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# taz.de -- Sudan vor dem Unabhängigkeitsreferendum: Juba - Stadt der Hoffnung
> Im sudanesischen Juba wimmelt es vor dem Referendum zur Unabhängigkeit
> von Heimkehrern und Marktschreiern. Der eine gibt alles auf, der andere
> könnte alles verlieren.
Bild: Für die Unabhängigkeit: Einwohner Jubas.
Über dem zentralen Kreisverkehr im Stadtzentrum ragt eine Digitaluhr aus
dem Verkehrschaos. "Countdown bis zum Unabhängigkeitsreferendum" steht über
der Digitalanzeige, doch die Zahlen darunter sind erloschen. Mal wieder ist
das heillos marode Stromnetz zusammengebrochen.
Dennoch ist in Südsudans Hauptstadt fast jeder überzeugt, dass die Tage der
Einheit von Afrikas flächengrößtem Land, dem Sudan, gezählt sind. Am 9.
Januar stimmen die Südsudanesen darüber ab, ob sich der Süden von der
Zentralregierung im nördlichen Khartoum lossagt.
Am letzten Tag der Registrierung für das Referendum steht Tito Marou in der
Warteschlange. Der Chemiestudent ist extra mit dem Nachtbus aus der
Hauptstadt des Nachbarlandes Uganda angereist. Der 26-Jährige mit den für
die Dinka-Ethnie typischen eingeritzten Narben auf der Stirn zeigt seinen
sudanischen Reisepass, unterzeichnet auf der Wählerkarte, die dann in
Plastikfolie laminiert wird, und taucht seinen Zeigefinger in das
Tintenfass - eine Maßnahme, die verhindert, dass Menschen ohne
Personalausweis sich doppelt registrieren lassen.
Marou hofft, dass das Referendum friedlich verläuft und der Norden das
Ergebnis akzeptiert. "Dann kommen wir zurück aus den Nachbarländern, um mit
unserem gelernten Wissen zur Entwicklung unserer Heimat beizutragen", nickt
er.
Die Unabhängigkeit steht auf der politischen Agenda ganz oben. Plakate und
Aufkleber werben an Häuserwänden, Mauern und Werbeanzeigetafeln für
Separation. Die größte Werbetafel entlang der Hauptstraße im Stadtzentrum
zeigt in Großaufnahme Präsident Salva Kiir: "Der letzte Marsch in die
Freiheit" steht da in knallgrünen Buchstaben. Nach über 20 Jahren
Bürgerkrieg gegen die Regierungstruppen verspricht nun der Chef der
regierenden SPLM eine neue, glorreiche Zukunft des "Neuen Sudans", den er
seit des Helikopterabsturzes seines Vorgängers Garang im Juli 2005 regiert
- eine große Herausforderung.
Diesen letzten Marsch in die Freiheit haben in den vergangenen Wochen über
50.000 Südsudanesen angetreten, so die Zahlen des humanitären
Koordinationsbüros der UNO (Ocha). Die meisten von ihnen haben
jahrzehntelang in Sudans Hauptstadt Khartoum gelebt. Mit insgesamt 150.000
Rückkehrern aus dem Norden rechnet die UN-Agentur bis zum Frühjahr. Auch
wenn viele zu spät Juba erreichen, um sich noch registrieren zu lassen, ist
es eine Abstimmung mit den Füßen.
Heimkehrer Angelo Loki liegt auf einem gusseisernen Bettgestell ohne
Matratze im Schatten eines Mangobaums am Hafen. Hinter ihm rauscht der
Weiße Nil vorbei. Boote sind am Kai vertaut und werden ausgeladen. Junge
Männer schleppen im Gänsemarsch Säcke voll mit Maismehl von einem
Transportschiff über einen wackeligen Steg auf die am Ufer geparkten
Lastwagen. Loki beobachtet vergnügt das bunte Treiben. Neben ihm türmen
sich seine Habseligkeiten: Koffer mit Kleidung, Kochtöpfe und ein
Garderobenständer, woran seine Regenjacke baumelt.
Der Südsudanese vom Stamm der Didinga ist buchstäblich am Hafen von Juba
gestrandet. Drei Wochen lang war er von Khartoum aus mit dem Boot auf dem
Nil unterwegs, fast sein ganzes Vermögen von umgerechnet rund 20 Euro hat
er in die Reise investiert. Südsudans Regierung hat den Heimkehrern Busse
und Lastwagen versprochen, die sie am Hafen in Juba abholen und in ihre
abgelegenen Heimatdörfer auf dem Land bringen. Loki wartet bereits seit
zwei Tagen.
Der gelernte Mechaniker hat 37 Jahre in Khartoum gelebt, war mit einer
Nordsudanesin verheiratet und hat vier Kinder mit ihr. "Das Leben war okay,
ich hatte einen guten Job", nickt er. Dennoch: "Die Situation im Norden
wird für uns Südler immer schwieriger." Jobs würden immer weniger an Leute
aus dem Süden vergeben, das Misstrauen auf beiden Seiten wächst. Vor
wenigen Monaten hat er sich entschlossen, alles zurückzulassen und in sein
Heimatdorf Kapoita im Süden zurückzukehren. "Ich liebe mein Land so sehr,
ich will dabei sein, wenn wir unabhängig werden", sagt er und strahlt über
das ganze Gesicht. "Nach so langer Zeit habe ich Juba fast nicht
wiedererkannt - es hat sich so viel verändert!"
Tatsächlich hat sich Juba, einst bestehend aus runden Lehmhütten mit
Strohdächern und Containern, in denen die Mitarbeiter internationaler
Hilfsorganisationen hausten, zu einer sachte florierenden Stadt gemausert.
Der internationale Flughafen soll bald einen neuen Terminal erhalten. Die
Hauptstraßen zwischen dem Flughafen, der Innenstadt und dem
Regierungsviertel sind frisch geteert.
Dennoch scheint sich der Infrastrukturausbau eher an den Bedürfnissen der
Internationalen Gemeinschaft auszurichten. Die geteerte Straße endet ein
Dutzend Meter hinter der US-Repräsentanz, einem bunkerartigen Trutzbau.
Danach verwandelt sich die Straße in ein Grabensystem aus Fahrrinnen und
Abflusskanal, wo sich der Müll sammelt, der bei rund 40 Grad Hitze faulig
stinkt.
Der einst vom Norden stark vernachlässigte Süden entwickelt sich dank der
Einnahmen aus dem Ölsegen - woraus dem Süden laut Friedensabkommen 50
Prozent zustehen. Seit 2005 sollen nach Angaben der Organisation Global
Witness sieben Milliarden Dollar aus der Ölförderung des Gesamtsudans in
den Süden geflossen sein. Keine schlechte Voraussetzung dafür, dass ein
potenziell souveräner Südsudan eine funktionierende Infrastruktur haben
könnte, zumindest in Juba. Dennoch zeigt sich in den Siedlungen am
Stadtrand, dass auch die Korruption boomt. Minister und Armeeoffiziere
bauen dort gewaltige Villen in knallbunten Farben, die sie zu Preisen
zwischen 2.000 und 15.000 US-Dollar an Mitarbeiter internationaler
Organisationen vermieten.
Juba ist eine Stadt der Kontraste: Verrottete Ruinen aus Kolonialzeiten
reihen sich an runde Lehmhütten mit Strohdächern und gewaltigen Neubauten,
in deren Gärten die Stromgeneratoren knattern. Es gibt nicht genügend
Energie, um die gesamte Stadt täglich mit Strom zu versorgen, aber es gibt
ein teures Sushi-Restaurant für die Elite.
Bislang sind die Lebenshaltungskosten in Juba mit die teuersten in der
ganzen Region. Eine Tomate oder ein Ei kostet gut das Doppelte oder
Dreifache im Vergleich zu den Nachbarländern. Das liegt nicht zuletzt
daran, dass fast alle Produkte importiert werden. Im Südsudan ist nicht
einmal der Agrarsektor so weit entwickelt, dass er den Bedarf der eigenen
Bevölkerung von rund acht Millionen Menschen versorgen kann.
Es ist vor allem die Diaspora aus den ostafrikanischen Nachbarländern, die
die Geschäfte in Juba am Leben hält - seien es die äthiopischen
Flüchtlingsfamilien, die in den Achtzigern dorthin kamen und Hotels und
Restaurants unterhalten, die ugandischen Motorradtaxifahrer, die in Kampala
aufgrund der Konkurrenz nicht einmal die Hälfte verdienen würden. Oder die
Händler aus Kenia und Uganda, die über holprige Straßen alles anliefern,
was zum Leben in Juba benötigt wird.
Das Marktviertel Konyo Konyo nahe des Hafens wird im Volksmund auch
"Klein-Kampala" genannt. Es herrscht geschäftiges Treiben, Preise werden
auf Luganda, der ugandischen Sprache, ausgehandelt. Ugandische Marktfrauen
ersteigern hier Tomaten, Zwiebeln und Auberginen, die sie dann an den
Holzbuden in der rund fünf Kilometer entfernten Innenstadt anbieten.
Abas Saleh aus der ugandischen Hauptstadt Kampala steht neben seinem
Lastwagen und erteilt seinen rund ein Dutzend Gehilfen Anweisungen. Sie
sollen die leeren Pappkartonstiegen für Eier aufeinanderstapeln. Der
Geschäftsmann hat in den vergangenen drei Tagen von seinem Lastwagen herab
ugandische Eier verkauft. Nun, da alle ausverkauft sind, zählt er seine
Geldscheine.
Saleh liefert wöchentlich eine Ladung von 4.000 Stiegen frischer Eier aus
Kampala nach Juba. "Ein Wahnsinnsgeschäft", schwärmt er. Auf dem zentralen
Markt in Uganda kauft er eine Stiege für umgerechnet 1,60 Euro ein.
Eineinhalb Tage und über 700 Kilometer später erreicht sein Lastwagen den
Marktplatz nahe dem Hafen von Juba. Dort verkauft er die Stiege für den
doppelten Preis. Ähnlich sei das Geschäft mit Tomaten, Ananas, Zuckerrohr
und Kochbananen, alles Produkte, die in Südsudan wegen des trockenen Klimas
nicht angebaut werden.
Doch im Südsudan Geschäfte zu machen, "das ist wie im Wilden Westen", sagt
Rashid Manafa, Vorsitzender des Verbands ugandischer Händler, die im
Südsudan ihre Waren verticken. Bestechungsgelder an Straßensperren seien an
der Tagesordnung. Südsudans Polizei habe Lastwagenladungen voller Güter
beschlagnahmt. Jetzt verlangen die Händler Entschädigung für ihre Verluste.
Auch Saleh flucht über die Risiken der Fahrt nach Juba. Neben der
offiziellen Importsteuer von rund 500 Dollar wollen Polizisten an den
Straßenblockaden Schmiergelder kassieren. Pro Reise koste ihn das rund 300
Dollar zusätzlich.
Saleh fürchtet die politische Unsicherheit. Er hat entschieden, bis nach
dem Referendum den Handel auszusetzen. "Wenn alles friedlich bleibt, komme
ich zurück - sonst versuche ich mein Glück woanders", sagt er. So wie er
denken viele Ugander, die im Südsudan Waren umschlagen. Deswegen beginnen
nun Restaurantbesitzer und Hotelmanager, Lebensmittel und Bier zu horten,
damit sie über Weihnachten ihre Gäste verköstigen können. Das Ergebnis: In
Juba steigen die Preise derzeit extrem an, Dollarnoten werden knapp, der
Umrechnungskurs schießt in die Höhe. Und niemand kann vorhersagen, ob sich
die Situation nach dem Referendum im Januar wieder normalisiert.
17 Dec 2010
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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