# taz.de -- Embedded in Afghanistan: "It's a war, right" | |
> Soldaten im Krieg müssen töten - oft aber auch einfach Zeit totschlagen. | |
> An einen erfolgreichen Ausgang glauben viele nicht mehr, sie fürchten ein | |
> zweites Vietnam. | |
Bild: Krieg heißt oft auch einfach, Zeit totzuschlagen. | |
GHAZNI/KABUL taz | "Chicks" ist in Pink auf die Toilettentür gesprüht. | |
Drinnen stinkt es nach Chemikalien, überall knirscht Sand, die Spiegel sind | |
verkratzt. Die Toilette wirkt verwaist. Von den rund 1.500 Soldaten hier in | |
der Basis sind nur 60 Frauen. | |
Eine Stunde hat der Flug mit dem Helikopter von Kundus nach Ghazni | |
gedauert. Endlich erleichtert stell ich fest, dass ich mich verlaufen habe. | |
Keine Ahnung, wo der Rest meiner Truppe ist. Diese Unaufmerksamkeit wird | |
mir den besten Teil der Reise bescheren. Ich höre Einschätzungen, für die | |
die Amerikaner mir diesen Trip wohl nicht bezahlt haben. Denn wir sind | |
embedded. | |
Wir, das ist eine Gruppe von zwei US-Journalisten, einem Kollegen aus | |
Istanbul, einem aus Paris, einem aus London und mir, der einzigen Frau. Wir | |
sind von den jeweiligen US-Botschaften eingeladen worden zu einer | |
sechstätigen Informationsreise nach Afghanistan. | |
Eigentlich haben wir hier gar nichts zu suchen. Sondern sollten in eine | |
ganz andere FOB (Forward Operating Base, Außenlager) gebracht werden. Dort | |
hätten die Soldaten gewusst, was sie sagen sollen, wenn sie mit uns | |
sprechen. In diesem sandigen Lager aber ist keiner auf uns vorbereitet. | |
Unsere Piloten, Mitglieder privater Sicherheitsfirmen, die für die Embassy | |
Air arbeiten, haben irgendwie die Karte falsch gehalten; uns abgesetzt und | |
sich dann aus dem Staub gemacht. | |
Meinen unverhofften Informanten bei den Amerikanern nenne ich Michael. Weil | |
ich nicht möchte, dass der Sergeant seine Offenheit bereuen muss. Michael, | |
kurze Hose, ganz schön haarige Beine, die strumpflos in Nike-Turnschuhen | |
stecken, schwarzes T-Shirt mit grauem "ARMY"-Aufdruck, kümmert sich um | |
mich, die ganzen vier Stunden, bevor uns der Helikopter zurückfliegt. Wir | |
müssen pünktlich sein, am Abend sind wir bei US-Botschafter Eikenberry zum | |
Dinner eingeladen. Dort werden die Informationen wieder geregelt fließen. | |
Hier geht es vorbei an grauen Sandsäcken, öden Containern, | |
Bretterverschlägen. Die einzigen Farbtupfer kommen von den Klamotten, die | |
hinter blinden Scheiben zum Verkauf angeboten werden. T-Shirts, | |
Sportjacken, Unterwäsche im Weihnachtslook. | |
Michael kommt gerade aus dem Fitnesscenter, als er mich aufgabelt. | |
Wahnsinn. Selbst die nobleren Berliner Sportstätten nehmen sich dagegen wie | |
Gymnastikstuben im staatlichen Altersheim aus. Man sieht, dass Michael | |
regelmäßig läuft und stemmt, sich dehnt und schwitzt. "Wenns geht, dreimal | |
am Tag, zwei Stunden", sagt er. Alle täten das. "We have to kill a lot of | |
time here" - wir müssen hier ne Menge Zeit totschlagen. | |
Später erzählt mir der 26-Jährige aus Virginia, dass das sein fünfter term | |
ist. Dreimal war er schon im Irak, jetzt zum zweiten Mal in Afghanistan. | |
Und ja, im Irak musste er auch töten. "Its a war, right." | |
Ich begegne zum ersten Mal in meinem Leben bewusst jemandem, der Menschen | |
getötet hat. Hier, an diesem unwirklichen Ort, spreche ich das aus. In | |
Michaels grünblauen Augen ist nicht der leiseste Schimmer von List: | |
"Wirklich?", wundert er sich. Ich habe schon länger nicht mehr an meine | |
Großväter gedacht. | |
Mittlerweile sitzen wir in einem fensterlosen Holzverschlag. Zielsicher hat | |
mich Michael zur Leitstelle gebracht. Dort schlürfen meine Kollegen bereits | |
dampfenden Kaffee. Keiner hat sich Sorgen gemacht. Hmm. | |
Der Commander, seit 17 Jahren im Einsatz, versucht rauszufinden, warum wir | |
hier sind. Laut spricht er ins Telefon. Dieselbe Marke wie bei uns in der | |
taz in der Rudi-Dutschke-Straße. Globalisierte Welt. Er scheint schlecht zu | |
hören. Wer weiß, wie viele Angriffe er schon verdammt hautnah erlebt hat. | |
Ich erzähle vom beeindruckenden "morning stand up" mit General Petraeus. | |
Davon, wie im Situational Awareness Room jeden Morgen ab 7.30 Uhr Krieg | |
gemacht wird. Wie mit Hilfe von Videoschalten die Fortschritte in den | |
einzelnen Regionen vermarktet werden. Michael hat keine Fragen. | |
Petraeus. Den kennt er schon aus dem Irak. Selber Chef, selbe Strategie. Ob | |
die Sinn mache in Afghanistan? "Hat ja schon im Irak nicht wirklich | |
funktioniert. Und das war wenigstens ein Land. Hier sind das doch nur | |
einzelne Stämme und Regionen." An einen erfolgreichen Ausgang der | |
Afghanistan-Mission glaubt der langgediente Sergeant nicht mehr. "Das ist | |
nicht zu gewinnen. Das wird unser neues Vietnam." | |
Die Offiziellen, denen wir während unserer Reise immer wieder begegnen | |
werden, versuchen verzweifelt, ein anderes Bild zu vermitteln. Mit viel | |
PowerPoint, Tischvorlagen und großflächigen Tafeln erklären sie uns, warum | |
zwar im Moment noch die Opferzahlen stetig steigen, aber spätestens im | |
August des kommenden Jahres dann alles besser werde. Dann nämlich sollen | |
zentrale Punkte in Afghanistan von Terroristen befreit sein. Mein Kollege | |
aus der Türkei war vor fünf Jahren schon einmal embedded unterwegs. Schon | |
damals, sagt er, habe man behauptet, "jetzt, jetzt sind wir kurz vor dem | |
Durchbruch". So viel PowerPoint habe es noch nicht gegeben. | |
Die Amerikaner sind mittlerweile rund drei Wochen länger in Afghanistan, | |
als es die Russen insgesamt waren. Doch erst jetzt hätten sich die | |
internationalen Truppen wirklich zusammengefunden, jetzt habe man die | |
richtige Strategie, mit Petreaus den richtigen Kopf an der Spitze, auch der | |
Rückhalt in der Bevölkerung sei an der einen oder anderen Stelle doch | |
zumindest etwas gewachsen. | |
Michael sieht das anders. Die Afghanen seien bei denen, die ihnen das | |
meiste Geld geben. "Wenn sie mehr Geld mit Drogen machen als mit | |
Gemüseanbau, dann gibt es keine Fragen." | |
Später in der Woche haben die Amerikaner ein Treffen mit VertreterInnen | |
ziviler Organisationen arrangiert, auch mit afghanischen Journalisten (nur | |
Männern). Sie zeichnen ein noch viel düsteres Bild. Die Korruption ist für | |
sie das Hauptproblem. "Wie sollen wir jemals erfolgreich sein mit einem | |
Führer, dem niemand vertraut", sagt Barry Salam, Radiomann und | |
Menschenrechtsaktivist. Die Männer und Frauen sind tief frustriert. Sie | |
haben Jahre im Ausland verbracht und kamen in den vergangenen fünf Jahren | |
zurück, um ihr Land wieder aufzubauen. | |
Auch die Vertreterinnen von Frauenorganisationen machen wenig Hoffnung. Von | |
einer verbesserten Situation können sie nichts berichten. Im Gegenteil, | |
seit einigen Jahren verschlechtere sich die Lage der Frauen wieder, draußen | |
in den ländlichen Gebieten, aber auch innerhalb der Regierung. Die Quote | |
sei abgeschafft, nun seien es wieder die alten Kriegsherren, die Geld und | |
Macht untereinander aufteilten, empört sich Afifa Azim. Sie ist die | |
Vorsitzende der afghanischen Frauenunion. Die Mitarbeiterin des | |
Botschafters, die bei dem Gespräch dabei ist, wird hinterher sagen, dass | |
auch diese Personen sehr weit weg sind vom Alltag der Bevölkerung. Und dass | |
sie mit der Forderung, junge, unbelastete Führungskräfte in der Regierung | |
zu etablieren, in erster Linie sich selbst zu mehr Einfluss verhelfen | |
wollen. | |
Am Mittag haben wir Glück und werden eingeladen, bei den Verhandlungen mit | |
dem Landrat von Ghazni dabei zu sein. Er will über die Erweiterung des | |
Kühlhauses sprechen. Wir fragen ihn, was am dringendsten gebraucht wird. | |
Fast huldvoll zückt er eine Liste: Parkplätze, auf beiden Seiten der | |
Straße, und Museen. Ghazni ist eine Stadt mit reicher Kulturgeschichte. Die | |
anwesenden Soldaten verdrehen die Augen: Im kommenden Jahr brauche er rund | |
190 Millionen Dollar, um Ghazni aufzuhübschen. | |
Wir essen zusammen Mittag. Es gibt ein reichhaltiges Buffet. Die Köche | |
kommen aus Polen. Es schmeckt fast wie zu Hause. Gegen die deftige braune | |
Fleischsoße hat auch Cola light aus der Dose keine Chance. | |
3.800 Dollar verdient Michael im Monat. Würde er bei einer privaten | |
Sicherheitsfirma anheuern, könnte er locker das 6-Fache machen, sagt er. | |
Und hätte dabei eine viel besser Ausrüstung und deutlich mehr Urlaub. | |
15 Tage im Jahr hat er frei. Wobei erst gezählt wird, wenn er | |
amerikanischen Boden betritt. Auch beim Fliegen haben die Soldaten eine | |
Menge Zeit totzuschlagen. Oft hängen sie tagelang auf Flughäfen rum, bevor | |
es einen freien Platz gibt. | |
Ob er Weihnachten lieber zu Hause wäre, oder an Thanksgiving Heimweh hatte, | |
will ich wissen. Was er an diesem Thanksgiving gemacht hat, erinnert er gar | |
nicht mehr. Auch nicht, ob die polnischen Köche Truthahn serviert haben. | |
Eine Freundin hat er nicht. Für zwei Wochen nach Hause und dann wieder | |
zurück, das täte auch nicht gut. | |
Dieses eine Mal wird Michael sauer. Seine Eltern, einfache Leute, würden | |
mit ihrem wenigen Geld diesen Krieg bezahlen. Sicher habe er sich auch | |
verpflichtet, um "den Garten meiner Eltern von Terroristen frei zu halten". | |
Aber es sei mithin schon unerträglich zu sehen, wie viel Geld hier | |
verplempert würde. | |
Für 1,5 Millionen Dollar habe man außerhalb des Lagers eine Wäscherei | |
gebaut, die von Zivilisten betrieben würde, weil man ja langsam eine zivile | |
Gesellschaft aufbauen wolle. Wenn er dort seine Klamotten hinbrächte, | |
bekäme er nur die Hälfte zurück. Um sich seine Unterhosen dann für den | |
doppelten Einkaufspreis in den Shops zurückzukaufen. | |
Beim Abschied umarmen wir uns. Mein "Merry Christmas" ist so was von | |
deplatziert. | |
"Danke", denk ich, als der Helikopter im großen Bogen über die FOB fliegt. | |
Selbst von hier oben sieht man das große Dach der Sporthalle. Ob sie am | |
Heiligen Abend besonders voll ist? | |
17 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Ines Pohl | |
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