# taz.de -- Fashion Week Berlin: Flicken à la mode | |
> Die Fashion Week in Berlin macht auf öko. Aber nachhaltig ist ein anderer | |
> Trend: Kleider mit Geschichte. | |
Bild: Der nachhaltige Trend: Selbernähen. | |
Nächste Woche hyperventiliert die Modeszene in Berlin. Die Schauen für die | |
Winterkollektionen 2011/12 finden statt. Als spektakulärste "Location" für | |
das Mega-Event gilt der stillgelegte Flughafen Tempelhof. | |
Bisher ist die Modeszene in Mailand, London, Paris gut ohne die Konkurrenz | |
aus der deutschen Hauptstadt ausgekommen. Deshalb muss sich Berlin in | |
Sachen Mode neu erfinden. Arm und sexy reicht nicht, ein Motto muss her, | |
das klarmacht, dass Berlin Mode versteht - und das gibt es auch: Die | |
Hauptstadt soll Zentrum der "grünen Mode" werden und damit den Umweltfaktor | |
in der Konfektionsbranche aus seiner Nische herausholen. "Berlin | |
positioniert sich im europäischen Kontext zusehends als Metropole für Green | |
Fashion und Sustainable Design", heißt es deshalb beim Berliner | |
Wirtschaftssenator Harald Wolf. Geschafft: Wir sind wieder wer, wir sind | |
die Nachhaltigsten. | |
Tatsächlich stellen auf der Fashion Week etliche Designer und | |
Designerinnen, die ökologisches Denken zur Firmenphilosophie erhoben haben, | |
ihre Kollektionen vor. Sie legen Wert darauf, bei der Verarbeitung soziale | |
Standards einzuhalten und Stoffe und Materialien umweltfreundlich | |
herzustellen. Zu Recht, wenn man bedenkt, dass laut Information des | |
Umweltinstituts München allein für die Herstellung eines Kilogramms | |
Baumwolle zwischen 10.000 und 29.000 Liter Wasser benötigt werden - je | |
nachdem, wie trocken die Gegend ist. Und dass auf Baumwollfeldern, die rund | |
2,4 Prozent der weltweiten Ackerfläche ausmachen, elf Prozent aller | |
verkauften Insektizide, Herbizide und Fungizide geschüttet werden. | |
Baumwollfelder sind Sondermülldeponien. | |
Bei den Modemessen in Berlin gibt es neben den großen Höhepunkten drei | |
Plattformen, auf denen umweltfreundliche Kleidung und nachhaltiges Design | |
gezeigt wird: der "GREENshowroom", der "Showfloor Berlin" und die | |
Eventplattform "thekey.to" - drei Tage lang wird dort die Symbiose von | |
Ästhetik und Ökologie gefeiert. | |
Wenn Nachhaltigkeit allerdings der Anstrich ist, mit dem Berlin als | |
Modestadt Furore machen will, dann ist das Happy End noch weit. Denn im | |
Zusammenhang mit Kleidung ist echte Nachhaltigkeit erst erreicht, wenn Mode | |
und Konsumverhalten entkoppelt werden. Jedes Jahr zwei neue Kollektionen | |
mit "neuen Looks" bedeutet umgekehrt: Die Halbwertzeit eines | |
Kleidungsstücks wird aus Sicht der Hersteller auf ein halbes Jahr taxiert; | |
Bedürfnisse sowie Ressourcen werden als unendlich betrachtet. Damit die | |
KundInnen mitmachen, ist Mode ein perfekt inszeniertes Manipulationsmedium, | |
bei dem vor allem der Körper der Frau als gesellschaftliche | |
Projektionsfläche für Schönheit und Begehren, für Identität und Selbstwert, | |
für Aktualität und Modernität herhalten muss. Und nicht wenige fallen | |
darauf herein. Studien unter Jugendlichen - nicht nur unter jungen Frauen, | |
sondern auch jungen Männern - zeigen, dass Identität und Selbstfindung und | |
die soziale Stellung in der Gruppe stark an das Aussehen und die modische | |
Akzeptanz gekoppelt ist. | |
Während die Idee, dass ein Kleidungsstück modisch ist, einen Wert | |
darstellt, wird das Kleidungsstück an sich jedoch nicht als werthaltig | |
betrachtet. Wie sonst erklärt sich, dass die Deutschen, laut den | |
Verbraucherzentralen, pro Kopf und Jahr etwa zwölf Kilogramm Kleidung | |
verbrauchen. Damit sind sie zusammen mit den AmerikanerInnen und | |
SchweizerInnen Spitzenreiter. Der durchschnittliche Verbrauch liegt | |
weltweit etwa bei der Hälfte. Mehr als eine halbe Million Tonnen | |
Kleidungsstücke werden jährlich in Deutschland ausrangiert. | |
"Kleidung muss wieder einen Wert bekommen", fordert Hermann Weizenegger, | |
"Kleidung muss wieder fähig sein, eine Geschichte zu erzählen." Der | |
Designprofessor an der Fachhochschule Potsdam gehört zu jenen, die explizit | |
mit alten Handwerksmanufakturen zusammenarbeiten und versuchen, deren | |
Können mit neuem Design zu verbinden. | |
Eine Geschichte bekommt Kleidung, wenn sie von der Qualität und vom Design | |
so beschaffen ist, dass man mit ihr lebt, sie gar nicht mehr wegwerfen muss | |
und auch nicht wegwerfen will. Damit aber trifft das Konzept der Bewahrung | |
auf jenes vom Konsum und stellt den gesamten Kreislauf der derzeitigen | |
Modeökonomie infrage. | |
Es gibt DesignerInnen, die dieses bewahrende Prinzip bereits verfolgen, | |
etwa indem sie aus alten Klamotten durch kreatives Patchwork neue Klamotten | |
machen. "Outfit-Uplifting" nennt sich das. Das Designduo "schmidttakahashi" | |
führt diese Idee aber wieder in die Haute Couture zurück. Bei ihrer | |
Kollektion sind gebrauchte Kleidungsstücke die Ausgangsbasis für ihre | |
Modelle. Neu indes ist, dass die gespendeten Klamotten mit einem Code | |
versehen werden, der es den früheren BesitzerInnen im Idealfall ermöglicht, | |
im Internet nachzuschauen, wo ein Kleidungsstück eigentlich gelandet ist. | |
Die Globalisierung wird bei der Geschichtsschreibung der Kleidung | |
mitgedacht, ohne die ökonomische Mode-Logik zu sprengen. | |
So wird damit experimentiert, in Kleidung wieder einen Wert zu sehen. Und | |
wenn man sie nicht mehr wegwerfen will, dann rückt ein anderes | |
handwerkliches Können wieder in den Blick, das Arbeitsplätze schafft: das | |
Flicken und Stopfen. Auf der Fashion Week ist das noch kein Thema. | |
16 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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