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# taz.de -- Alltag in Patchworkfamilien: Liebe nach Terminkalender
> Patchworkfamilien gelten als hip. Doch nicht nur zu Weihnachten sind sie
> eine logistische Herausforderung. Meistens packt man ständig Taschen,
> telefoniert oder fährt Auto.
Bild: Eigentlich immer on tour: Mitglieder von Patchworkfamilien.
Heiligabend werden meine Tochter und ich mit einer Freundin, deren beiden
Töchtern, dem neuen Freund der Freundin und dessen Kindern verbringen. Mein
Freund wird bei seinen drei kleinen Kindern und deren Mutter sein. Am
nächsten Tag wandert meine Tochter zu ihrem Vater und mein Freund zu mir.
Der Vater meiner Tochter hat eine neue Frau und mit ihr ein weiteres Kind,
mein Freund ist von seiner Frau getrennt. Seine drei Kinder verbringen nach
Heiligabend einen Tag allein mit ihrer Mutter, dann einen Tag bei ihrem
Vater. Danach werden mein Freund, seine Kinder und ich zusammen sein,
später kommt noch meine Tochter dazu.
Klingt kompliziert? Ist kompliziert. Unsere Weihnachtsferien bestehen aus
Taschenpacken, Autofahren, Telefonieren. Stress.
Wir sind das, was man eine ganz normale Patchworkfamilie nennt:
zusammengewürfelt aus Beziehungen, die nicht mehr bestehen, und Menschen,
die sich regelmäßig treffen (müssen), weil sie gemeinsame Kinder haben. Es
gibt mehr Tannenbäume als besinnliche Mittagessen, Geschenke, die von einer
Wohnung zur anderen geschleppt werden, und hastige Abschiede, bevor man
überhaupt richtig angekommen ist.
Wir sind hip. Wir sind modern. Klassische Familien -
Mutter-Vater-Kind(er)-Ehen, bis dass der Tod sie scheidet - sind die
Blauwale des Zusammenlebens: vom Aussterben bedroht. Jede zweite Ehe wird
heute geschieden, die Hälfte davon mit minderjährigen Kindern, es wird
generell weniger geheiratet. Dafür gibt es Frauen und Männer, die
miteinander Kinder haben, aber nicht miteinander verheiratet sind.
Und weil es nach einer in den Sand gesetzten Beziehung durchaus weitergehen
kann mit der Liebe, gibt es jede Menge Patchworkfamilien. Bruce Willis und
Demi Moore machen uns vor, wie Patchwork geht, auch die Beckers und Tom
Cruise. Die berühmten Patchworker lachen auf allen Fotos, sie sind cool und
ihre Kinder sorgenlos. Patchwork ist prima und ganz einfach. Wir dagegen
empfinden uns als eine logistische und emotionale Herausforderung.
Mein Freund und ich sind DiDoSo, die
Dienstags-Donnerstags-Sonntags-Beziehung. An diesen Tagen fährt einer von
uns abends, nach einem anstrengenden Vollzeitjob, eine Stunde lang quer
durch die ganze Stadt. Wenn ich bei meinem Freund ankomme, kann es sein,
dass er allein ist. Dann ist es schön. Es kann aber auch sein, dass seine
Kinder da sind. Das ist auch sehr schön. Aber anders. Die Kinder stehen
immer im Mittelpunkt. Ich muss warten, bis ich dran bin. Manchmal bin ich
dann eingeschlafen.
Getrennte Eltern haben permanent ein schlechtes Gewissen: zu wenig Zeit, zu
viel Stress, zu wenig Energie. Sie leiden darunter, dass ihre Kinder
leiden. Patchwork heißt, die Liebe nach dem Terminkalender auszurichten.
Wenn die große Tochter meines Freundes am Dienstag mit ihrem Vater die
Französischhausaufgaben besprechen will, kann sie das nur am Telefon.
Abends ist er bei mir. Wenn meine Tochter am Donnerstag, wenn sie bei ihrem
Vater ist, ihren ersten Liebeskummer an mich abgeben möchte, muss sie sich
bis Freitagabend gedulden. Dann bin ich wieder zu Hause.
Und was, wenn ich schlechte Laune habe an einem dieser DiDoSo? Die wenigen
Stunden zu zweit müssen viel leisten: Liebe, Alltagsbewältigung, Aufregung,
Erotik.
Vielleicht wäre manches einfacher, würden mein Freund und ich zusammenleben
in einer gemeinsamen Wohnung. Dann müssten wir nicht ständig hin- und
herfahren, dann wären wir weniger alleinerziehend, als wir es jetzt trotz
Patchwork sind, und der Alltag mit den Kindern bekäme mehr Normalität und
mehr Verbindlichkeit. Gewohnheit kann auch erholsam sein.
Wir ziehen nicht zusammen. Wir denken an unsere Kinder. Irgendein Mädchen
hätte es dann womöglich zu weit zur Schule, das kleinste müsste am Morgen
zu früh in die Kita, meine Tochter braucht dann vielleicht anderthalb
Stunden zum Schwimmtraining. Da machen auch unsere Expartner nicht mit. Die
wollen, dass es wenigstens so bleibt, wie es jetzt ist. Bloß nicht noch
mehr Chaos! Unsere Patchworkwohnung müsste sechs Zimmer haben, eine große
Küche und zwei Bäder. Wer soll das bezahlen?
Es war Liebe auf den ersten Blick. Beim zweiten Treffen wussten wir, dass
wir zusammen alt werden wollen. Beim dritten fragten wir uns, wie wir das
mit den Kindern machen. Die eigenen Eltern hinterfragen Kinder nie, Eltern
können sein, wie sie wollen. Aber die neue Frau des Vaters und der neue
Mann der Mutter stören. Die sind einfach da, obwohl kein Kind sie bestellt
hat.
Die Expartner sind eifersüchtig und gekränkt, obwohl sie den anderen um
nichts in der Welt zurückhaben wollen. Wenn es gut läuft, merken die Kinder
nicht, dass man die Neue noch mehr hasst als den Expartner. Man lächelt,
wenn man sich auf der Straße trifft oder die Kinder übergibt. Denn vor
allem haben Exfrauen Angst, dass die Neue einem die Kinder wegnimmt.
Als meine Tochter das erste Mal allein mit der neuen Frau ihres Vaters an
der Kasse im Supermarkt stand, sagte die Verkäuferin zum Kind: "Sag doch
mal deiner Mama, dass …" - "Das ist nicht meine Mama", krähte meine
Tochter, noch bevor die arme Frau ihren Satz zu Ende sprechen konnte. Ich
war so schadenfroh.
Mein Freund fragt mich oft, was ich mir zu Weihnachten wünsche. "Zeit",
sage ich dann: "Zeit mit dir."
24 Dec 2010
## AUTOREN
Simone Schmollack
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