# taz.de -- Theologe kritisiert katholische Kirche: Ein vergifteter Fluss | |
> Weihnacht, Fest der Christen. Doch der Theologe Gotthold Hasenhüttl sagt, | |
> die Kirche sei ein vergifteter Fluss, der einer Kläranlage bedürfe. | |
Bild: Gotthold Hasenhüttl beim ökumenischen Gottesdienst 2003 | |
Ganz klein, weit unter ihm, liegen die Kirchen. Gotthold Hasenhüttl blickt | |
von seiner Terrasse aus auf sie hinunter und zählt: Sankt Johannes, Sankt | |
Elisabeth, Sankt Johann, Sankt Michael, Maria Königin. Weiter hinauf kann | |
man nicht in Saarbrücken. Das Haus, in dem Hasenhüttl lebt, steht am Rand | |
des Talkessels, in dem die Stadt liegt, ein Appartementhaus aus den | |
Sechzigerjahren, weiß, klare Linien. Seine Wohnung ist ganz oben, die | |
Terrasse, auf der er steht, riesig, gut hundert Quadratmeter. „Kommen Sie“, | |
sagt er. | |
Gotthold Hasenhüttl ist Theologe, das konnten sie ihm nicht wegnehmen. | |
Früher war er auch katholischer Priester und Professor für Systematische | |
Theologie an der Universität Saarbrücken. Er war schon lange vor jenem Tag | |
im Mai 2003 ein Widerständler, aber an diesem Christi Himmelfahrt, als | |
Hunderttausende in Berlin den Ökumenischen Kirchentag feierten, hatte er | |
zum ökumenischen Gottesdienst geladen. Alle sollten kommen, um die | |
Kommunion zu empfangen. Nicht nur Katholiken. Nach deren Kirchenrecht ist | |
das verboten. Im Juli 2003 wird Hasenhüttl als Priester suspendiert, drei | |
Jahre später entzieht man ihm die kirchliche Lehrerlaubnis. | |
Er ist einer der radikalsten Kirchenkritiker Deutschlands, der jetzt in | |
sein Wohnzimmer bittet, ein streitbarer Mann. Hasenhüttl spricht, während | |
die katholische Kirche schweigt. Er stellt infrage, während sie dogmatisch | |
ist, macht transparent, während sich das System in Nebel hüllt. Seitenweise | |
hat er die Korrespondenz mit dem Vatikan zu seiner Suspendierung auf seine | |
Homepage gestellt. | |
Seine Wohnung wirkt wie ein Ort, in dem jemand, der viel denkt, eine Menge | |
Zeit verbringt. Ein Ort, an den jemand, der viel reist, gern zurückkommt. | |
Als hätte der Chefausstatter eines James-Bond-Klassikers aus den Sechzigern | |
eine verdammt gute Woche gehabt. An der Decke hängt das Horn eines | |
Einhorns. „Ah! Glauben Sie nicht?“ Hasenhüttl ist begeistert, ein Junge, | |
der einen guten Scherz gemacht hat. Auf der Fensterbank steht ein Trumm von | |
einem Schiff, chinesisch, ganz aus Jade. „Jade, verstehen Sie! Das Symbol | |
der Reinheit und der Erfüllung.“ Die Stühle sind aus dunklem Holz | |
geschnitzt, ganze thailändische Baumstämme. Schlangenhäute, Kakteen, eine | |
ägyptische Gottheit, jüdische Devotionalien, ein Leopardenfell, | |
Bücherregale, meterlang. Auf einem steht eine Bronzefigur: eine nackte Frau | |
gebiert einen Totenschädel. „Die misslungene Geburt“, sagt der Theologe. | |
Das Jahr 2010 war ein katastrophales Jahr für die katholische Kirche. Es | |
scheint, als wäre sie von einer Institution, die die Gesellschaft schützen | |
soll, zu einer geworden, die die Gesellschaft bedroht. Im Januar wurden die | |
Übergriffe am Berliner Canisius-Kolleg bekannt, danach meldeten sich immer | |
mehr Opfer. Am Benediktinerkloster Ettal, bei den Regensburger Domspatzen. | |
Der Augsburger Bischof Walter Mixa trat nach öffentlichen Lügen zurück, er | |
hatte als Stadtpfarrer Kinder geschlagen. Anfang Dezember wurde ein | |
Gutachten veröffentlicht, das die planmäßige jahrzehntelange Vertuschung | |
von Missbrauch durch kirchliche Mitarbeiter in Bayern belegt. | |
Muss dieses System nicht irgendwann mal auseinanderbrechen, Herr | |
Hasenhüttl? Vielleicht sogar bald? „Religion ist unwahrscheinlich zäh“, | |
antwortet er, „Verelendungstheorien sind sehr problematisch.“ Das | |
ägyptische System habe schließlich dreitausend Jahre überdauert, da hätte | |
die Kirche noch tausend vor sich. Religion sei ein komplexes System aus | |
mythischer Angst und anthropologischen Konstanten. Hasenhüttl hat mal | |
gesagt, die katholische Kirche sei wie ein vergifteter Fluss: „Wer aus ihm | |
trinkt, stirbt.“ Lässt sich dieser Fluss reinigen? „Mit einer Kläranlage | |
ginge das schon“, sagt er und zupft an seiner Krawatte. Die Kläranlage, das | |
wäre dann, nach Hasenhüttl: eine Umkehr der Institution. | |
War er einsam nach dem Rauswurf? Nach 45 Jahren Kirchendienst? „Ich bereue | |
nichts“, sagt er, „ich habe das daher relativ leicht überwunden.“ Er hä… | |
sich auch entschuldigen können, geloben, nie wieder eine ökumenische | |
Eucharistie zu feiern. „Dann würde Benedikt sagen: Ungehorsamer Sohn, jetzt | |
kommst du wieder in den Schoß der Kirche zurück.“ Das wäre eine | |
Kleinigkeit, sagt Hasenhüttl. „Würde ich aber nie tun.“ | |
Man kann sich das gut vorstellen, wie er in seinem Kuriositätenkabinett | |
brütet. In diesem Gegenentwurf zur Enge des katholischen Denkens. Und er, | |
gerade 77 Jahre alt geworden, passt gut in diese Wohnung: hellbrauner | |
Anzug, knitterfrei, rosabraunbeiges Hemd, die hellgelben Haare nach hinten | |
gefönt. Seine Stimme klingt warm, österreichisch, er ist in Graz geboren. | |
Er lacht viel, wie ein junges Bergzicklein. | |
Mit Ratzinger im VW | |
Ende der Fünfzigerjahre hatte Hasenhüttl in Rom die Priesterweihe | |
empfangen, promoviert hat er 1962 und zehn Jahre später noch einmal – über | |
den Gottesgedanken bei Sartre. Aus dieser Zeit kennt er auch Joseph | |
Ratzinger, da war der noch Professor in Tübingen und Hasenhüttl sein | |
Assistent. Ratzinger hatte keinen Führerschein, also hat der Jüngere ihn | |
damals im VW herumkutschiert. Jetzt, 2010, macht Hasenhüttl Ratzinger | |
direkt verantwortlich für das systematische Vertuschen des | |
Missbrauchsskandals der Kirche. Als Präfekt der Glaubenskongregation habe | |
jener im Mai 2001 in einem Schreiben an alle Bischöfe untersagt, | |
Missbrauchsfälle öffentlich zu machen – unter Androhung kirchenrechtlicher | |
Strafen. | |
„Es werden Menschenrechte missachtet!“, ruft Hasenhüttl nun. „Und der St… | |
schützt das!“ Eine halbe Milliarde Euro bekomme die katholische Kirche | |
jedes Jahr vom Staat, „aber dieses Mitspielen“, sagt er, „das finde ich | |
viel schlimmer.“ Er erzählt von der Kindergärtnerin in einem katholischen, | |
staatlich subventionierten Kindergarten, die ein zweites Mal heiratet und | |
dann auf die Straße gesetzt wird. „Die katholische Kirche hat nie die | |
Europäischen Menschenrechtskonventionen unterschrieben“, sagt er, „das ist | |
doch unglaublich.“ | |
Angst vor der Freiheit | |
Abschaffung des Zölibats, Frauen als Priester? Macht der Papst nicht, sagt | |
Hasenhüttl: „Dann platzt der Luftballon. Das ganze Konstrukt bricht | |
zusammen.“ | |
Seine Vision von Kirche funktioniert nach dem Prinzip der Subsidiarität, | |
ein Begriff aus der Soziallehre. Die staatliche Macht wird begrenzt und nur | |
dort eingesetzt, wo die kleinste Einheit Hilfe benötigt. Der Einzelne, die | |
Familie, die Gemeinde. „Von unten nach oben sozusagen“, erklärt Hasenhütt… | |
Dann wäre die Kirche kein Machtinstrument, das den Einzelnen bevormundet. | |
Sondern eine herrschaftsfreie Kirche. „Das wird natürlich nichts“, sagt er, | |
„zu viel Angst vor der Freiheit der Menschen.“ Freiheit, sagt Hasenhüttl, | |
könne ja zu Unordnung führen – das kommt bei der Kirche nicht gut an. | |
Vor einigen Jahren hatte der Theologe noch gesagt, dass die Geschichte ihm | |
– was Reformen in der katholischen Kirche betrifft – in zwanzig, dreißig | |
Jahren Recht geben werde. „Vielleicht bin ich heute pessimistischer“, sagt | |
er nun, „vielleicht müssen wir eher noch fünfhundert Jahre warten.“ | |
Andererseits habe Honecker ja auch gesagt, die Mauer steht noch hundert | |
Jahre. „Wenn eine schwangere schwarzafrikanische Frau zur Päpstin gewählt | |
wird“, sagt er, „dann haben wir es geschafft.“ | |
17 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Jana Petersen | |
## TAGS | |
sexueller Übergriff | |
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