# taz.de -- Terrorhilfeprozess in Berlin: Eine hilfsbereite Schwester | |
> Filiz G., Frau des Kopfs der Sauerlandgruppe, steht seit November vor | |
> Gericht. Der Prozess lässt tief in die bizarre Welt des deutschen | |
> Dschihad blicken. Heute wird weiterverhandelt. | |
Bild: Das Foto, das alle Zeitungen von ihr druckten: Filiz G. - tief verschleie… | |
Jetzt taucht sie auch noch in einer Videocollage im Internet auf, unterlegt | |
mit Dschihadgesängen. Ihre Anhänger haben ein Bild von ihr zwischen | |
Guantánamo-Häftlinge und Bilder von der Verhaftung ihres Mannes montiert. | |
"Mein Herr, ich habe Blut geweint wegen ihnen", heißt es da. "Und mein Herz | |
schmerzt, als sei es zerbrochen." | |
Seit November wird in Saal 700 des Moabiter Kriminalgerichts gegen Filiz | |
G., die Frau des einstigen Kopfs der Sauerlandgruppe, und einen weiteren | |
mutmaßlichen Terrorhelfer verhandelt. Der Prozess in Berlin eröffnet einen | |
tiefen Einblick in die bizarre Welt des deutschen Dschihad. Und in die | |
zahlreichen Widersprüche der islamistischen Szene. | |
Das fängt schon bei Filiz G.s Äußerem an. Tief verschleiert mit schwarzem | |
Nikab stand sie zum Prozessauftakt hinter Sicherheitsglas. Es ist das Foto, | |
das alle Zeitungen von ihr druckten. Was den Fotografen entging, waren die | |
Turnschuhe an ihren Füßen: Modell Reebok Top Down mit einem | |
runterkrempelbaren türkisgrünen Schaft - das Hippste, was es auf dem Markt | |
gibt. | |
Filiz G., geboren 1981 im oberschwäbischen Memmingen, gelernte | |
Einzelhandelskauffrau, später Callcenter-Mitarbeiterin, in der Freizeit | |
Breakdancerin, ist ein Kind des Westens - das sich irgendwann entschlossen | |
hat, den Westen zu bekämpfen. Warum? Das wurde auch nach bald zwei Dutzend | |
Verhandlungstagen nicht so recht klar. | |
Ihr Verteidiger versuchte es vergangene Woche mit der Vorführung des | |
Dokumentarfilms "Taxi to the Dark Side", in dem es um einen im | |
US-Gefangenenlager Bagram zu Tode gefolterten afghanischen Taxifahrer geht. | |
Ein oscarprämierter Film, der die tiefe Kränkung der muslimischen Welt | |
begreifbar macht. Aber was sagt er über die Motive von Filiz G.? Ob sie den | |
Film kenne, wollte der Vorsitzende Richter Josef Hoch von ihr wissen. Nein, | |
sagte Filiz G., das nicht. Man schaute ihn sich trotzdem an, kann ja nicht | |
schaden. | |
Im Frühjahr 2009 loggte Filiz G. sich nach eigener Aussage zum ersten Mal | |
in den deutschsprachigen Ableger des "Ansar Al-Dschihad"-Forums ein, eines | |
der wichtigsten Foren der militanten Szene. Filiz G., Frau des Mannes, der | |
im September 2007 verhaftet wurde, weil er in Deutschland einen Anschlag | |
auf US-Soldaten plante: Ihr Name galt was unter Islamisten. Binnen | |
kürzester Zeit stieg sie zur Administratorin auf, die selbst Texte | |
veröffentlichen und andere Beiträge löschen darf. | |
Filiz G.s Nickname im Ansar-Forum lautete "fisebilillah" - auf dem Wege | |
Gottes. Auch auf Youtube hatte sie ein Profil, "schokocafe" hieß es. Das | |
klingt putzig, man rechnet mit Clips von Boybands; doch die Videos, Bilder | |
und Texte, die sie hier und in den islamistischen Foren postete, sind nicht | |
putzig. Da hantieren Kinder mit Granaten und werden zu "Märtyrern" | |
ausgebildet, um die Ungläubigen zu vernichten. "Ja, Allah, erniedrige diese | |
Kuffar", tippte Filiz G. einmal in den Computer. "Rotte sie aus." | |
Mehr als 1.000 Videos, Beiträge und Kommentare hat Filiz G. in | |
islamistische Foren gestellt, wie sie vor Gericht inzwischen selbst | |
zugegeben hat. Sie sei quasi 24 Stunden am Tag im Netz gewesen. Es klingt | |
wie Online-Dschihad-Sucht. | |
Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, die Terrorgruppen "Islamische | |
Dschihad Union" und "Deutsche Taliban Mudschahidin" unterstützt und um neue | |
Mitglieder geworben zu haben. Anders als ihr Mitangeklagter hat Filiz G. | |
inzwischen ausgesagt und die Vorwürfe weitgehend eingeräumt. Ihr | |
Verteidiger erhofft sich dadurch, dass sie mit Bewährung davonkommt; doch | |
die Vertreter der Bundesanwaltschaft haben klargemacht, dass sie | |
zweieinhalb Jahre Haftstrafe als absolute Untergrenze sehen. Von diesem | |
Mittwoch an wird weiterverhandelt, voraussichtlich noch bis Anfang März. | |
Wie im bisherigen Prozessverlauf klar wurde, war Filiz G. so etwas wie die | |
Chefpropagandistin an der Heimatfront der "Deutschen Taliban Mudschahidin", | |
einer kleinen, im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet agierenden Truppe | |
von Islamisten aus Deutschland. Sie war der verlängerte Arm des in | |
Niedersachsen geborenen Ahmet M. alias "Salahuddin", der bis zu seinem Tod | |
im April 2010 Anführer der "Deutschen Taliban" in Wasiristan gewesen sein | |
soll. Er schickte Filiz G. Texte und Bilder, die sie bearbeitete und ins | |
Netz hochlud. Manchmal schrieb sie laut Anklage auch selbst Texte im Namen | |
des "Emirs". | |
Filiz G. hat aber nicht nur Propaganda betrieben. Sie hat auch Geld | |
gesammelt und über einen Mittelsmann ins pakistanisch-afghanische | |
Grenzgebiet geschickt. Und sie wollte nach eigener Aussage ihrem heute 21 | |
Jahre alten Mitangeklagten aus Berlin dabei helfen, dorthin zu kommen. Sie | |
habe ihm eine Zugverbindung nach Istanbul herausgesucht und eine | |
Telefonnummer mitgegeben, die er vor Ort anrufen sollte. Filiz G. wollte | |
ihm auch etwas für die "Geschwister" mitgeben, wie sie an einem Prozesstag | |
kurz vor Weihnachten berichtete: Ritter-Sport-Schokolade, Puddingpulver, | |
Babykleidung und Haribo ohne Gelatine. "Gummibärchen für den Heiligen | |
Krieg", schrieb der Berliner Tagesspiegel. | |
"War ich das wirklich?" Das frage sie sich heute, wenn sie die Akten lese, | |
sagt Filiz G. mit schwäbischem Akzent. Sie habe sich da in eine Sache | |
hineingesteigert und nicht gemerkt, wie sie immer radikaler wurde. Aus "Wut | |
und Mitleid" über das Leid der Muslime habe sie sich mitreißen lassen. | |
Später habe sie auch selbst mit dem Gedanken gespielt, ins | |
pakistanisch-afghanische Grenzgebiet auszureisen. Die Fotos einer möglichen | |
Unterkunft hatte der "Emir" ihr schon zugeschickt. | |
Sie sei über ihre Dschihad-Parolen von früher erschrocken, sagt Filiz G. | |
heute. Doch wie aufrichtig ihre Reue ist, lässt sich schwer sagen. Denn | |
während der bisherigen Verhandlung zeigte sie kaum Regungen, obwohl dort | |
auch Videos von Selbstmordanschlägen gezeigt wurden. Im Gegenteil: Sie | |
lächelt oft. Vielleicht aber auch nur aus Unsicherheit. | |
Ihren Mitangeklagten hat Filiz G. schwer belastet, aber wenn es um die | |
Klarnamen weiterer möglicher Dschihadisten geht, kann oder will sie nichts | |
dazu sagen. Auch vom Abdriften ihres Mannes Fritz in den Terror habe sie | |
nichts gewusst. Zumindest muss ihr seit dem 6. Januar 2007 aber klar | |
gewesen sein, dass die Sicherheitsbehörden ihn überwachen. Zwei Tage | |
nachdem die beiden sich nach islamischem Recht verheiratet hatten, stürmte | |
ein Sondereinsatzkommando die Ulmer Wohnung der beiden. In einem Chat, der | |
vor Gericht verlesen wurde, verglich Filiz G. sich und und ihren Fritz | |
später mit Bonnie und Clyde, dem US-Gangsterpaar, das in den 30ern zum | |
"Public Enemy" wurde. | |
Ihre Familie wollte, dass sie sich scheiden lässt, Freunde distanzierten | |
sich. Sie hielt zu Fritz G. - und wurde schließlich selbst zur | |
Unterstützerin der Terrortruppe, die schon ihren Mann ausgebildet hatte: | |
Der "Islamischen Dschihad Union", aus deren Reihen heraus sich später die | |
"Deutschen Taliban" gründeten. Im Februar 2010 wird Filiz G. verhaftet - | |
und in islamistischen Foren zur "liebevollen, hilfsbereiten Schwester" | |
verklärt. | |
Zum Prozessauftakt im November kamen um die 20 Unterstützer, die übers | |
Internet zusammengetrommelt worden waren. Junge Männer aus der | |
salafistischen Szene, mit ungestutzten Bärten und langen | |
Dschelaba-Gewändern, zum Teil mit Militaryhosen darunter. Auch junge Frauen | |
kamen zum Gericht. Eines der Mädchen trug Kopftuch - und ein T-Shirt mit | |
der Aufschrift "I love New York". | |
19 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
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