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# taz.de -- Nahverkehr in Berlin: S-Bahn kapituliert vor Chaos
> Für das aktuelle S-Bahn-Desaster gibt es keine kurzfristige Lösung,
> gesteht das Unternehmen. Die Senatorin ist enttäuscht, sieht aber kaum
> Handlungsspielraum.
Bild: Keine Besserung in Sicht: Die Bahn weiss nicht recht, wie es weitergeht.
Die S-Bahn hat kapituliert: In einem Bericht an den Senat gestehen das
Unternehmen und sein Mutterkonzern, die Deutsche Bahn AG (DB), dass es
keine kurzfristige Lösung für die derzeitigen Probleme gebe. "Das ist
natürlich nicht befriedigend, so etwas zu erfahren", sagte am Donnerstag
Verkehrssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Sie hatte am Vortag nach
Erhalt der gut 60 Seiten dicken Untersuchung mit S-Bahn-Vorstand und
Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) gesprochen, am Donnerstagmorgen
folgten Telefonate mit dem zuständigen Bahnvorstand für Personenverkehr,
Ulrich Homburg. Angesichts des seit Wochen eingeschränkten Verkehrs bei der
S-Bahn hatte Junge-Reyer das Unternehmen abgemahnt - der Bericht ist das
Ergebnis dieses Ultimatums.
Immerhin habe sich eine "gewisse neue Qualität gezeigt" durch die
Schilderung, welche Überlagerung von Problemen es gibt, so Junge-Reyer.
Deutlich sei etwa die Einzigartigkeit der Berliner S-Bahn geworden: Sie
unterscheide sich nicht nur im Leitungssystem, sondern auch in
weitreichenden technischen Details wie der Belüftung und Kühlungssystemen
von Bahnen in anderen Städten. "Das erklärt, warum es in München oder
Hamburg nicht zu solchen Problemen kommt wie in Berlin", sagte der
zuständige Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung, Friedemann Kunst.
Gleichzeitig sei Berlin von den bundesweiten Problemen der DB-Tochter für
den Netzbetrieb betroffen: Eingefrorene und zugeschneite Weichen behindern
den Regional- und Fernverkehr enorm.
Es sei nicht so, dass das S-Bahn-Management nichts getan habe, befand
Kunst: Die Außenstrecken können etwa nur deswegen seit Donnerstag wieder
befahren werden, weil wie versprochen zusätzliches Personal in den
Werkstätten in einem 24-Stunden-Schichtbetrieb arbeitet. Auch mit dem
Austausch von Achsen- und Radscheiben komme das Unternehmen planmäßig
voran, wie auch beim Motorentausch. "Aber dass langfristig nicht wieder ein
neues Problem dazukommt, das kann die Bahn eben im Moment nicht
ausschließen", bilanzierte Kunst.
Die S-Bahn wies unterdessen Vorwürfe zurück, sie habe Angebote anderer
Werkstätten und Beratung seitens der Experten des Fraunhofer-Instituts MRO
nicht wahrgenommen. Der Schienenfahrzeugtechnik-Experte Markus Hecht von
der Technischen Universität hatte zudem auf 20 Werke im Großraum Berlin
verwiesen, die zusätzlich S-Bahn-Züge warten könnten. Diese würden aber
ignoriert. "Die S-Bahn will sich gar nicht helfen lassen", so Hecht im
Berliner Kurier. Dazu ein Bahn-Sprecher: "Wir haben die Partner befragt,
von denen wir annehmen, dass sie uns helfen können." Das MRO gehöre dazu
nicht, man habe seine eigenen Partner. "Wir suchen intensiv nach Hilfe,
aber technische Lösungen kann man nicht fertig kaufen, die müssen erst
entwickelt werden - das wird derzeit getan", betonte der Sprecher.
Trotz der massiven Probleme lehnt der Senat eine sofortige Kündigung des
Vertrags weiterhin ab. Junge-Reyer verwies auf rechtliche Hürden. Außerdem
würde es bei sofortiger Bestellung fünf Jahre dauern, bis das Land eigene
Wagen auf die Gleise stellen könnte. Auch bei anderen Alternativen sieht
der Senat seine Hände gebunden: Die Übernahme des Netzes ist Senatsangaben
zufolge nicht möglich - die DB habe ein Vetorecht und gebe das Netz nicht
frei. Einen eigenen Fahrzeugpool aufzubauen scheitere am Geld - 600
Millionen Euro seien einfach nicht drin. Bis auf Weiteres übt der Senat
daher nur finanziell Druck aus; für die Zeit der jüngsten Krise will er
zwei Drittel der Zahlungen an die S-Bahn einbehalten, bis zu 14 Millionen
Euro.
Bei der Frage nach einer Teilausschreibung hält sich Senatorin Junge-Reyer
weiter zurück. Darüber werde derzeit gemeinsam mit VBB, dem Land
Brandenburg sowie dem Wirtschafts- und Finanzsenator beraten.
Unterdessen fordern Grüne und FDP unisono Junge-Reyers Rücktritt. Die
Verkehrssenatorin agiere in der S-Bahn-Krise "hilflos", sagte
Grünen-Fraktionsvorsitzende Ramona Pop. "Ingeborg Junge-Reyer muss
zurücktreten und Platz machen für jemand Neues, die oder der die
Bewältigung des S-Bahn-Desasters beherzt angeht."
6 Jan 2011
## AUTOREN
Kristina Pezzei
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