# taz.de -- Bankrott in Griechenland: Schock ohne Wirkung | |
> Die Griechen mussten 2010 brutal sparen. Nun stimmt das Parlament über | |
> den noch härteren Haushalt 2011 ab. Der Wut des Volkes folgt allmählich | |
> Lethargie. | |
Bild: "Ich vergesse nicht, ich vergebe nicht": Ein Demonstrant im Dezember in A… | |
Im Mai dieses Jahres begann sie, die Schuldenkrise, die Griechenland an den | |
Rand des Staatsbankrotts gebracht hat. Auf den Straßen sprachen die | |
Menschen damals von Aufstand, Banken brannten. Doch heute sind vielen | |
Griechen die revolutionären Gefühle abhanden gekommen. | |
Eine "Troika" aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und | |
Internationalem Währungsfonds (IWF) hatte den Griechen im Gegenzug für eine | |
Kreditlinie von 110 Milliarden diktiert, wie sie ihre öffentlichen Finanzen | |
sanieren sollen. Den Griechen wurde klar: Ohne Kredite von EU und IWF gibt | |
es kein Geld von den Finanzmärkten, es droht der Staatsbankrott. | |
Der Familienvater Vassilis ging damals wütend demonstrieren, doch heute | |
fragt er sich ratlos: "Gegen wen soll sich meine Wut richten? Gegen | |
Finanzminister Papakonstantinou? Oder gegen die alte Regierung, die uns das | |
Chaos hinterlassen hat? Gegen die Troika oder gegen die Finanzminister der | |
Eurozone, die uns das Sparprogramm diktieren?" Seitdem wurden die Einkommen | |
im öffentlichen Dienst um durchschnittlich 20 Prozent gekürzt. Rechnet man | |
höhere Steuern, Abgaben und Inflation hinzu, haben fast alle Griechen heute | |
etwa ein Viertel weniger Geld zur Verfügung als vor einem Jahr. Dennoch ist | |
die Revolution ausgeblieben. Zwar gingen in den großen Städten Zehntausende | |
auf die Straße, wenn die Gewerkschaften einmal im Monat den Generalstreik | |
ausriefen. Aber der wurde fast nur vom öffentlichen Dienst getragen. | |
"Die ökonomische Krise wurde von den Bürgern hingenommen, als hätten alle | |
mit ihr gerechnet", resümierte kürzlich ein Leitartikler in der | |
renommierten Tageszeitung To Vima. Eine Momentaufnahme? Beim Generalstreik | |
am 15. Dezember waren wieder mehr Demonstranten auf den Beinen als im | |
Sommer. Das ganze Land stand still: Züge, Flugzeuge, Schiffe, Schulen; | |
Universitäten und Gerichte blieben geschlossen; Krankenhäuser versorgten | |
nur Notfälle. Am Vorabend hatte die Vorsitzende der kommunistischen Partei | |
KKE, Aleka Papariga, proklamiert: "Jetzt erst beginnt der Krieg." | |
Sie reagierte damit auf zwei neue Gesetze, mit denen die Regierung bei | |
öffentlichen Unternehmen sparen will, die Rechte der Beschäftigten im | |
privaten Sektor beschneidet und Unternehmen gestattet, die Löhne unter den | |
Tariflohn abzusenken. Deshalb beteiligten sich am Generalstreik vom | |
Dezember auch viele privat Beschäftigte. Die zeigten bisher wenig Lust, | |
gegen Einkommenskürzungen der öffentlichen Bediensteten zu protestieren, | |
die im Schnitt 40 Prozent mehr verdienen. In Griechenland wissen viele, | |
dass der aufgeblähte öffentliche Dienst ein Hauptgrund für die gigantischen | |
Löcher im Staatshaushalt ist. Als kürzlich ein ehemaliger Innenminister der | |
Regierung Simitis erklärte, dass 30 Prozent aller Staatsdiener | |
"überflüssig" seien, hat ihm niemand widersprochen. Auch nicht die | |
Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. | |
Doch auch die jüngsten Gesetze werden nicht bewirken, dass eine dauerhafte | |
Gewerkschaftsfront gegen das Sparprogramm zustande kommt. Wirksam streiken | |
können ohnehin nur einzelne Berufsgruppen, die von strategischer Bedeutung | |
sind. Zum Beispiel die Athener Busfahrer, oder die Gewerkschaft des | |
staatlichen Stromversorgers DEI, die mit einem landesweiten Blackout droht, | |
um die Kürzung ihrer Bezüge abzuwehren. | |
Gegen das Ohnmachtsgefühl können auch vier Wochen Generalstreik nichts | |
ausrichten. Der melancholische Stoßseufzer "ti na kanoume?" (was können wir | |
schon machen?) ist das unausgesprochene Leitmotiv, wenn die Menschen in | |
Athen und Thessaloniki vom griechischen Alltag 2010 erzählen. Diese | |
Melancholie weicht immer mehr einer tieferen Verzweiflung. Sie rührt von | |
dem Zweifel, ob die Opfer sich jemals auszahlen werden. "Die Griechen sehen | |
ja ein, dass all die Einschnitte und Opfer nötig sind", schreibt ein | |
Kommentator in Kathimerini, "aber sie wollen wissen, wann sich Griechenland | |
aus dem Loch herauswühlen kann, in dem es sich befindet." | |
Die meisten Griechen kritisieren das Sparprogramm als unfair, weil die | |
Lasten ungerecht verteilt sind. Sie begreifen, dass sie kollektiv für die | |
Sünden des alten Klientelstaats haftbar gemacht werden. Das griechische | |
System war ein parasitäres System der staatlichen Verschwendung, des | |
leichten Profits und der Korruption, erklärt ihnen Michalis Chrysochoidis, | |
der Minister für Entwicklung (um die sich in den letzten Jahren keine | |
Regierung gekümmert hat). "Dieses Griechenland der Blase ist tot", sagt | |
Chrysochoidis. Deshalb sei seine Regierung zu so harten Umbrüchen | |
gezwungen. Aber selbst wenn seine Griechen diese Schocktherapie verstehen | |
und ertragen wollen, haben sie Angst, dass es ein Schock ohne Ende und | |
Therapie ist. | |
Die Angst ist berechtigt. Für 2010 weist die griechische Wirtschaft ein | |
Minuswachstum von 4,3 Prozent auf, 2011 wird sie um weitere 3,5 Prozent | |
schrumpfen, prognostiziert die EU. Mit dem Ende der Rezession wird | |
frühestens Ende 2012 gerechnet. Die radikale Senkung der Masseneinkommen | |
hat nicht nur die Rezession verschärft, sondern auch die Sparziele selbst | |
unterminiert. Das wissen inzwischen alle Beteiligten. Deshalb wird derzeit | |
zwischen Athen und Brüssel nur noch über ein Thema diskutiert: Die | |
Rückzahlung der gewaltigen Schuldensumme, die Griechenland bis 2014 | |
angesammelt hat, muss über sehr viel mehr Jahre gestreckt werden. | |
18 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Niels Kadritzke | |
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