# taz.de -- Revolte im Maghreb: Jung, chancenlos und verdammt wütend | |
> Mal wieder entlädt sich die Wut junger Tunesier und Algerier in spontanen | |
> Revolten. Doch nie waren die Aufstände so groß wie jetzt. | |
Bild: Das Steueramt der algerischen Stadt Djelfa nach der samstäglichen Erstü… | |
MADRID taz | Mal ist es die Jobvergabe in einem staatlichen Unternehmen wie | |
im tunesischen Gafsa, mal die Identitätsfrage der algerischen Berber in der | |
Kabylei, mal der Abstieg eines Fußballvereins in die Zweite Liga im | |
westalgerischen Oran - an Anlässen für Rebellionen gegen die verhassten | |
Regime hat es in den vergangenen Jahren weder in Algerien noch in Tunesien | |
gemangelt, selbst wenn die Aufstände nie eine solche Größe erreichten wie | |
dieses Mal. | |
In Tunesien regiert Präsident Zine El Abidine Ben Ali seit 1987 mit | |
eiserner Hand. In Algerien wechseln zwar die Gesichter, doch die Kraft im | |
Hintergrund ist und bleibt die Armee, die sich ihre Macht notfalls mit | |
Wahlmanipulation absichert. | |
Besonders die Jugend bekommt diese Aussichtslosigkeit zu spüren. Gegen die | |
"Hogra" - die Missachtung durch die Mächtigen - rebellieren die Algerier; | |
für "die Wiedererlangung der Würde" die Tunesier - dort sind übrigens auch | |
vergleichsweise viele junge Frauen auf der Straße, während es in Algerien | |
fast nur junge Männer sind. Die unter 35-Jährigen stellen mehr als zwei | |
Drittel der Bevölkerung. | |
Zwar wurden die Bildungssysteme ausgebaut. Der Arbeitsmarkt hält allerdings | |
nicht mit. Wer keine Beziehungen hat oder nicht die Richtigen besticht, | |
findet nur schwer einen Job. Und der Weg nach Europa ist durch die rigide | |
EU-Einwanderungspolitik versperrt. | |
Auch um die kleinen Fluchten der Jugend ist es schlecht bestellt. Vor allem | |
in Algerien ist die Gesellschaft strengen moralischen Regeln unterworfen. | |
Die Aufbruchstimmung nach der Unabhängigkeit 1962 währte nicht lange. Je | |
mehr das Einparteienregime unter Druck kam, umso mehr nutzte es die | |
vermeintlich arabisch-islamische Identität, um Einigkeit zu stiften. In den | |
achtziger Jahren machten sich die Islamisten an den Universitäten breit. | |
Das Regime ließ sie gewähren, drängten sie doch den Einfluss der Linken | |
zurück. Nach dem Zusammenbruch des Regimes, der 1988 ebenfalls durch eine | |
gewaltsame Jugendrevolte eingeleitet wurde, begann der Siegeszug der | |
Islamischen Heilsfront. Sie gewann die ersten freien Wahlen, nicht zuletzt | |
dank der Unterstützung der frustrierten Jugend. Die Armee brach die Wahlen | |
ab. Das Land versank im Bürgerkrieg, der 200.000 Menschen das Leben | |
kostete, darunter viele junge Männer, die in den Untergrund gegangen waren. | |
Nur langsam befreit sich die Jugend aus den Klauen der Religion. Der | |
Soundtrack der heutigen Revolte ist Hip-Hop aus eigener Produktion. Das | |
Leben findet zwischen Langeweile und Internet statt. | |
Im Schatten der Entwicklung in Algerien unterdrückte Tunesiens Ben Ali alle | |
soziale Unzufriedenheit und verhinderte so den Zusammenbruch seines | |
Regimes. Tausende Oppositionelle wurden verhaftet oder mussten ins Exil | |
gehen. Tunesien ist heute ein Überwachungsstaat, der seinesgleichen sucht. | |
130.000 Polizisten soll es in dem zehn Millionen Einwohner zählenden Land | |
geben. Natürlich wird auch das Internet kontrolliert - was die | |
Rebellierenden jedoch nicht davon abhält, das Netz für den Aufstand zu | |
nutzen. REINER WANDLER | |
11 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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