sogar den Text von der zweiten | |
Person auf sich selbst umkehrt: "Imagine theres no heaven / It was easy | |
when I tried." | |
Antonys Status als Transgender-Ikone spielt in der Musik hingegen immer | |
weniger offensichtlich eine Rolle, unabhängig davon, dass er äußerlich | |
zunehmend feminin wirkt. Er singt längst nicht mehr von schwulen | |
Sadomasofantasien oder davon, wie er sich in tote Fahrradfahrer verliebt, | |
sondern umso mehr von Liebe und Erneuerung - wobei der Tod auch hier ein | |
regelmäßiger Begleiter seiner Gedanken ist. Er mag oberflächlich gesehen | |
zwar längst im großen Popgeschäft angekommen sein, aber im Grunde steckt in | |
ihm immer noch der Gothic-Transvestit, der sich eben auch für das Jenseits | |
und Abgründiges interessiert. Und so ziert das Albumcover, wie man erst auf | |
den zweiten Blick erkennt, ein blutig getöteter Eisbär. | |
Antony and the Johnsons: "Swanlights" (Beggars Group/Rough Trade) | |
13 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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