# taz.de -- Massenmorde auf Zypern: Tätersuche nach Jahrzehnten | |
> Hunderte Zivilisten wurden während des Bürgerkriegs in den 1960er Jahren | |
> und der Invasion türkischer Truppen 1974 getötet. Jetzt werden die Täter | |
> gesucht. | |
Bild: Auch die während des griechisch-türkischen Konfliktes in den 1960er Jah… | |
BERLIN taz | Tohni ist ein kleines Dorf nahe der zypriotischen Südküste, | |
nicht weit von einer archäologischen Ausgrabungsstätte gelegen, die Jahr | |
für Jahr tausende Touristen anzieht. Die können im griechischen Tohni | |
hübsche Ferienhäuser mit Pool mieten und gut essen gehen. Es geht dort sehr | |
friedlich zu. | |
Am 14. August 1974 drangen rechtsradikale Paramilitärs in das Dorf ein, in | |
dem damals Insel-Griechen und -Türken noch gemischt zusammenlebten. Sie | |
trieben alle türkischen Männer zwischen 13 und 74 Jahren in der örtlichen | |
Schule zusammen. Am nächsten Tag kamen weitere Männer aus zwei umliegenden | |
Dörfern dazu. Danach wurden die 50 Gefangenen in Busse verladen. Es hieß, | |
es ginge in die Stadt Limassol. Doch die Fahrt endete in Mouttagiaka, einem | |
anderen Dorf ganz in der Nähe. Ein Graben war schon zuvor ausgehoben | |
worden. Die Griechen der Terrortruppe EOKA-B erschossen ihre Opfer und | |
warfen die Toten in den Graben. Dann fuhr ein Bulldozer über das | |
Massengrab. | |
Mehr als 36 Jahre später beginnen auf Zypern endlich strafrechtliche | |
Ermittlungen gegen die Täter. Wie die zyperngriechische Zeitung Politis | |
berichtet, haben sowohl die Republik Zypern als auch die Türkei | |
Untersuchungen aufgenommen, um den Fall Tohni und dutzende weitere | |
politisch motivierte Morde aus der Zeit von 1963 bis 1974 aufzuklären. Es | |
geht um hunderte getötete Zivilisten auf beiden Seiten während des | |
Bürgerkriegs in den 1960er Jahren und der Invasion türkischer Truppen 1974, | |
die zur heutigen Teilung der Insel geführt hat. Die Behörden auf Zypern | |
wollten die Ermittlungen gegenüber der taz gestern nicht bestätigen. | |
Die späte Suche beginnt nicht ganz freiwillig. Über Jahrzehnte zählten | |
Griechen und Türken nur ihre jeweils eigenen Opfer. Erstes Licht in die | |
dunkle Vergangenheit brachte das Komitee zur Suche nach Vermissten (CMP). | |
Dank deren Arbeit ließ sich bis heute das Schicksal von 745 Vermissten | |
aufklären - Ausgräber fanden ihre Knochen einzeln und in Massengräbern | |
verscharrt, im Süden, in der griechischen Republik, und im Norden, der | |
nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern. Mithilfe von DNA-Proben | |
konnte die Identität von 263 Leichen eindeutig geklärt werden, 209 | |
Zyperngriechen und 54 -Türken. Für die Aufklärung der Todesumstände hat das | |
Vermisstenkomitee freilich kein Mandat. | |
Deshalb haben fast 50 Verwandte der Ermordeten den Europäischen | |
Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg angerufen. Weil durch die | |
Identifizierung vieler Toten neue Fakten auf dem Tisch liegen, sind beide | |
Seiten nun auf Druck des Gerichts dazu gezwungen, ernsthaft gegen die Täter | |
zu ermitteln. | |
Die lebten nach den Morden in aller Regel ungestört und unbehelligt. Die | |
Namen vieler mutmaßlicher Täter sind bekannt, etwa der von Andronikos F., | |
der die rechtsradikale Mörderbande in Tohni angeführt haben soll. | |
Recherchen der zyperntürkischen Journalistin Sevgül Uludag zufolge soll ein | |
anderer Täter, der 1974 an einem weiteren Massaker in der Nähe von Tohni | |
beteiligt war, heute als Religionslehrer in Limassol tätig sein. Die | |
meisten Täter waren in den 1960er und 70er Jahren junge Männer. Die | |
Wahrscheinlichkeit, dass viele von ihnen noch am Leben sind, ist | |
entsprechend hoch. | |
Politis zufolge befragen die Polizeibehörden beider Seiten derzeit | |
Angehörige und mögliche Zeugen. Auch Verwandte der Opfer von Tohni konnten | |
schon Zeugnis über die damaligen Ereignisse ablegen. | |
27 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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