# taz.de -- Debatte Populismus und "Die Linke": Autoritäre Atheisten | |
> Die Linkspartei sollte die strikte Trennung von Religion und Staat | |
> fordern. Sie könnte so islamfeindliche Ressentiments ansprechen, ohne | |
> einer Diskriminierung das Wort zu reden. | |
Bild: Könnte Linkspartei-Programm sein: Kreuz und Halbmond runter, rote Wimpel… | |
Über 1,2 Millionen Mal hat sich Sarrazins Untergangsfibel bislang verkauft | |
und ihren Autor zum mehrfachen Millionär gemacht. Bleibt die Frage, wem es | |
gelingt, aus dem Ressentiment gegen Muslime nun auch politisches Kapital zu | |
schlagen. Die Union, die in den letzten Wochen mehrfach rechts geblinkt | |
hat? Die FDP, wie der Politologe Franz Walter meint (taz vom 13. 12.)? Oder | |
ein neuer Rechtspopulist vom Schlage eines Geert Wilders, wie Robert Misik | |
(taz vom 17. 12.) nahelegt? Doch es muss nicht immer eine Rechtspartei | |
sein, die solche Stimmungen aufgreift. Auch die deutsche Linkspartei ist | |
geradezu prädestiniert dafür, dieses Protestpotenzial aufzusaugen. | |
Keineswegs sind Vorurteile gegenüber Muslimen nur unter Konservativen | |
verbreitet, die um ihr "christliches Abendland" bangen. Auch in der | |
bürgerlichen Mitte und unter Linken sind islamfeindliche Einstellungen auf | |
dem Vormarsch, wie die jüngste Studie des Bielefelder Instituts für | |
Konflikt- und Gewaltforschung zeigt. Es ist nichts Neues, dass viele Linke | |
und Liberale Religionen skeptisch bis ablehnend gegenüber stehen. | |
Problematisch ist dieser antireligiöse Affekt erst dann, wenn er sich mit | |
der pauschalen Diffamierung oder gar aktiven Diskriminierung von Muslimen | |
paart. | |
Linke Ikonen aller Islamfeinde | |
Für diese Haltung gibt es Vorbilder. Nicht zufällig waren viele prominente | |
Islamgegner, die heute in dieser Debatte den Ton angeben, ursprünglich in | |
der politischen Linken zu Hause. Das gilt nicht nur für die Ikonen aller | |
modernen Islamfeinde, den 2002 ermordeten niederländischen Rechtspopulisten | |
Pim Fortuyn oder die 2006 verstorbene Oriana Fallaci. Das trifft auch auf | |
die wichtigen Wortführer der deutschen Anti-Islam-Empörung zu, von Alice | |
Schwarzer über Ralph Giordano bis Necla Kelek. Sie alle verstehen sich wohl | |
als Säkularisten. Weil sie aber nur auf den Islam einschlagen, verteidigen | |
sie den Status quo - und damit die Hegemonie des Christentums in diesem | |
Lande. | |
Warum eigentlich? Die vielen Missbrauchsskandale haben das öffentliche | |
Vertrauen in die katholische Kirche in diesem Jahr bis auf ihre Grundfesten | |
erschüttert. Das böte eigentlich ein gutes Argument dafür, die Rolle des | |
Christentums in diesem Land mal prinzipiell zu überdenken. Und statt | |
Muslimen und anderen Religionen in Zukunft die gleichen Privilegien wie den | |
christlichen Kirchen zu gewähren, wie es die Bundesregierung, aber auch SPD | |
und Grüne anstreben, könnte man diese Privilegien auch ganz abschaffen. | |
Erstaunlicherweise gibt es in Deutschland derzeit keine Parteien und keine | |
Intellektuellen von Format, die für eine stärkere Trennung von Staat und | |
Religion plädieren. | |
Für Volksparteien und solche, die es gern werden oder bleiben wollen, mag | |
es sich nicht ziemen, am deutschen Staatskirchenrecht zu rütteln: Dafür ist | |
das Christentum in diesem Land noch immer zu fest verankert. Eine kleine | |
Oppositionspartei wie die FDP oder die Linke dagegen könnten ihr Profil | |
gerade damit schärfen, für eine stärkere Trennung von Staat und Religion | |
nach französischem Vorbild, Laizismus genannt, einzutreten. Damit ließe | |
sich nicht nur ein Ende der staatlichen Subventionierung der Kirchen, | |
sondern auch ein striktes Kopftuchverbot an staatlichen Schulen fordern, | |
wie es sich Alice Schwarzer erträumt. | |
Weder Kirchturm noch Minarett | |
Zugegeben: In der SPD hat sich erst kürzlich ein Arbeitskreis von | |
"Laizisten" gegründet, der sich genau diese Ziele auf die Fahnen | |
geschrieben hat. Er wurde sofort von der Parteiführung zurückgepfiffen. | |
Ein radikaler Säkularismus, der sich gegen Kirchtürme wie gegen Minarette | |
richtet, würde auch viel eher zur Tradition der Linkspartei passen. Es | |
gehört schließlich zum Kern aller sozialistischen Überzeugungen, in | |
Religion nicht viel mehr als Opium für das Volk zu sehen. Und viele | |
autoritär gesinnte Linke würden alle Religionen am liebsten verbieten - in | |
diesem Sinn hatte die DDR der alten Bundesrepublik ja durchaus etwas | |
voraus. | |
Antireligiöses Ressentiment | |
Von den bisherigen Wählern der Linkspartei würde dieser Kurs sicher | |
honoriert. Die meisten leben im Osten, wo die Mehrheit der ehemaligen | |
DDR-Bürger keiner Kirche angehört. Bei vielen ihrer Anhänger mischt sich | |
zudem der antireligiöse mit einem latent xenophoben Reflex. Eine | |
Emnid-Umfrage im September ergab, das rund 29 Prozent der | |
Linkspartei-Wähler eine Sarrazin-Partei wählen würden: So hoch war dieser | |
Wert bei keiner anderen Partei. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Wert auch | |
mit einem tiefen Misstrauen gegen jede Form der Religiosität zu tun hat. | |
Nicht zuletzt sind es gerade die Politiker mit Migrationshintergrund in der | |
Linkspartei, die ein Bekenntnis zum Laizismus begrüßen würden. Oft stammen | |
sie aus Ländern mit einer starken säkularen Linken, aus der Türkei oder aus | |
dem Iran, und lehnen Kopftücher wie Kruzifixe gleichermaßen ab. Das größte | |
Hindernis, um sich stärker zur Trennung von Staat und Religion zu bekennen, | |
stellen vielmehr die Realos an der Parteispitze dar, die einen Burgfrieden | |
mit den christlichen Kirchen geschlossen haben, weil sie sich davon größere | |
gesellschaftliche Akzeptanz erhoffen. | |
Mit einem laizistischen Programm könnte der Linkspartei die Quadratur des | |
Kreises gelingen: das islamfeindliche Ressentiment anzusprechen, ohne der | |
Diskriminierung von Muslimen das Wort zu reden. Wie das geht, hat die Linke | |
dort, wo sie Regierungsverantwortung trägt, bereits zeigen können. So | |
verfügte der rot-rote Senat in Berlin an Stelle eines reinen | |
Kopftuchverbots, wie es viele Bundesländer für Lehrerinnen erlassen haben, | |
ein Verbot aller religiöser Symbole im öffentlichen Dienst. Und mit dem | |
Ethikunterricht machte er in Berlin eine Alternative zum konfessionellen | |
Religionsunterricht stark, womit er auch dem Ruf nach islamischem | |
Religionsunterricht den Wind aus den Segeln nahm. | |
Mit solchen so egalitären wie integrativen Maßnahmen könnte die Linkspartei | |
nicht nur Atheisten und Agnostiker ansprechen, die bislang politisch | |
heimatlos sind, sondern auch all jene, die sich vor allem vor dem Islam | |
fürchten. Und besser, die wählen die Linkspartei, als dass sie einem | |
rechten Demagogen auf den Leim gehen. | |
22 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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