| # taz.de -- Erben gegen die Stadt Hamburg: Suspektes Vermächtnis | |
| > Die Stadt Hamburg besitzt das Budge-Palais, in dem die Hochschule für | |
| > Musik und Theater residiert, eventuell zu Unrecht. Denn erworben hat sie | |
| > es 1952 von einem Nachlassverwalter, den noch die Nazis eingesetzt | |
| > hatten. | |
| Bild: Haus ohne Hüter: Hamburgs Budge-Palais. | |
| Weiß und reinlich liegt sie da, im vornehmen Viertel Harvestehude, ab und | |
| zu ertönen Klavier- oder Trompetentöne: Schmuck ist sie, die Hamburger | |
| Hochschule für Musik und Theater, und sie liegt ausgesprochen idyllisch, so | |
| nah an der Alster. Man residiert dort seit 1959; das zugehörige Grundstück | |
| ist seit der Bundesgartenschau von 1953 öffentlicher Park. Ein perfekt | |
| inszeniertes Ensemble aus Kultur und Natur, gewissermaßen. | |
| Aber gehört das Budge-Palais wirklich der Stadt Hamburg, wie es seit 1952 | |
| im Grundbuch steht? Wurde das Grundstück überhaupt rechtmäßig erworben? | |
| Zweifel sind angebracht, denn die Geschichte des Hauses ist wirr: Bis 1937 | |
| gehörte das Anwesen, wegen seiner 20 Badezimmer von den Hamburgern | |
| liebevoll "Badeanstalt" genannt, dem jüdischen Geschäftsmann Henry Budge | |
| und seiner kunstsinnigen Frau Emma. Ihr zuliebe war 1909 auch der prächtige | |
| Spiegelsaal eingebaut worden. Denn die Kunstliebhaberin Emma Budge sammelte | |
| im Lauf ihres Lebens 1.500 vor allem kunstgewerbliche Artefakte; auch ein | |
| millionenschweres Wertpapier-Depot in der Schweiz nannten die Budges ihr | |
| eigen. Das alles sollte einst die Stadt Hamburg erben. | |
| 1933, als die Nazis an die Macht kamen - ihr Mann war bereits 1928 | |
| verstorben - modifizierte Emma Budge ihr Testament und vermachte alles den | |
| USA. Kurz vor ihrem Tod Anfang 1937 änderte sie es erneut: Von ihr benannte | |
| - explizit jüdische - Testamentsvollstrecker sollten nach Gutdünken mit dem | |
| Grundstück verfahren. Das taten sie: Nachdem die Nazis bereits die | |
| Kunstsammlung zwangsversteigert hatten, ohne die Erben am Erlös zu | |
| beteiligen, versuchten die Nachlassverwalter wenigstens das Grundstück zu | |
| Geld zu machen. 500.000 Reichsmark wollte man haben, doch das gab der freie | |
| Markt für Juden, die fliehen und also dringlich verkaufen mussten, nicht | |
| her. Auch hatte der Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann ein Auge auf das | |
| Anwesen geworfen. Der NS-Staat zahlte den Erben schließlich magere 305.000 | |
| Reichsmark. | |
| Und das Regime wollte mehr: die Wertpapiere. Doch die Schweizer gaben sie | |
| nicht her, wollten eine Einverständniserklärung sämtlicher Erben. Die | |
| errangen die Nazis leicht: "Sie machten dies zur Bedingung für die | |
| Auswanderungserlaubnis und nutzten die Zwangslage der Erben aus", sagt | |
| Historiker Günter Könke, Ex-Mitarbeiter an der Hamburger Forschungsstelle | |
| für Zeitgeschichte, der 1989 eine Studie über den Fall Budge schrieb - im | |
| Auftrag der Hamburger Wissenschaftsbehörde. "Den bereits emigrierten Erben, | |
| die ja auch unterschreiben mussten und die man ja nicht unter Druck setzen | |
| konnte, versprach man zähneknirschend ein Drittel der Anteile", sagt Könke. | |
| Doch da waren noch mehr Hürden: die jüdischen Nachlassverwalter der Emma | |
| Budge. Sie sperrten sich gegen die Herausgabe des Schweizer Depots. Das | |
| Regime fackelte nicht lange: Es entließ 1939 die jüdischen | |
| Testamentsvollstrecker, "da andernfalls die Gefahr bestehe, dass der | |
| Nachlass nicht im Sinne des Reichs abgewickelt werden könne", zitiert Könke | |
| ein Schreiben der Devisenbehörde. Ein neuer, den Nazis genehmer | |
| Nachlassverwalter war schnell gefunden: der Wirtschaftsprüfer und | |
| Steuerberater Gottfried Francke. Er betrieb die Überführung der Devisen und | |
| sicherte das Geld für den NS-Staat. | |
| Nach 1945 ereignete sich eine bundesweit wohl seltene Merkwürdigkeit: Eben | |
| jener Gottfried Francke trat weiterhin als Testamentsvollstrecker auf und | |
| betrieb "quasi im eigenen Auftrag", so Könke, die Nachlassverwaltung | |
| weiter. Franckes Ziel: das Grundstück für die Stadt zu sichern, bevor sich | |
| die Erben meldeten, die ja jetzt auf Wiedergutmachung klagen konnten. "Im | |
| Falle der Durchführung des Verfahrens hätte die Wiedergutmachungskammer die | |
| Rückerstattung der Grundstücke angeordnet. Die Rückerstattung muss jedoch | |
| vermieden werden", zitiert Erben-Anwalt Jörg Rosbach gegenüber der taz aus | |
| einem Schreiben des Hamburger Senats von 1952. | |
| Nicht überraschend also, dass das Hamburger Amtsgericht die | |
| Protestschreiben der Erben gegen Francke ignorierte. "Francke hat in keinem | |
| Moment im Auftrag der Erben gehandelt", bestätigt Historiker Könke. Im | |
| Gegenteil: Für einen sehr günstigen "Vergleich" von 22.500 Mark, deren | |
| Verbleib unklar ist, überließ er das Grundstück der Stadt. | |
| Die Erben wollen es dabei nicht bewenden lassen: Im Mai 2010 hat Anwalt | |
| Rosbach in der Sache an Hamburgs Senatskanzlei geschrieben - zunächst ohne | |
| Restitutionsforderung, sondern "zur Klärung". Im September folgte ein | |
| erstes Gespräch, letzte Unterlagen gingen vor wenigen Tagen bei der | |
| Finanzbehörde ein, die auf taz-Anfrage zunächst von einem Herrn Francke | |
| nichts hatte wissen wollen. Wenig später klang das schon anders: "Wir | |
| werden den Fall prüfen und zeitnah versuchen, eine für alle Seiten | |
| befriedigende Lösung zu finden", sagte Behördensprecher Daniel Stricker. | |
| In der Tat könnte sich die Stadt auf eine Verjährung der | |
| Restitutionsansprüche berufen, ist sie doch seit über 30 Jahren als | |
| Eigentümerin eingetragen. Das weiß auch Anwalt Rosbach. "Aber das", sagt | |
| Stricker, "wäre wohl der untauglichste Umgang mit solch einer | |
| Angelegenheit. Hier gibt es eine klare moralische Verpflichtung, und wir | |
| werden da uns nicht sperren". Die gilt auch für den Spiegelsaal aus dem | |
| Palais, der seit 1987 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe aufgebaut | |
| ist. Er müsse, sagt Rosbach, "im Zusammenhang mit der Causa Budge-Palais | |
| verhandelt werden". | |
| Bleibt noch die Puppenstube aus dem 19. Jahrhundert, ebenfalls aus | |
| Budge-Besitz und derzeit in Hamburgs Kunstgewerbe-Museum. Anwalt Rosbach | |
| hat sie zur Restitution angemahnt. Das Museum selbst ist kooperationsbereit | |
| und hat bereits vor Jahren - aus eigener Initiative - Budge-Erben für zwei | |
| Pokale aus Raubkunst-Beständen entschädigt. | |
| Da das Museum aber eine städtische Institution ist, muss über den neuen | |
| Fall die Kulturbehörde entscheiden. Deren Senator Reinhard Stuth (CDU) hat | |
| sich bereits zu seiner moralischen Pflicht bekannt. Noch sei aber unklar, | |
| ob die Bürgerschaft einer Rückgabe zustimmen müsse, sagt Sprecher Stefan | |
| Nowicki. "Immerhin wäre dies ein Eingriff ins öffentliche Vermögen." | |
| 18 Jan 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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