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# taz.de -- Reinhard Loskes neues Buch: Sechzig Seiten Sonntags-Sermon
> Der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske hat ein Buch geschrieben:
> "Abschied vom Wachstumszwang". Es illustriert vor allem eins: Der grüne
> Vordenker hat Angst bekommen, anzuecken.
Bild: Will keinen Fehler machen: Reinhard Loske.
BREMEN taz | Es ist alles so lieb und gut gemeint, und vom Ansatz her
sicher gar nicht so falsch. Aber eben. Gar nicht so falsch ist halt nicht
das Gleiche, wie richtig. Und gut gemeint - ach …!
Na ja. Der Bremer Umweltsenator Reinhard Loske (Grüne) hat ein Buch
geschrieben, oder genauer: ein Büchlein. Es heißt "Abschied vom
Wachstumszwang", verspricht "Konturen einer Politik der Mäßigung", und ist,
das sollte erwähnt werden, auf FSC-zertifiziertem Papier gedruckt, für das
ausschließlich Recyclingfasern und Holz kontrollierter Herkunft aus
vorbildlich bewirtschafteten Wäldern verwendet wird.
Auch kann man Loske nicht den Vorwurf machen, er würde sein in einem
brandenburgischen Kleinstverlag veröffentlichtes Opuskel übermäßig
promoten, und schon gar nicht auf Kosten von Minderheiten. Grundsätzlich
ist es ja auch zu begrüßen, wenn ein Berufspolitiker die Option auf eigenes
Denken wahrt - und sich weigert, in Abhängigkeit von Programmen und der
Behörde, der er vorsteht, bloß noch zu funktionieren. Denn das macht ja
angreifbar, und zwar jenseits der Deckung von Amt oder Tendenzkörperschaft,
also persönlich.
Und entsprechend ist auch die von der Heimatzeitung Weser-Kurier
angezettelte "Debatte" ein strikt zweigeteiltes Sammelsurium von Emotionen,
die der Person Loske gelten: Es gibt Äußerungen der Antipathie bis hin zum
Hass auf der einen, Sympathiebekundungen auf der anderen Seite. Es kann
sogar gut sein: Irgendwie ist Reinhard Loske ja wirklich - wer fände denn
den Willen zum Denken einen Charakterfehler! - einer der sympathischsten
Minister Deutschlands überhaupt. Und: Politik der Mäßigung - das ist auch
eine wichtige Angelegenheit, ein ernstes Thema. Bloß macht das ja die Sache
nicht besser, sondern allenfalls trauriger. Denn die Broschüre - der
Buchbinder sagt, Broschüre ist das treffendste Wort - ist rahmspinatgrün.
Und flugblattplatt.
Loske war einmal ein durchaus radikaler Vordenker der ökologischen Bewegung
und seiner Partei. Seine Habilitation zu "Nachhaltigkeit als Politik" ist
auch nach zwölf Jahren lesenswert - damals war sie ein Lichtblick. Denn in
ihr trat grüne Politik endlich mal nicht unintellektuell-gefühlig, sondern
im Rahmen einer sehscharfen, ökonomie-interessierten Theorie auf.
Noch wichtiger natürlich die von Loske verantwortete Studie
"Zukunftsfähiges Deutschland" des Wuppertal Instituts: Alles was die
Schröder-Regierung an ökologisch Sinnvollem hinterlassen hat, war
orientiert an deren Zielvorgaben. Und was noch anzustreben bleibt - stand
da bereits vor 15 Jahren drin: Die Vision einer Agrarwende zu 100 Prozent
ökologischem Landbau, analog dazu die Umstellung von einer Abfall- auf eine
Kreislaufwirtschaft, und, nicht zu vergessen, eine 80-prozentige
Verringerung des Energieverbrauchs bis 2050. Die wurde als erreichbar nur
durch eine Kombination von Effizienz mittels technologischem Fortschritt
und Wandel zu einer Kultur der Genügsamkeit (Suffizienz) beschrieben.
Das waren Inhalte. In seiner neuen Schrift hat Loske sie als Schlagworte
recycelt, im deutlichen Bemühen, nicht anzuecken: Dort wo es interessant
werden könnte, bleibt der Text deshalb vage - bei der überraschenden
Annahmen etwa, dass durch "kürzere Arbeitszeit" der Konsum sinke. Von der
Empirie ausgehend würde man eher aufs Gegenteil kommen, weil das
Konsumverhalten - abgesehen vom Kantinenessen - meist nicht in die
Arbeitsstunden fällt.
Wäre das bei Senatoren anders? Oder wie stellt sich Loske die Chose vor? Na
also "nicht reibungslos", drucksts. So würden für diese Transformation
Menschen benötigt, "die etwas mit sich anzufangen wissen". Die müssen sich
also zuerst ändern, und alles drumherum auch, "Erziehung, Bildung und
praktisches Vorleben".
Das klingt nicht, als hätte Loske allzu viel Vertrauen in seine eigenen
Ideen. Er lässt sich nicht auf sie ein, nicht mehr. Und vor allem wagt ers
nicht, sie so weit auszuführen, dass die versprochenen Konturen
hervorträten. Und dort, wo zupackendes Definieren und grundsätzliches
Überdenken gefragt wäre, flüchtet er sich in spießbürgerliche
Glaubenssätze: "Zunächst kann man sicher feststellen", leitet er einen
davon ein, "dass Talent, Qualifikation, Fleiß, Erfahrung und Verantwortung
gewisse Einkommensunterschiede rechtfertigen."
Angesichts des gesellschaftlichen Status quo stimmt dieser Satz aber nur
dann, wenn man zu den Talenten das biologische Geschlecht, zur
Qualifikation die mühevolle Schule der Skrupellosigkeit und zum Fleiß den
im Betreiben der eigenen Karriere zählt. Aber klar: Als vollakademisch
überqualifizierter Senator muss man es gerecht finden, dass derjenige, "der
sich lange qualifiziert" bis ans Lebensende ein Vielfaches von dem
verdient, "als der, der schon in frühester Jugend allein aufs Geldverdienen
setzt".
Und so weiter, auf 60 Seiten. Ein Büchlein, das wahrlich betroffen macht,
in doppelter Hinsicht: Einerseits, weil hier ein Autor demonstriert, wie
sich die bewiesene Fähigkeit zum visionär-realistischen Denken in zwölf
Jahren Politikbetrieb nahezu rückstandslos abgeschliffen haben kann. Und
durch die Rezeption.
Denn - es ist wirklich zum Heulen!: In Bremen, das einmal als
fortschrittlich galt, werden Loskes Sonntagsreden-Plattitüden, verfasst nur
zur Steigerung des Ruhms der bestehenden Ordnung - als zu radikal gewertet.
7 Jan 2011
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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