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# taz.de -- Professor über das Leitbild Beteiligungsuni: "Nicht auf Ex und hop…
> Erst hat Dieter Lenzen die Freie Universität Berlin aufgemöbelt, jetzt
> ist die gebeutelte Hamburger Hochschule dran. Ein Partzipationszentrum
> soll die gelähmten Mitarbeiter motivieren.
Bild: Jetzt soll Dialog seine Stärke sein: Dieter Lenzen.
taz: Herr Lenzen, wir wollten mal über Demokratie an der Hochschule mit
Ihnen sprechen.
Dieter Lenzen: Nur zu. Aber Sie müssten schon auch sagen, was Sie damit
meinen.
Das wollen wir eigentlich von Ihnen wissen: Nach den starken
Auseinandersetzungen um die Bologna-Reformen und die Exzellenzinitiative -
ist die Zeit reif für neue Beteiligungsformen an der Uni?
Ich bin auf jeden Fall dafür, dass wir an der Hochschule
Partizipationsformen etablieren, die es schaffen, die Motivation der
Menschen, die in ihr arbeiten, wiederherzustellen.
Als Sie im März in Hamburg Ihren Job antraten, war Ihre Vorgängerin Monika
Auweter-Kurtz gerade wegen ihrer autoritären Art vom Hofe gejagt worden …
Und deshalb wollen wir bei uns in Hamburg eine neue Balance finden, so dass
überhaupt wieder eine Beteiligungsmotivation entsteht. Das gilt aber nicht
nur für Hamburg. Das ist ein Problem, mit dem sich viele Hochschulen
beschäftigen müssen.
Was ist für Sie denn der Unterschied zwischen "Partizipationsformen" und
den Mitbestimmungsrechten einer alten Gremienuniversität?
Wollen Sie das genau wissen?
Aber sicher doch.
Es gibt in der Literatur drei Typen von Partizipation: informationelle,
konsultative und dezisive Partizipation. Bei der informationellen werden
die Leute nur über Entscheidungen benachrichtigt. Die dezisive ist, wenn
sie schlecht gemacht ist, die Kultur der 70er Jahre: Wir bereden die
Probleme, aber die Dinge laufen nicht weiter. Diese Formen unterliegen
inzwischen den gleichen Legitimationsproblemen wie autoritäre Leitungen.
Denn auch die Vertreter von Gremien können nicht mehr ohne weiteres
beanspruchen, für alle zu sprechen. Selbst dann nicht, wenn sie in der
Sache recht haben. Die Menschen von der Basis glauben ihnen nicht mehr.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen eine konsultative Partizipation. Sie umschließt einen Zwang
zur Einigung. Und das geht nur diskursiv. Es ist richtig, dass das sehr
zeitaufwendig ist. Man muss halt üben, Diskurse zu führen, die
zielorientiert sind, und Entscheidungen vorbereiten, die dann auch
tragfähig sind.
Heißt "konsultative Partizipation" nicht übersetzt: Ihr dürft ruhig alles
sagen, aber nichts bestimmen?
Das darf es nicht heißen. Nehmen Sie die derzeitigen Proteste in Stuttgart.
Da zeigt sich doch, dass es in einem Gemeinwesen eben nicht genügt, wenn
man alle Prozesse legal abwickelt, so wie es im Gesetz steht. Alle
Entscheidungen waren legal, dennoch war die Entscheidung nicht
vermittelbar, dort 4 Milliarden Euro auszugeben. Nur weil etwas legal ist,
heißt es nicht, dass die Menschen auch Lust darauf haben. An Stuttgart
sieht man: Wir müssen uns etwas ganz Neues einfallen lassen. Und das gilt
im selben Maße für Universitäten. Wir müssen neue Formen finden, die ein
höheres Maß an Partizipation zulassen, ohne nur zurückzufallen in Muster
aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
An Ihrer letzten Station in Berlin vertrieben Studierende Sie als Redner
mit ironischen Jubelrufen und übertriebenem Klatschen aus einer
Immatrikulationsfeier. Da war von Partizipation bei Ihnen nicht viel zu
spüren. Im Gegenteil: Sie wirkten konsequent autoritär.
Bitte keine Legenden. Die von Ihnen angesprochene Veranstaltung ist wie
geplant mit einer Rede des damaligen Bischofs verlaufen, den ich
selbstverständlich nach seiner Rede nach draußen begleitet habe.
Aber zur Sache: Jetzt ist eine Zeit angebrochen, in der wir an den
Hochschulen wieder langsamer und noch deutlicher arbeiten müssen. Das
entspricht dem Gefühl vieler Lehrender. Es gibt ein Burn-out-Syndrom bei
vielen Beschäftigten. Das hat auch etwas mit dem Irrsinnsdruck aus dem
Bologna-Prozess zu tun. Und es hat etwas damit zu tun, dass Universitäten
ständig in Wettbewerben an ihr Geld kommen müssen. Diesen Druck gab es in
Berlin - und ein enormes Bündel von zukünftigen Problemen. Die Freie
Universität stand unter einem realen Existenzdruck. Dem Eindruck, wir seien
nicht gut genug, wir seien selbstreferenziell und nicht effizient, mussten
wir etwas entgegensetzen.
Und Sie setzten eine Diktatur entgegen.
Das ist eine bedauerliche Attribuierung. Es ist heute auch nicht mehr
wichtig, was da an Bewertungen von außen kam. Richtig ist, dass wir unter
enormem Handlungsdruck standen und schnell handeln mussten. Die Universität
Hamburg ist dagegen aus der Mitte der Gesellschaft heraus entstanden, vor
bald hundert Jahren. Diese Universität braucht etwas ganz anderes als die
FU Berlin. Hier habe ich eher die Rolle eines Moderators, Mentors,
Mediators, oder etwas von dieser Art.
Sie werden ja wohl nicht nur moderieren. Was braucht denn die Universität
Hamburg konkret?
Als ich meine Arbeit hier begann, machte diese Uni über Strecken den
Eindruck dessen, was man als eine traumatisierte Institution bezeichnen
könnte. Hier war es per Gesetz ausgeschlossen, dass sich unterhalb der sehr
stark gemachten Fakultäten überhaupt Willensbildungsstrukturen entwickeln
konnten. Manche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fühlten sich
vielleicht wie Fachguerillas, die sich illegal zusammengetan haben. Sie
durften sich zwar austauschen, das blieb aber aus ihrer Sicht oft
folgenlos. Diese Kultur ändert sich.
Woran machen Sie das fest?
Sehen Sie: Inzwischen gibt selbst das Bundesverfassungsgericht meiner
Einschätzung recht, die ich bereits bei meinem Amtsantritt geäußert habe:
Das derzeitige Hamburger Hochschulgesetz hat die Beteiligung der
Wissenschaftler hier so sehr eingeschränkt, dass nicht nur ihre Rechte,
sondern auch ihre Leistungsmotivation stark beeinträchtigt wurden. Der
Versuch, in Hamburg Konzepte US-amerikanischer privater Schools auf eine
deutsche staatliche Universität zu übertragen, war von Anfang an belastet.
Er lässt unberücksichtigt, dass deutsche Hochschulen im Gegensatz zu
privaten Unis in den USA keine Firmen sind, die ihr Budget selbst
erwirtschaften müssen. Wir brauchen hierzulande aber keine strenge
Vorstandslösung, sondern Kollegialorganisationen, die selbstverwaltet nur
ein Ziel verfolgen: die Durchführung von Forschung und Lehre unter
Bedingungen weitestgehender Wissenschaftsfreiheit.
Wie können Sie selbst dazu beitragen?
Ich habe mich gefragt, wie man eine Einrichtung schafft, die sich wirklich
auch wissenschaftlich mit der Frage beschäftigt, wie geeignete
Partizipationsformen in öffentlichen Einrichtungen aussehen können. Fangen
wir dabei doch mal mit uns selbst an.
Moment mal: Sie wollen an einer vor lauter Entmündigung traumatisierten Uni
ein Partizipationszentrum gründen? Hamburg als Leuchtprojekt eines
Feldversuches der Partizipation?
Das Wort Feldversuch ist nicht schlecht. Eine zeitgemäße Form zu suchen,
die die Menschen mitnimmt und trotzdem veranlasst, Wissenschaft auf dem
ihnen verfügbaren höchsten Niveau zu machen, das widerspricht sich nicht.
Sind Sie mit dieser Idee auch bei der Exzellenzinitiative angetreten?
Ja. Wir bieten eine "Universität der Nachhaltigkeit" an, die in vier
Dimensionen gedacht ist: Erstens müssen unsere Gegenstände nachhaltig
gewählt sein und zweitens die Art und Weise, wie wir Wissenschaft
betreiben. Drittens müssen wir in der Lehre nicht auf Ex und hopp setzen,
sondern langfristiger, nachhaltiger lehren und lernen. Und viertens müssen
wir die Steuerung von Hochschulen erneuern, hin zu einer stärkeren
Einbeziehung der Hochschulmitglieder. Mit diesem Vierklang versuchen wir,
in Hamburg ein Muster für neue Partizipationsformen zu etablieren.
Werden Sie dafür Geld bekommen?
Wir sagen zumindest: Wenn wir es nicht bekommen, dann möge man sich dazu
bekennen, dass die innere Struktur der Hochschulen egal sei. Dabei
funktioniert eine nachhaltige Wissenschaft auch in der Spitzenforschung,
dem eigentlichen Ziel des Wettbewerbs, nur, wenn auch ihre
Entscheidungsstrukturen nachhaltig sind.
Sie machen nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Art und Weise, wie
eine Universität ihre Entscheidungen trifft, zum Gegenstand der
Exzellenz-Bewerbung.
Ja. Und damit haben wir auch etwas zu bieten. Wir interessieren uns zum
Beispiel sehr dafür, neue Verbindungen zwischen Professoren- und
Doktorandenteams zu etablieren, in denen gemeinsam entschieden wird, was
und wie geforscht wird. Und wir beschäftigen uns mit Methoden des
"Real-Time Change Managements", die uns ermöglichen könnten, in Echtzeit
bis zu 45.000 Menschen an unserer Uni in Veränderungsprozesse
einzubeziehen. Da kann wirklich jeder gefragt werden, nicht nur Delegierte.
Doch dazu braucht es Geld. Und das erhoffen wir uns aus der dritten Runde
des sogenannten Exzellenzwettbewerbs.
Wo stehen in dieser Vision denn die Studierenden?
Sie sind ebenso Mitglieder der Universität wie die Beschäftigten, mit
vielen Ideen, mit Kritik und mit ihren Zukunftsprojektionen. Es geht
letztlich um ihre Zukunft. Und diese beginnt ja bekanntlich immer sofort.
19 Jan 2011
## AUTOREN
Martin Kaul
Kaija Kutter
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