# taz.de -- Taz-Serie Sekundarschule (Teil 4): Die Reifeprüfung | |
> An der Skalitzer Straße steht die Anmeldung für den zweiten | |
> Sekundarschüler-Jahrgang kurz bevor. Die Pädagogen kämpfen um die Kinder | |
> im Kiez. | |
Schön und ruhig, abseits des Verkehrslärms, beinahe wie eine Burg liegt das | |
Gebäude der neuen Sekundarschule an der Skalitzer Straße im trüb-grauen | |
Licht des Kreuzberger Spätnachmittags. Fast ein wenig zu ruhig, denn heute | |
ist Tag der offenen Tür in dem altehrwürdigen Schulhaus, in dem nun schon | |
seit einem halben Jahr eine ehemalige Haupt- und eine Haupt-/Realschule zur | |
neuen Sekundarschule zusammenwachsen. | |
Aber nur wenige Eltern nutzen die Gelegenheit, sich die breiten Flure und | |
die zu Schuljahresbeginn frisch gestrichenen Klassenzimmer der ehemaligen | |
Eberhard-Klein-Schule anzusehen. Dabei hat das Gebäude einiges zu bieten: | |
etwa die von großen Decken- und Seitenfenstern lichtdurchflutete, | |
zweigeschossige Bibliothek, in der die SchülerInnen Lehrbücher, aber auch | |
Kinder- und Jugendliteratur ausleihen können. Oder den fast wie ein | |
professionelles Studio gestalteten Musikraum, in dem neben der türkischen | |
Laute "Saz" afrikanische Trommeln, Keyboards und Gitarren auf Benutzung | |
warten. Im Keller gibt es gut ausgestattete Werkstätten für Metall- und | |
Holzverarbeitung, zwischen den Klassenzimmern in der zweiten Etage einen | |
großen Aufenthaltsraum mit Kicker und Tischtennisplatte für die jüngeren, | |
im vorderen Gebäudeteil für die älteren SchülerInnen Platz zum Chillen. | |
Doch die Skepsis vieler Eltern hier im Wrangelkiez gegenüber der zur | |
Sekundarschule umgestalteten früheren Haupt- und Realschule sei groß, sagt | |
eine Frau, die mit ihrer Tochter der Bollywood-AG der Sekundarschule | |
zuschaut. Die Gruppe präsentiert am Tag der offenen Tür im unteren Teil der | |
zweigeschossigen Turnhalle ihre Tänze. "Gerade die bildungsbewussten Eltern | |
sind sehr auf das Gymnasium fixiert", findet die Mutter. Ihren Sohn, der | |
gerne auf die neue Schule ginge, hätten Mitschüler gefragt, wieso er "auf | |
die Schule für Dumme" wolle, ergänzt eine andere, die ihren Namen ebenfalls | |
lieber nicht nennen will. | |
Dabei tut die Sekundarschule viel, um ihren Ruf bei den Eltern und | |
SchülerInnen der umliegenden Grundschulen zu verbessern. In der oberen | |
Turnhalle etwa spielen gerade Sechstklässler der Fichtelgebirge-Schule | |
Fußball gegen Sekundarschul-Siebtklässler. Der Austausch zwischen der | |
Grundschule am östlichen Ende der Wrangelstraße und der neuen | |
Sekundarschule ist groß, auch mit der Nürtingen-Grundschule am | |
Mariannenplatz pflegt man den Kontakt. Und zwar nicht nur durch | |
Informationsveranstaltungen für Eltern: Lehrer der Sekundarschule | |
unterrichten schon in den sechsten Klassen der Grundschulen. "So wollen wir | |
den Übergang von der Grund- in die Oberschule für die Kinder leichter | |
machen", sagt Robert Hasse, Mittelstufenkoordinator der Sekundarschule. Die | |
GrundschülerInnen sollen "ihre" Oberschule langsam kennen lernen und so | |
Ängste ab- und Vertrauen aufbauen. | |
Der Übergang in die höhere Schule sei eben "immer schwierig", sagt die | |
Sozialpädagogin Fatma Bektas. Sie ist an der Sekundarschule unter anderem | |
für die Elternarbeit zuständig. "Die Kinder verlieren ihre vertrauten | |
Bezugspersonen, die gewohnte Umgebung, zudem stehen sie am Beginn der | |
Pubertät." Da sei es ganz normal, wenn es bei der Umstellung auch mal | |
Konflikte gebe, sagt Bektas. Doch gerade skeptische Eltern sehen bei | |
Problemen ihre Befürchtungen gegenüber den leistungsgemischten Klassen an | |
den Sekundarschulen bestätigt - und melden ihre Kinder wieder ab. Bektas | |
arbeitet dagegen - mit größtmöglicher Einbeziehung der Eltern. Dafür gibt | |
es nicht nur einmal monatlich ein Elterncafé, sondern eine Arbeitsgruppe | |
für Eltern, die in der Zusammenarbeit mit der Schule geschult und so zu | |
Multiplikatoren für andere Eltern werden sollen. | |
Am Tag der offenen Tür sind die AG-Eltern unterwegs, um Interviews mit | |
Lehrern, Schulleitern und Sozialarbeitern zu machen und so die Personen und | |
ihre Aufgabenbereiche kennen zu lernen. Bewusst hat Fatma Bektas dabei | |
Eltern der ehemaligen Carl-Friedrich-Zelter-Schule, einer Hälfte der | |
fusionierten Sekundarschule, zu PädagogInnen der anderen Hälfte, der | |
Eberhard-Klein-Schule, geschickt - und ehemalige Klein-Eltern zu | |
Zelter-PädagogInnen. So sollen auch die Vorbehalte, die die beiden | |
zwangsfusionierten Hälften noch trennen, aufgebrochen werden. "Denn beide | |
Schulen haben Kompetenzen in die Fusion eingebracht, die zusammen sehr | |
positiv wirken können", ist die Sozialpädagogin überzeugt. Sie will den | |
Eltern künftig eigene Räume in der Schule zur Verfügung stellen: "Wir | |
wollen sie als Bildungspartner in die Schule holen." Auch Eltern | |
nichtdeutscher Herkunft sei "Präsenz an der Schule wichtig", sagt Bektas, | |
die früher an einer Neuköllner Grundschule gearbeitet hat: "Doch auch wenn | |
sie gut Deutsch sprechen, sind sie oft unsicher in der Kommunikation mit | |
der Institution Schule." Auch dem will sie mit der Eltern-AG abhelfen. | |
Begleiten und stabilisieren | |
Neben Fatma Bektas arbeiten sechs weitere SozialpädagogInnen mit den | |
derzeit knapp vierhundert SchülerInnen der Sekundarschule. Und sogar diese | |
gute Ausstattung kann für Eltern ein Grund sein, die Schule zu meiden, weiß | |
ihr Kollege Oliver Tempel: "Sie glauben, dass Sozialpädagogen nur zur | |
Krisenintervention und gegen Verwahrlosung da sind", sagt er. "Dabei | |
arbeiten wir hier ganz anders mit den SchülerInnen: Wie begleiten und | |
stabilisieren sie in ihrer persönlichen Entwicklung, in der schwierigen | |
Zeit der Pubertät - und das geht alle an!" | |
Für Katharina La Henges ist die gute Betreuung an der Sekundarschule einer | |
von vielen Gründen, ihren Sohn gerade dort anzumelden. "Wir sind verwöhnt | |
von der Grundschule", sagt die Mutter eines Sechstklässlers der | |
Fichtelgebirge-Schule: "Dort gibt es eine Schulstation, Sozialpädagogen und | |
eine sehr intensive Zusammenarbeit mit den Eltern. Das war für uns sehr | |
wichtig." Denn nach schlechten Erfahrungen an seiner ersten Grundschule | |
hatte ihr Sohn kaum noch Lust, zur Schule zu gehen. "Durch die gute | |
Betreuung an der Fichtelgebirge-Grundschule hat ihm die Schule wieder Spaß | |
gemacht", sagt La Henges. Nun wünscht sie sich für ihren Sohn eine | |
Oberschule, "die die Schüler motiviert, Schule als etwas zu sehen, was | |
nicht nur eine Last ist, sondern einem das Leben ermöglicht." Von einigen | |
Lehrern der Sekundarschule sei sie diesbezüglich "sehr beeindruckt", so die | |
Mutter. "Und auch davon, dass die Schule intensiv mit den Eltern | |
zusammenarbeiten will." Sie plant nun gemeinsam mit anderen Familien eine | |
Elterninitiative, die die Sekundarschule auf dem Weg dahin unterstützt, | |
"eine gute, gerechte und demokratische Schule für unseren Kiez zu werden." | |
Fatma Bektas und ihr Kollege Tempel freuen sich schon darauf: "Wenn die | |
Schule jetzt mehr Unterstützung aus dem Kiez bekommt", hofft Bektas, "dann | |
kann hier etwas richtig Gutes und Fruchtbares entstehen." | |
28 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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