# taz.de -- Extremsportler im Pulverschnee: Spaß am Risiko | |
> Skifahren abseits der Pisten wird immer beliebter. Freerider nennen sich | |
> die Pulverschneefans. Auf den Lift wollen sie nicht verzichten. | |
> Ungefährlich ist das nicht. | |
Bild: Angst- und schwindelfrei muss man dafür schon sein. | |
BERLIN taz | Schaufel - so heißt das vordere Ende des Skis. Bis zu 20 | |
Zentimeter kann sie breit sein. Wer sich in den Skigebieten umsieht, dem | |
wird auffallen, dass es vor allem die jungen Menschen sind, die mit den | |
ganz breiten Schaufeln unterwegs sind. Die Carver der Normalskifahrer sind | |
schlanke Bretter im Vergleich zu den Monsterlöffeln der jungen Kerle. Die | |
sind für das Fahren abseits der Pisten konstruiert. Ihr Marktanteil steigt | |
stetig. Freeriden ist ein gut vermarkteter Wintersporttrend. Immer mehr | |
Skigebiete weisen nicht präparierte Hänge für Abfahrten aus. | |
Besonders beliebt sind dabei die Hänge, die man mit einem Lift oder der | |
Seilbahn erreichen kann. Anstrengende Aufstiege, wie sie bei den | |
klassischen Skitouren üblich sind, spart man sich gern. Der Pulverschnee | |
soll leicht erreichbar sein. Für die Skifahrer mit den breiten Schaufeln | |
genauso wie für die pistenmüden Snowboarder. | |
Powder - in der Szene der besten Freerider gibt es für Pulverschnee nur | |
dieses eine Wort. Aline Bock kann es nicht aussprechen, ohne einen | |
schwärmerischen Blick in ihr Gesicht zu zaubern. Die 28-Jährige, die am | |
Bodensee aufwuchs, ist eine der besten Snowboarderinnen abseits der Pisten. | |
Sie hat die Freeride World Tour 2010 gewonnen. Seitdem ist sie das ganze | |
Jahr auf Schnee unterwegs. Im Sommer war sie in Neuseeland und Argentinien. | |
"Lovely Powder" hat sie da gefunden, wie sie in ihrem Blog schreibt. Von | |
einem PR-Termin reist sie zum nächsten: Videos für ihre Sponsoren vor | |
weißer Bergkulisse, PR-Termine bei Messen, Training und ab und zu ein | |
Wettbewerb. Sie ist Profi. "Das ist sicher nicht so, dass man reich werden | |
kann", sagt sie bei einem Redaktionsbesuch in Berlin. Aber sie genießt ihr | |
Pulverschneeleben. | |
"Event, Spaß, Spirit" sind die Worte, die sie dafür hat. Der PR-Marathon in | |
der Hauptstadt ohne Powder kann ihr die Laune nicht verderben. Mit ihr | |
unterwegs ist Sebastian Hannemann. Er gehört seit 2010 zu den dreißig | |
ausgewählten Spezialisten, die auf der Freeride World Tour unterwegs sind. | |
Seit eine große Skifirma ihn sponsort, führt der Lehramtsanwärter aus | |
Augsburg ein Leben auf Powder. "Ist schon nicht schlecht", sagt der | |
24-Jährige. | |
Natur - die Sehnsucht nach der unberührten Schneelandschaft in den Bergen | |
macht das Freeriden so populär. "Was gibt es Schöneres, als auf einem | |
Gipfel zu stehen und nichts zu hören", schwärmt Aline Bock, "ganz weit weg | |
vom Massentourismus." Und wenn sie loslegt, dann spielt sie mit der Natur, | |
die sie so liebt. | |
Sie springt über Felsabbrüche, zeichnet Kurven in den Schnee an Stellen, | |
die so steil sind, dass man kaum darauf stehen könnte, macht kunstvolle | |
Verrenkungen, immer wenn sie mit ihrem Brett vom Boden abhebt. | |
Die Natur ist die Basis für ihre extremen Abfahrten. Es sieht so aus, als | |
ginge es darum, die Natur zu besiegen. Benutzen solche wie Aline Bock und | |
Sebastian Hannemann die Natur für ihre Zwecke? Werbung für Ski, Boards und | |
schrille Klamotten vor heiler Welt? Hannemann weiß: "Wir sind auf die Natur | |
angewiesen." Ihm ist auch klar: "Es ist auch nur eine Frage der Zeit, wie | |
lange wir unseren Sport ausüben können." | |
Freerider brauchen natürlichen Schnee. Der sollte möglichst so fallen, dass | |
er sich gut mit der Unterlage verbindet. In schneearmen Wintern wie dem der | |
letzten Saison ist das nicht so. Dann steigt abseits der Pisten die | |
Lawinengefahr. Die Gefahr, die von der Natur ausgeht, macht den Extremsport | |
Freeriden noch extremer. | |
Lawinen - die tödliche Gefahr von Schneebrettern ist vielen | |
Freizeitsportlern immer noch nicht bewusst. Aline Bock weiß um das Problem: | |
"Wenn ich von einem Todesfall höre, frage ich mich schon, ob ich nicht | |
mitverantwortlich bin für das Unglück." Ihre spektakulären Abfahrten sind | |
Werbung für einen Risikosport. | |
"Ich kann nur immer wieder raten, die richtige Ausrüstung zu verwenden." | |
Das Thema Sicherheit ist eines der meistdiskutierten auf der World Tour der | |
Freerider. Am Rande der Wettbewerbe finden Workshops statt, meist in | |
Zusammenarbeit mit der örtlichen Bergwacht. | |
Auch Aline Bock und Sebastian Hannemann gehen nie ohne LVS ins Gelände. Ein | |
solches Lawinenverschütteten-Suchgerät sollte jeder mitnehmen, der sich | |
abseits der Pisten bewegt. Auch die Freerider fahren bei ihren Wettkämpfen | |
mit LVS, führen eine Schaufel mit sich und tragen einen Airbag-Rucksack. | |
Vor jedem Rennen gibt es ein Security-Meeting. Die Veranstalter der Tour | |
sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Aline Bock sagt: "Letztlich ist | |
jeder für sich selbst verantwortlich." Und eines weiß sie ganz genau: "Das, | |
was wir machen, das können die meisten eh nicht." Einmal kurz die Piste zu | |
verlassen, ist etwas anderes, als im felsigen Hochgebirge von Schneefleck | |
zu Schneefleck zu springen. | |
Grenzen - viele Freizeitsportler verunglücken, weil sie sich falsch | |
einschätzen. 4.596-mal rückte allein die bayerische Bergwacht im | |
vergangenen Jahr aus, um Skifahrern oder Snowboardern zu helfen. Abseits | |
der Pisten verunglückten in Bayern im vergangenen Jahr vier Menschen | |
tödlich. | |
Bock und Hannemann erzählen von der Arbeit neben dem Spaßsportleben. Von | |
der Arbeit an der Grundlagenausdauer und vor allem davon, wie wichtig es | |
ist, den eigenen Körper zu kennen. "Ich weiß, wie man trainiert", meint | |
Aline Bock. Sie hat in Innsbruck, wo sie lebt, Sportmanagement studiert. | |
"Da lernt man auch einiges über sich", sagt sie. Und: "Ich weiß auch, wann | |
ich einmal nichts machen muss, wann ich mich einfach nur sonnen kann." | |
Sebastian Hannemann, der einmal Sportlehrer werden will, weiß auch, dass er | |
neben dem Skifahren viel arbeiten muss. Er vertraut einem Konzept, das sich | |
Life-Kinetik nennt und dem auch Felix Neureuther, Deutschlands bester | |
Slalomfahrer, vertraut. | |
"Wahrnehmung + Gehirnjogging + Bewegung = mehr Leistung": Mit dieser Formel | |
werben die Life-Kinetiker für sich. Und mit den Adjektiven "sportlich, | |
spaßig, sensationell". Auch wenn sie hart an ihren Körpern arbeiten, wollen | |
solche wie Bock und Hannemann Spaßsportler bleiben. | |
Wettbewerb - auch im Funsport muss es manchmal ernst werden. Warum reicht | |
es den schneeverliebten Naturfreunden aus der Freeride-Szene nicht, für | |
sich allein die Berge auf Brettern zu genießen? Aline Bock ist regelrecht | |
süchtig nach dem Vergleich. In ihren ersten Wettkampf sei sie regelrecht | |
reingestolpert. | |
Wie es war? "Sonne, Powder, toll." Was sonst? Und dann hat sie gewonnen, | |
hat die drei Juroren, die unten am Hang stehen, am meisten beeindruckt. Die | |
bewerten die Linie, die die Fahrer gewählt haben, und wie gut sie sich | |
unter Kontrolle haben. | |
Beim ersten Freeride-Event dieser Saison am vergangenen Wochenende in | |
Chamonix ist weder Aline Bock noch Sebastian Hannemann bei den | |
Punktrichtern sonderlich gut angekommen. Hannemann wurde 15. "So pretty | |
pissed right now", schreibt er in seinem Blog. | |
Aline Bock wurde Sechste. Sie stürzte beim letzten Sprung. "Ich bin | |
superhappy, dass ich unten angekommen bin", meinte sie hernach. Die Szene | |
ist weitergezogen nach St. Moritz. | |
Warten - viel Platz ist nicht in der Gondel der Karwendelbahn bei | |
Mittenwald. 35 Skifahrer passen in eine Kabine. Freerider. Über das Dammkar | |
können sie 6,5 Kilometer abfahren. Präpariert ist die Strecke nicht. | |
Immerhin wird sie von der Bergwacht markiert und gesichert. | |
Lange war das ein Geheimtipp. Das ist vorbei. Der Andrang ist groß. Spuren | |
im Schnee ziehen können nur die, die früh an der Gondel stehen. Wer später | |
kommt, schiebt seine Schaufeln über verspurtes Gelände. | |
Der Traum vom Einssein mit der Natur ist schnell ausgeträumt. Immer mehr | |
Skigebiete werben mit "Freeride-Points", so wie Hochfügen in Tirol, ein | |
Sponsor von Hannemann. So schön wie auf den PR-Videos von Spaßsportprofis | |
wie Aline Bock und Sebastian Hannemann ist der Winter nur ganz selten. Wie | |
war das? "Sonne, Powder, toll!" | |
28 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |