# taz.de -- Debatte FDP: Wut auf die Demokratie | |
> Die FDP-Mitglieder fühlen sich als die Leistungsträger der Gesellschaft, | |
> sehen sich aber verlacht. Das Potenzial für eine rechtspopulistische | |
> Wandlung der Partei wächst. | |
Bild: Wäre er jetzt der richtige Mann für die rechtspopulistische Wende der F… | |
Das Jahr 2010 war für den parteipolitischen Liberalismus in Deutschland ein | |
denkbar freudloses. Ist die FDP überhaupt noch als eine liberale Partei zu | |
charakterisieren? Was in aller Welt hat diese Partei der besser | |
verdienenden Schnösel noch mit den großen Traditionen des Liberalismus zu | |
tun, mit eigensinnigen Diskursen, widerborstiger Zivilgesellschaftlichkeit | |
und couragierter Aufklärung? | |
Indes: Der Liberalismus in Deutschland stand nie für diese schönen | |
Tugenden. Unternehmen wir einen kleinen geschichtlichen Exkurs. | |
Im gesamten 19. Jahrhundert, also, als parteipolitisch alles begann, waren | |
die Liberalen keineswegs lupenrein demokratisch gesinnte Republikaner. Das | |
allgemeine Wahlrecht lehnten sie ab. Die Liberalen fürchteten sich vor | |
einer Herrschaft des Pöbels. Daher lautete ihr Programm: Nur die Stimme von | |
Bürger mit Besitz und Bildung sollte zählen. | |
Später dann kooperierte die Mehrheit der Liberalen mit Bismarck. Die | |
Einheit der Nation und koloniale Größe war den Liberalen Herzenssache. Das | |
trieb sie um, nicht der Schutz der individuellen Freiheit. Zwischen den | |
1870er und 1940er Jahren schlitterte der Liberalismus europaweit in eine | |
tiefe Krise. Die Jugend des europäischen Bürgertums wandte sich verächtlich | |
vom liberaleren Individualismus ab und den dynamisch-populistischen | |
Kampfbewegungen von rechts zu. In Deutschland wurden die frühen Hochburgen | |
des Liberalismus zu Zentren der radikal-nationalistischen Formationen. | |
Daher hatte es eine gewisse Folgerichtigkeit, dass die FDP in den späten | |
1940er und frühen 1950er Jahren als nationale Rechtspartei auf Stimmenjagd | |
ging. Sie umwarb die verbitterten Anhänger der vergangenen Diktatur. Das | |
war nicht sonderlich libertär oder freisinnig, aber es war zunächst höchst | |
erfolgreich. In Hessen etwa kamen die rechten Freidemokraten bei den | |
Landtagswahlen von 1950 auf 31,5 Prozent der Stimmen; die CDU war mit 18,8 | |
Prozent deutlich abgeschlagen. Kurz: Der parteipolitische Liberalismus | |
regenerierte sich in den Aufbaujahren der Bundesrepublik als Rechtspartei | |
des nationalen Bürgertums. Was bedeutet dieses Erbe für die Freien | |
Demokraten heute? | |
Die linksliberale bürgerliche Mitte hält es in Deutschland im Jahr 2010 mit | |
der Partei der Grünen. Hier ist für die FDP nichts zu gewinnen. Allerdings | |
haben die Modernisierungsströme der letzten Jahrzehnte in der Gesellschaft | |
nicht nur links-libertäre Wertemuster begünstigt, sondern sie haben auch | |
reaktive Einstellungswelten produziert. In dieser gesellschaftlichen | |
Teilwelt stößt man auf Staatsverdrossenheit, Verachtung gegenüber den | |
großen Volksparteien, aber erst recht auf Verdruss über Grüne und ihre | |
Ökopredigten. Der Ärger über hohe Abgabenlasten und die Wut über den zu | |
teuren Wohlfahrtsstaat haben ebenso Hochkonjunktur wie die Affekte gegen | |
Transfer beziehende Migranten. Diese antilibertären Gegenmilieus sind von | |
Oslo bis Marseille in allen westeuropäischen Gesellschaften zu finden. Sie | |
machen rund 15 bis 25 Prozent der Bevölkerungen aus. | |
Allein in der Bundesrepublik ist dieses Segment bisher parteipolitisch | |
verwaist, es ist normativ im Parteienspektrum nicht vertreten. Das muss | |
nicht so bleiben. Seit Jahren flackert die Entrüstung der Kleinbürger im | |
Geiste auch in der Bundesrepublik auf. Nur haben involvierte Protagonisten | |
bislang daraus langfristig kein Kapital schlagen können. So schlummert der | |
Protest mehr und mehr im riesigen Lager der Nichtwähler. Die Frustrationen | |
dort wachsen, vor allem da sich jetzt alles um die Grünen, die kulturellen | |
Gegner des rechten Kleinbürgertums und der autoritär gesinnten | |
Arbeiterschaft dreht. Elogen auf die Grünen schüren den Unmut vieler | |
Handwerker, etlicher Kleinunternehmern, einiger Rentner und vieler | |
Erwerbslosen. | |
Dieser Unmut könnte den Freien Demokraten zugutekommen; zumindest wenn die | |
Partei sich ein wenig bewegt. Auch die Basis der FDP ist derzeit zutiefst | |
verunsichert, denn sie wird in diesen Monaten verhöhnt und fühlt sich | |
wieder an die Wand der 5-Prozent-Hürde gedrückt. Gleichwohl sehen sich die | |
freidemokratischen Mittelständler unverdrossen als die wahren Fleißigen im | |
Land, als die Leistungsträger und Melkkühe der Republik. Sie sind also | |
verbittert und längst nicht mehr gouvernemental oder staatstreu orientiert. | |
Eine neue, noch nicht veröffentlichte Parteimitgliederstudie, die jüngst | |
von Politologen an der Universität Düsseldorf erstellt wurde, hat ergeben, | |
dass die Mitglieder sich seit 1998 - dem Zeitpunkt der letzten Erhebung - | |
gemäß ihrer eigenen Einschätzung weiter nach rechts bewegt haben. Diese | |
zunehmende Entfernung von der Mitte führt zu einem Entrüstungsliberalismus. | |
Der findet sich mittlerweile in ganz Europa und hat in den Niederlanden und | |
Dänemark für liberale Regierungschefs und Mehrheitsparteien gesorgt. Auch | |
in Deutschland ist eine solche Konstellation denkbar. Das weiß auch Angela | |
Merkel. | |
So eröffnete die große Taktikerin in den letzten Wochen die Jagd auf die | |
Grünen, und zwar mit dem typischen Kampfvokabular der entrüsteten | |
bürgerlich-konservativen Mitte. Im Grunde aber ist diese rechte bürgerliche | |
Mitte klassisches Terrain für einen rechten Liberalismus. Der kann auf | |
diesem Gebiet zielstrebiger und ungehemmter agieren als eine | |
christdemokratische Volkspartei. Denn die wird zumindest von den Resten | |
kirchlicher Ethik und sozialkatholischer Werteorientierung sowie einem | |
gewissen honorablen bürgerlichen Verantwortungssinn eingehegt. | |
Mit allen guten Gründen, die es gibt, kann man froh sein, dass die FDP die | |
Stimmungslage nicht für sich zu nutzen weiß und weiter konfus und ohne | |
Zukunftsperspektive durch die parlamentarische Landschaft stolpert. Noch | |
hat sie niemanden, der bürgerlich seriös auftritt und gleichzeitig einen | |
harten rechten Liberalismus auch in der Innen- und Gesellschaftspolitik | |
repräsentiert, im Stile des entschlossen handelnden Tribuns. Es fehlt | |
bislang ein Oskar Lafontaine von rechts. Aber das muss nicht so bleiben. | |
13 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Franz Walter | |
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