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# taz.de -- Menschenrechte in Honduras: Allein mit den Putschisten
> In den Straßen Honduras patrouilliert Militär, es macht Jagd auf
> Oppositionelle. "Das ist Staatsterrorismus", sagt Aktivistin Berta Oliva.
> Und spricht von Todesschwadronen.
Bild: Berta Oliva und Bilder gegen das Vergessen. Sie zeigen Gesichter von Ermo…
TEGUCIGALPA taz | Wenn es um Menschenrechte geht in Honduras und um deren
Verteidigung, ist sie seit drei Jahrzehnten die erste Adresse: Berta Oliva,
Gründerin und Vorsitzende des Komitees der Familienangehörigen der
verhafteten Verschwundenen (COFADEH). Sie war das immer freundliche
Gesicht, das einem begegnete, wenn man Informationen zu einem gar nicht
freundlichen Thema suchte.
Groß, elegant, charmant. Man sah ihr das Alter nicht an. In ihren Anklagen
war sie hart und präzise. Immer hoch konzentriert und dabei trotzdem von
einer entwaffnenden Herzlichkeit.
Heute merkt man ihr an, dass sie 55 Jahre alt ist; man würde sie für älter
schätzen. Sie sieht müde aus, hat dunkle Ringe unter den Augen. Im Gespräch
verliert sie oft den Faden, manchmal mitten im Satz. Sie geht langsam die
Treppe hinauf in ihr abgedunkeltes Büro im ersten Stock des COFADEH-Sitzes
am Rand der Altstadt von Tegucigalpa. Draußen drängen sich viel zu viele
Autos durch die schmalen Gassen des schmutzigen Zentrums der provinziell
wirkenden Hauptstadt.
Berta Oliva kauert unruhig hinter ihrem Schreibtisch, im Hintergrund ein
Hupkonzert. Sie schlafe schlecht, sagt sie. Sie hat Rückenschmerzen; im
Stehen stützt sie ihr Kreuz mit einer Hand. Berta Oliva ist
niedergeschlagen, ja verzweifelt. Ein Jahr ist es jetzt her, dass durch die
Wahl von Porfirio Lobo zum Präsidenten das Land nach offizieller
Darstellung zur Demokratie zurückgekehrt ist. "Es ist schlimmer als direkt
nach dem Putsch", sagt sie. Und: "Ich weiß keinen Ausweg mehr."
Nur vier Monate und zwei Nächte Oliva hat viel mitgemacht in ihrem Leben,
viel weggesteckt. Ihre Geschichte mit den Menschenrechten beginnt am 11.
Juni 1981. Damals war sie 25 Jahre alt und frisch verheiratet. Ihr Mann
Tomás Nativí war Lehrer, Gewerkschafter und Kommunist. "Ich habe mich in
diesen Mann verliebt, weil er eine Vision hatte für unser Land", erzählt
sie. "Er wollte, dass alle Kinder in die Schule gehen, dass alle ein Dach
über dem Kopf haben." So einfach können Visionen sein. Und gefährlich.
In Honduras herrschte damals das Militär. Im benachbarten Nicaragua war die
sandinistische Revolution gerade zwei Jahre alt. Am Abend jenes 11. Juni
drangen Soldaten in das Haus des jungen Ehepaars ein. "Sie haben meinen
Mann geschlagen, bis er bewusstlos war." Dann haben sie ihn mitgenommen.
"Ich war vier Monate mit ihm verheiratet, im dritten Monat schwanger und
habe zwei Nächte mit ihm verbracht", fasst sie ihre kurze Ehe zusammen.
Tomás Nativí ist einer von 184 Menschen, die zwischen 1979 und 1989 in
Honduras von Sicherheitskräften verschleppt wurden und seither verschwunden
sind. 1982 gründete Berta Oliva zusammen mit anderen Angehörigen von
Verschwundenen die Menschenrechtsorganisation COFADEH. Seither hat sie sich
nur noch ihrer einzigen, inzwischen erwachsenen Tochter und der
Menschenrechtsarbeit gewidmet.
"Ich mache diese Arbeit schon fast dreißig Jahre", sagt sie. "Ich habe fast
alles erlebt." Ihr Büro wurde mit Tränengas-Granaten angegriffen. Sie bekam
Todesdrohungen und musste sich verstecken. "Aber ich wurde nie daran
gehindert, illegale Verhaftungen anzuzeigen." Auch nach dem Militärputsch
im Juni vergangenen Jahres "konnte ich ungehindert in die Gefängnisse
gehen, selbst wenn dort gerade gefoltert wurde". Berta Oliva prangerte die
Repression an und die internationale Gemeinschaft interessierte sich dafür.
Soldaten neben der Wahlurne
Dann kam die Wahlfarce vom 29. November vergangenen Jahres. Am Abend dieses
Tages drängten sich die Journalisten in ihrem Büro und sie fasste die Lage
zusammen: Dass in den frühen Morgenstunden des Wahltags das Militär über
die Armenviertel der Hauptstadt hergefallen war. Dass in den Wahllokalen
Soldaten direkt neben der Urne standen, obwohl sie nach dem Gesetz in
diesen Räumen nichts zu suchen hatten. Dass nur sehr wenige Honduraner ihre
Stimme abgegeben haben. Das war Berta Olivas letzter großer Auftritt.
Seither sind in Honduras über 50 Mitglieder der in der Nationalen
Widerstandsfront zusammengeschlossenen Opposition ermordet worden.
Gewerkschafter werden verfolgt, Streiks und Landbesetzungen vom Militär
niedergeschlagen. Bauern-Kooperativen werden von Todesschwadronen
terrorisiert. Durch die Armenviertel der Städte fahren Geländewagen mit
abgedunkelten Scheiben und ohne Nummernschilder.
Die Männer in Zivil, die darin sitzen, zeigen Fotos herum von den örtlichen
Organisatoren der Opposition. "Wie soll man das nennen?" fragt Oliva und
antwortet erzürnt: "Todesschwadrone! Das ist Staatsterrorismus!"
Keines dieser Verbrechen wird von der honduranischen Justiz verfolgt. Die
interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer
Staaten (OAS) stellt fest: "Weder der Oberste Gerichtshof noch die
Staatsanwaltschaft erfüllen ihren verfassungsgemäßen Auftrag. Berta Oliva
beschreibt das so: "Wir müssen Menschenrechtsverletzungen bei der
Generalstaatsanwaltschaft anzeigen, aber dort sitzen die Putschisten."
Generalstaatsanwalt Luis Alberto Rubí gehörte beim Putsch zum engsten Kreis
der Verschwörer.
"Sie machen einfach gar nichts", sagt Oliva. Aber das Weiße Haus in
Washington bescheinigte "der Regierung von Porfirio Lobo bedeutende
Fortschritte in Fragen von Menschenrechten". Die honduranische Armee
bekommt wieder Militärhilfe aus den USA.
Demokratie nur zum Schein
Der neue Präsident Porfirio Lobo hat in Honduras eine perfide Fassade
aufgebaut. Ein Menschenrechtsministerium wurde geschaffen und eine
Wahrheitskommission einberufen, die den Putsch untersuchen soll. Mitglied
dieser Kommission ist zum Beispiel Julietta Gonzalina Castellanos, die
Rektorin der Autonomen Nationaluniversität. Diese hat selbst zugegeben, das
Militär aus dem Universitätsetat mit Geld versorgt zu haben, damit es einen
Streik auf dem Unigelände niederschlägt. Die Putschisten erforschen die
Wahrheit über sich selbst. "Der Zynismus der Regierung ist grenzenlos, und
die Welt schluckt das einfach", sagt Oliva. "Das macht mich sprachlos."
Fast alle tun so, als wäre nichts gewesen. Die USA ohnehin. Auch die
Europäische Union hat die zunächst eingefrorene Entwicklungshilfe längst
wieder aufgenommen. Selbst Mauricio Funes, Präsident der ersten
Linksregierung im benachbarten El Salvador, müht sich eifrig, seinem
pseudodemokratischen Kollegen Porfirio Lobo zurück aufs diplomatische
Parkett zu helfen. Ein gutes Verhältnis zu den USA ist ihm wichtiger als
die politische Moral.
"Sie alle verteidigen eine korrupte Elite, die sich mit Gewalt den Staat
angeeignet hat", sagt Oliva. "Nach dem Putsch waren wenigstens die Augen
der Welt auf uns gerichtet. Jetzt interessiert sich niemand mehr dafür, was
in Honduras passiert."
Sie sitzt allein in ihrem Büro am Rand der Altstadt von Tegucigalpa. Das
traditionelle Stadthaus mit schmaler Fassade zur Straße hin und einem
lichten offenen Innenhof hat schon bessere Zeiten gesehen. Putz blättert
von den Wänden, das Dach ist nicht dicht, es riecht muffig. Langsam steigt
Berta Oliva die Treppe hinunter. Auf jeder Stufe ruht sie kurz aus.
Unten im kleinen Innenhof lehnen Plakatwände an der Wand: riesig
vergrößerte Passfotos in Schwarz-Weiß. Sie zeigen die Gesichter von
Ermordeten und Verschwundenen, darunter das Datum des Tages, an dem sie
starben oder verschleppt wurden. Ein bekanntes Bild. In den blutigen
siebziger und achtziger Jahren der Militärdiktaturen Lateinamerikas wurden
solche Plakate bei jeder Demonstration durch die Straßen getragen. Doch die
Fotos im Innenhof des Büros von COFADEH sind keine Erinnerungsstücke aus
vergangenen Tagen. Unter den Gesichtern stehen Daten aus den Jahren 2009
und 2010.
21 Dec 2010
## AUTOREN
Toni Keppeler
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