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# taz.de -- Wissenschaftler zum Moskauer Anschlag: "Das ist Russlands inneres A…
> Erste Spuren des Selbstmordattentats am Moskauer Flughafen führen in den
> Kaukasus. Professor Alexej Malaschenko über die Gottesstaaten in den
> Grenzen Russlands.
Bild: Trauer um die Toten des Anschlags in Moskau.
taz: Herr Malaschenko, die Ermittlungsbehörden gehen wie immer bei
Attentaten in Moskau von einer kaukasischen Spur aus. Ist das wirklich so
eindeutig?
Alexej Malaschenko: Wer sollte sonst dahinter stehen? Es ist die politische
Dauerkrise im Kaukasus und die ewige Frage, welche Konsequenzen daraus noch
erwachsen. Der konkrete Anlass waren meines Erachtens die gewalttätigen
ethnischen Auseinandersetzungen zwischen russischen Nationalisten und
Kaukasiern in Moskau im Dezember. Der Terror folgt einem klaren Muster.
Schlag und Gegenschlag. Die Anschläge auf die Metro im März 2010 waren
damals die Antwort auf die Liquidierung zweier Frontfiguren der
islamistischen Opposition.
Was bedeutet das für die ethnischen Beziehungen? Spitzt sich die Lage zu?
Der Anschlag ist eine direkte Reaktion auf die stümperhafte Politik des
Zentrums und den russischen Nationalismus. Es verläuft immer nach dem
gleichen Muster, nichts Neues. Langfristig dürfte sich die Lage im Kaukasus
aber sehr nachteilig auf den ethnischen Frieden auswirken.
Hat der Tschetschenienkrieg die ganze Region infiziert?
Nach dem Krieg hat sich die Lage in Tschetschenien entspannt. Dafür ist es
im ganzen Kaukasus schlimmer geworden, besonders in Dagestan und
Inguschetien. Der Krieg ist lange vorüber, an den Problemen hat sich aber
überhaupt nichts geändert.
Kann der terroristische Untergrund auf die Unterstützung der Bevölkerung in
den Republiken bauen?
Die Terroristen haben keinen Rückhalt in der nordkaukasischen Bevölkerung,
die Idee eines radikalen Islams wird aber unterstützt. Und zwar von einem
sehr bedeutenden Teil der Gesellschaft. Ich bin häufig in der Region, immer
mehr Leute sagen mir, dass der Ausweg aus dieser Lage nur noch die Gründung
eines islamischen Staates sein kann. Viele halten auch die Einführung des
Schariats für unumgänglich.
Gehören inzwischen auch die Anhänger des im Kaukasus gemäßigten
traditionellen Islam dazu?
Auch die Traditionalisten sprechen vom Schariat. Im Kaukasus hat in den
letzten Jahren eine umfassende Islamisierung stattgefunden. Die Scheichs
schalten sich aktiv in die Politik ein, verhängen Sanktionen, wenn ihnen
politische Entscheidungen nicht zusagen, und verlangen Vollzug. In Dagestan
sind selbst Beamte und Politiker Anhänger der einflussreichen Scheichs.
Dagestan ist inzwischen das Zentrum des Widerstands. Die Hälfte der
Bevölkerung hängt dem Fundamentalismus an. Der Islam ohne Politik ist ein
kastrierter Islam. Leider erfasst diese Tendenz eine nordkaukasische
Republik nach der anderen.
Kann Russland einen Gottesstaat in seinen Grenzen dulden?
Ich nenne das "inneres Ausland". Der kaukasische Rand lebt vom Geld aus
Moskau. Dagestan wird mit 80 Prozent bezuschusst, Tschetschenien und
Inguschetien mit 90 bis 100. Sie leben vom föderalen Geld, aber nach ihren
Gesetzen. Moskau hat sich damit abgefunden, obwohl es nicht recht versteht,
was dort tatsächlich passiert. Der russische Rubel als Währung, die innere
Ordnung aber nach islamisch-kaukasischen Gesetzen. Für den Kreml ist
Loyalität entscheidend und dafür ist er auch bereit zu zahlen.
Sehen Sie eine Chance, den Nordkaukasus zu befrieden?
Vor zehn Jahren hätte man das angehen müssen. Die Gründung eines neuen
Verwaltungskreises im Süden, in den alle Republiken eingehen, hat im
letzten Jahr die Situation noch zusätzlich angeheizt. Moskau dachte, so
könne es die wirtschaftlichen und sozialen Probleme lösen, ohne die
politischen Fragen zu lösen und einen Dialog mit der Opposition
aufzunehmen. Das wirkt wie eine Sprungfeder, die zusammengedrückt wurde und
nun mit aller Kraft hochspringt.
Welche Rolle spielt die lokale Elite als Verbindungsglied zu Moskau?
Sie führt ein Eigenleben und hat nichts mehr mit der Bevölkerung gemein.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Gesellschaft im Kaukasus eine
halbtraditionale ist mit anderen Gesetzen und Loyalitäten.
Wie wird sich der Terror auf die Olympischen Winterspiele auswirken?
In Domodjedowo hing nach dem Anschlag ein Plakat: "Herzlich willkommen zu
den Olympischen Spielen". Zynisch, aber so ist es.
26 Jan 2011
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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