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# taz.de -- Deutschtürken wandern aus: "Schade, Deutschland, ich bin weg"
> Emin Capraz ist Rechtsanwalt in Köln. Doch er fühlt sich in seiner Heimat
> am Rhein "nicht erwünscht" - und zieht in die Türkei. Aus den
> Einwandererkindern werden Auswanderer.
Bild: Emin Capraz ist genervt von der Frage, warum er so gut Deutsch spricht. J…
Wenn es nach Horst Seehofer ginge, dann würde Emin Capraz gar nicht im
Gerichtssaal stehen. Der 36-Jährige ist Anwalt und arbeitet in einer
Kanzlei in Köln. Er hat einen deutschen Pass, hat seine Ausbildung und auch
das Studium im Rheinland absolviert, fließend Deutsch spricht er natürlich
sowieso. Emin Capraz ist also das perfekte Beispiel für gelungene
Integration.
Aber da sind seine türkischen Wurzeln, nach den Worten von CSU-Chef Horst
Seehofer sind seine Eltern "Zuwanderer aus einem fremden Kulturkreis", die
hier nichts so recht zu suchen haben. Gerade Türken und Araber, befand der
bayerische Ministerpräsident im Winter letzten Jahres, täten sich schwer
mit der Integration und sollten doch bitte lieber in ihrer Heimat bleiben.
Emin Capraz liebt Deutschland, seine Heimat - aber er fühlt sich hier nicht
mehr gewollt. Und geht deswegen jetzt zurück ins Land seiner Eltern, in die
Türkei.
Er hat genug von Deutschland, genauer gesagt, genug davon, in diesem Land
immer noch der Türke zu sein, ständig gegen Vorurteile ankämpfen zu müssen.
Immer wieder habe er erlebt, wie er allein wegen seines türkischen Namens
anders behandelt wurde als Menschen mit deutsch klingendem Namen, sagt
Capraz. Seine Frau stammt aus Honduras, hat ebenfalls in Deutschland
studiert - und zieht jetzt gemeinsam mit ihm im Februar nach Istanbul.
Die Capraz liegen im Trend. Deutschland ist längst kein Einwanderungsland
mehr, sondern Auswanderungsland. Vor allem die Qualifizierten gehen -
Deutsche wie andernorts Geborene -, die weniger Qualifizierten bleiben. Die
"Superqualifizierten" wollen ohnehin erst gar nicht hierher, sondern gehen
lieber gleich in die USA oder in die Schweiz.
Vor allem die Zahl der türkischen Auswanderer ist in den letzten Jahren
beständig gestiegen. Die Migrationsrichtung hat sich längst umgekehrt: Nach
Angaben des Statistischen Bundesamts lag die Zahl der Türken, die
Deutschland verließen, 2008 bei knapp 35.000 - nach Deutschland zogen im
selben Jahr nur rund 27.000. Ein Jahr später packten schon 40.000 ihre
Koffer, aus der Gegenrichtung kamen nur 30.000.
Die überwältigende Mehrheit von ihnen ist gut ausgebildet, hat in
Deutschland studiert. Ihre Eltern kamen ins Land, um dort irgendeine Arbeit
zu bekommen. Die Kinder kehren nun in die Türkei zurück - um Anerkennung zu
finden. Jeder dritte türkischstämmige Akademiker will Deutschland verlassen
- am liebsten in Richtung Türkei, ermittelte bereits 2008 die TASD-Studie
über türkische Akademiker und Studierende in Deutschland. Alles junge
Menschen, in die auch finanziell - Schule, Ausbildung, Studium - erheblich
investiert wurde.
Dabei kann es sich Deutschland gar nicht leisten, auf junge, gut
ausgebildete Menschen zu verzichten. Mit dem Wirtschaftsaufschwung ist auch
die Klage über den Fachkräftemangel wiedergekehrt - und die alte Forderung,
die Grenzen für gut ausgebildete Zuwanderer zu öffnen. "Wir brauchen
dringend mehr qualifizierte Zuwanderung aus aller Welt, und zwar als Teil
einer Gesamtstrategie gegen Fachkräftemangel", sagt Hans Heinrich
Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages
(DIHK).
"Inzwischen fehlen der Wirtschaft rund 400.000 Ingenieure, Meister und gut
ausgebildete Facharbeiter - Tendenz: steigend", rechnet er vor: "So geht
uns rund ein Prozent Wirtschaftswachstum verloren. In Zukunft wird sich der
Mangel noch verstärken." Bis zum Jahr 2030, so Driftmann, dürfte das
Potenzial von Arbeitskräften um 6 Millionen Menschen schrumpfen - das
heißt, 6 Millionen, die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen,
fallen weg.
Emin Capraz kennt diese Zahlen. Er weiß, dass Deutschland ihn eigentlich
braucht. "Aber ich habe meine Bringschuld erfüllt. Nur meine deutschen
Landsleute verharren leider in veralteten Mustern", kritisiert der Anwalt
und erzählt von den Nachteilen, die er als Mensch mit Migrationshintergrund
ständig erfährt: von dem Vorstellungsgespräch in einer Kanzlei zum
Beispiel, nach dem man ihm erklärte, er sei zwar bestens geeignet, würde
mit seinem türkischen Namen aber wohl leider Mandanten anziehen, die nicht
in das Kanzleiprofil passten. Capraz ist auch genervt von den ständigen
Fragen, woher er denn kommt und warum er so gut Deutsch spricht.
Seine Entscheidung, Deutschland zu verlassen, war ein schleichender
Prozess, sagt der 35-jährige Baldauswanderer. Denn egal was er tat: das
Gefühl, dazuzugehören, blieb aus. Irgendwann hatte Capraz genug und bewarb
sich im Ausland. Ganz weit weg, in der Mongolei und in Kambodscha, geklappt
hat leider beides nicht.
Mit seiner Frau hat er sich dann für die Türkei entschieden, in den
nächsten Tagen geht es los. "Ich will eine Familie gründen", sagt Capraz,
"und wenn meine Kinder hier das Gleiche erleben wie ich, würde ich das
nicht mehr aushalten."
"Das" meint vor allem die unsachliche Diskussion über das Thema Migration,
die durch Thilo Sarrazins Bestseller "Deutschland schafft sich ab" und
Seehofer'schen Populismus angeheizt wird. Laut Umfragen sind 47 Prozent der
Bevölkerung Seehofers Meinung, dass Deutschland keine "zusätzliche
Einwanderung aus der Türkei und den arabischen Ländern" brauche.
Nach einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung sieht ein Drittel der
Deutschen die Bundesrepublik "durch die vielen Ausländer in einem
gefährlichen Maße überfremdet". Und mehr als 30 Prozent finden, dass man
Ausländer bei Arbeitsplatzknappheit ohnehin wieder "in ihre Heimat schicken
sollte". So wie 1983, als die Kohl-Regierung versuchte, Migranten die
Rückkehr in ihre alte Heimat mit einer Prämie schmackhaft zu machen.
Doch das muss die Bundesrepublik heute gar nicht mehr: Abschied aus
Almanya, dafür hat sich auch Mehmet Özdemirci entschieden. Der 42-jährige
Diplomkaufmann, geboren in Ankara, verbrachte den Großteil seiner Jugend in
Deutschland. Er machte hier sein Abitur und studierte in Köln
Betriebswirtschaftslehre. Aber schon 1997 zog er nach Istanbul und fing bei
Mercedes-Benz an. Er hat seine Entscheidung nie bereut und arbeitet heute
als Finanzvorstand in einem Elektronikkonzern mit über 10.000 Mitarbeitern.
"Hier ist es freundschaftlicher und herzlicher zwischen den Kollegen als in
Deutschland", sagt er - "dort werden die Menschen eher als Maschine
angesehen." Nach Deutschland zurückzukehren kann er sich nicht mehr
vorstellen, zwei Stellenangebote hat er in den letzten Jahren abgelehnt.
Rückkehrer wie Özdemirci und Capraz haben in der Türkei gerade wegen ihres
vielschichtigen kulturellen Hintergrunds gute Karten, sind hier als
"Almanci", wörtlich übersetzt "Deutschländer", willkommen. Und auch wenn
Emin Capraz noch keinen Job hat, stehen die Chancen gut: Am Goldenen Horn
herrscht Goldgräberstimmung. Nach einem kurzen, krisenbedingten Einbruch
floriert die türkische Wirtschaft wie nie zuvor. Ohne Staatshilfe
meisterten die Banken und die großen Konzerne die Finanzkrise, das
Bruttoinlandsprodukt wuchs im ersten Quartal 2010 um sagenhafte 11,7
Prozent, im zweiten um 10,3 Prozent - nur China kennt ähnliche Dimensionen.
Wer nach Istanbul geht, trifft beim deutsch-türkischen Rückkehrerstammtisch
Gleichgesinnte. Cigdem Akkaya hat die monatlichen Treffen 2005 begründet,
heute ist daraus ein Netzwerk mit rund 1.000 Mitgliedern geworden. 90
Prozent der Deutschtürken seien Akademiker, sagt Akkaya, die ebenfalls aus
Deutschland in die Türkei ausgewandert ist.
Das Dortmunder Institut futureorg hatte in seiner Untersuchung vor gut zwei
Jahren 250 türkische und türkischstämmige Akademiker befragt, von denen
knapp drei Viertel in der Bundesrepublik geboren wurden. Fast vier Fünftel
bezweifelten, "dass in Deutschland eine glaubwürdige Integrationspolitik
betrieben wird". Und von denen, die die Bundesrepublik verlassen wollten,
gaben 42 Prozent an, in Deutschland fehle ihnen das "Heimatgefühl".
Emin Capraz fühlt sich am Bosporus zwar auch als Ausländer, "aber
erwünscht". In seiner Heimat Deutschland sei er eben nur juristisch gesehen
Inländer, "aber kaum erwünscht". Dann lacht er. Und freut sich auf den
Neuanfang. "Schade, Deutschland, ich bin dann mal weg."
25 Jan 2011
## AUTOREN
Cigdem Akyol
Cigdem Akyol
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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