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# taz.de -- Sportlicher Jahresrückblick: Unsportliches Verhalten
> 2010 war für Berlins Sportler, vorsichtig formuliert, ein Desaster. Nicht
> nur, weil Hertha aus der Fußballbundesliga abstieg, die Eisbären
> einbrachen, TeBe pleite ging und Spandaus Wasserballer verloren.
Bild: Da war's endgültig aus. Nach dem 1:1 gegen Leverkusen im Mai steht Herth…
Hertha BSC Berlin I
An erster Stelle muss natürlich der Abstieg von Hertha stehen. Er ist ein
Politikum. Weshalb sonst hätte Frank Steffel, CDU-Bundestagsabgeordneter
und Präsident des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin, einen Appell an
die Berliner Unternehmen, Bürger und den Senat gerichtet, dass im Frühjahr
2010 alle Hertha unter die Arme greifen müssten?
Doch so kurzfristig konnte die Stadt die Katastrophe nicht mehr abwenden.
Blass und starr wie ein Zombie wandelte Manager Michael Preetz durch die
Katakomben des Olympiastadions. Einige Fans dagegen ließen ihrem Frust
freien Lauf, stürmten das Spielfeld und zerlegten die Ersatzbank ihres
Teams. Die Hertha-Dämmerung hatte einige Konsequenzen - auch bei der taz.
Die Berlinredaktion nahm den Abstieg zum Anlass, künftig zurückhaltender
über die desaströsen Hertha-Auftritte zu berichten.
Eisbären Berlin
Lange Zeit spielten die Eisbären Berlin in diesem Jahr ihr bestes
Eishockey. Über Wochen, über Monate. Am Ende der Hauptrunde hatten sie die
meisten Punkte in der Geschichte der Deutschen Eishockey Liga (DEL)
gesammelt und die Konkurrenz derart weit hinter sich gelassen, wie das noch
nie einem Klub zuvor gelungen war. Das brachte den Berlinern zwar einen
Eintrag in die Statistikbücher ein, in der Liste der Deutschen Meister
konnten sie sich jedoch nicht verewigen.
Schon im Viertelfinale unterlag der so überaus dominante deutsche
Vorzeigeverein dem Tabellenachten, den Augsburger Pantern. Nach den
Meistertiteln 2008 und 2009 hatten die Eisbären plötzlich nichts mehr zu
feiern. Von diesem Schreck haben sich die Berliner Eishockey-Profis bis
heute nicht so recht erholt.
Alba Berlin
Einige schmerzhafte Niederlagen haben die Berliner Basketballer zu
verkraften gehabt. In der Bundesliga wurde man zum wiederholten Male der
Favoritenstellung nicht gerecht und verlor bereits in der Runde der letzten
Acht gegen die Frankfurter Skyliners. In der Qualifikation zur Euroleague
scheiterte man im entscheidenden Spiel am belgischen Vertreter Charleroi.
Und als ob das nicht schon genug wäre, krönte man vor zwei Wochen dieses
Jahr mit der empfindlichsten aller Niederlagen: 53:103 wurden die Berliner
in Bamberg deklassiert. So hoch hat Alba in seiner Vereinsgeschichte noch
nie verloren.
Wasserfreunde Spandau 04
Erst vor wenigen Wochen haben sich die Berliner Wasserballer die
Jahresbilanz verhunzt. Sie verloren am 5. Dezember ein Vorrundenspiel. Ein
Lapsus, der den Spandauern seit vier Jahren nicht mehr unterlaufen ist. Mit
12:13 hatte man gegen den ASC Duisburg das Nachsehen. Gut, Meister sind sie
dieses Jahr wieder einmal geworden. Aber langwährende Erfolge schmecken
schal wie abgestandenes Bier. In den letzten 32 Jahren mussten die
Spandauer 30 Meisterschaftsfeiern ausrichten.
SCC Charlottenburg
Schon im Januar durchforstete Manager Kaweh Niroomand vergeblich sein
Langzeitgedächtnis: "Ich kann mich nicht entsinnen, wann wir das letzte Mal
so schlecht dastanden", sagte er, nachdem sein Volleyball-Team auf Platz
fünf stand. Auch wenn die Berliner bis zum Ende der Saison noch einen Platz
nach oben gutmachten, musste die Saison als ein Ausreißer nach unten
verbucht werden. Dass man im zweitklassigen europäischen Challengecup das
Final Four erreichte, hellte die Bilanz zwar ein wenig auf. Aber in dieser
Spielzeit musste man sich vor wenigen Tagen bereits auch aus diesem
Wettbewerb verabschieden.
Füchse Berlin
Sie werden zwar derzeit in der ganzen Stadt gefeiert, sind das
Überraschungsteam der Handball-Bundesliga, und kaum einer zweifelt daran,
dass sie sich im nächsten Jahr für einen europäischen Wettbewerb
qualifizieren werden. Dabei hätten sie dieses Ziel bereits im vergangenen
Juni realisieren können. Nur zwei Tore mehr hätten am Ende genügt. Konrad
Wilczynski klagte damals: "So was Bitteres habe ich noch nicht erlebt."
Der Nachgeschmack dieser Enttäuschung wirkt bis heute ein wenig nach. Der
ansonsten so wortgewaltige Bob Hanning übt sich in Understatement und
fürchtet angeblich ernsthaft darum, dass man selbst den mittlerweile so
komfortablen Punktevorsprung auf die Konkurrenz gegen Ende einbüßen könnte.
Claudia Pechstein
Alle Versuche der Eisschnellläuferin, dieses Jahr doch noch zu starten,
scheiterten. Noch während der Olympischen Spiele im Februar im kanadischen
Vancouver wollte die Doping-gesperrte Berlinerin über einen Eilantrag bei
einem Ad-hoc-Gericht des Internationalen Sportgerichtshof ihr Startrecht
erzwingen. Ohne Erfolg.
Womöglich ist das im Sinne des sauberen Sports eine gute Nachricht. Für die
mehrfache Olympiasiegerin war es aber ein weiterer Antrieb, sich als Opfer
zu inszenieren. Sie will den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
anrufen. Zudem offenbarte sie in ihrer sich gut verkaufenden Autobiografie
Selbstmordgedanken. Ein trauriges Schauspiel. Bis zum kommenden Februar ist
sie noch gesperrt. Zu Unrecht, wie Pechstein betont, weil ihre
ungewöhnlichen Blutwerte auf eine Krankheit zurückzuführen seien.
Artur Abraham
An diesem Jahr von Abraham gibt es eigentlich nichts zu beschönigen. Der
Berliner verlor seine ersten beiden Profiboxkämpfe überhaupt. Gegen Andre
Dirrell und Carl Froch war er jeweils deutlich unterlegen. Weitere
Auftritte im Ring hatte er nicht. Der Wechsel vom Mittelgewicht zum
Supermittelgewicht ist dem gebürtigen Armenier nicht gut bekommen.
Dass er dennoch als Kandidat bei Berlins Wahl zum Sportler des Jahres
aufgestellt wurde, berührte den 30-Jährigen so unangenehm, dass er kurz vor
der Entscheidung darum bat, von der Liste genommen zu werden.
Britta Steffen
Im Unterschied zu Abraham ließ sich die Schwimmerin nicht von der
Kandidatenliste bei Berlins Wahl zum Sportler des Jahres streichen. Und
schwupps wurde sie zur Besten gekürt. Dabei hatte die Freistil-Spezialistin
wegen Verletzungen und krankheitsbedingt bis Ende Oktober keinen einzigen
Wettkampf bestritten. Trotz der fast durchgängigen sportlichen Auszeit 2010
wurde die 27-Jährige am Ende ganz nach oben auf das Podest befördert. Ein
Zeichen dafür, wie tief die Messlatte in diesem Jahr in Berlin hing, dass
man unversehens darüber stolperte.
Tennis Borussia Berlin
Als im März Werner Lorant, der frühere Bundesligatrainer von 1860 München,
bei TeBe als Sportdirektor vorgestellt wurde, da fühlte sich mancher an die
blindwütige Großmannssucht des Vereins erinnert, die ihm schon einmal zum
Verhängnis wurde. Lorant sollte dem verschuldeten Regionalligisten
Geldgeber zuführen. Doch er kam gar nicht mehr dazu. Wenig später meldete
TeBe Insolvenz an. Dieses Mal hatte sich der Klub in die verhängnisvolle
Abhängigkeit eines dubiosen Unternehmens ohne klar definiertes
Geschäftsfeld mit dem trügerischen Namen "Treasure AG" begeben.
Der Absturz der Fußballabteilung geht indes weiter. Die Männer drohen in
dieser Saison auch noch aus der Oberliga abzusteigen, und die Frauen
scheinen nach dem Abstieg aus der Ersten Liga auch den Klassenerhalt in der
Zweiten Liga nicht zu schaffen.
Türkiyemspor Berlin
Die Fußballer aus Kreuzberg haben zwar in der laufenden Saison noch nicht
einmal die Hälfte all ihrer Spiele bestritten. Angesichts von gerade mal
zwei geholten Punkten ist der Abstieg aus der Regionalliga sehr
wahrscheinlich nicht mehr zu vermeiden. Überraschend kommt das nicht.
Verwunderlicher war, dass der Klub sich auf diesem semiprofessionellen
Niveau ohne eigene Spiel- und Trainingsstätte drei Jahre hat halten können.
Unter Stadtpolitikern gilt der Verein als einer der ersten Anlaufadresse
für Lobreden auf gelungene Integration. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
und der Senat aber haben es verpasst, den drittstärksten Fußballklub
Berlins als Leitbild für Integration zur Konkurrenzfähigkeit mit den
alteingesessenen Vereinen zu verhelfen.
Hertha BSC II
Die Hertha-Boxer verzichteten anders als die Fußballer aus freien Stücken
auf die Erstklassigkeit. Sie zogen sich aus der deutschen ersten
Box-Bundesliga zurück, weil vom Velberter BC abgesehen die restlichen drei
Ligavertreter Teams aus dem Ausland sind - aus Polen, Dänemark und Holland.
Mit einer Deutschen Meisterschaft, erklärte Hertha-Abteilungsleiter Peer
Mock-Stürmer, habe das nichts mehr zu tun.
In Wahrheit aber können die Herthaner den Velberter BC am wenigsten leiden,
weil deren Präsident eine Schaltstelle im Ligaverband besetzt und nach dem
Geschmack der Berliner die falschen Entscheidungen trifft.
26 Dec 2010
## AUTOREN
Johannes Kopp
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