# taz.de -- Debatte Kommunismus: Verlorenes Paradies | |
> Da steht es wieder so im Raum, das K-Wort. Aber soll man den Kommunismus | |
> noch beschwören? Besser nicht. Die Kommunisten von heute leben in einer | |
> Welt der leeren Vorstellung. | |
Bild: Keine Revolution, sondern nur noch ein Image: Kommunismus ist Radical Chi… | |
Seitdem die ansonsten unauffällige Linksparteichefin Gesine Lötzsch über | |
ihre hundert Wege zum Kommunismus räsonierte, steht es wieder so im Raum: | |
das Wort Kommunismus. Und da steht es rum, und keiner weiß so recht, wohin | |
mit ihm. In die Rumpelkammer? Ins Devotionalieneckerl zu den anderen | |
ehrwürdigen Erinnerungsstücken? Oder doch gar wieder in den politischen | |
Zielkatalog? | |
Ist er also noch für irgendetwas brauchbar, der Kommunismus? | |
Zunächst die simpelste Frage: Soll man ihn anstreben, soll man ihn fordern | |
dürfen? Aber klar soll man das dürfen. Und nicht nur der Meinungsfreiheit | |
wegen. Natürlich ist der Kommunismus ein alter Menschheitstraum, eine | |
große, grandiose Idee, die seit Jahrhunderten viele Menschen anspornte, | |
sich für eine bessere Welt zu engagieren - nicht erst seit Karl Marx, | |
sondern auch zu früheren Zeiten, als es das Wort noch gar nicht gab. | |
Mehr noch, es gab auch im vergangenen Jahrhundert die Rätekommunisten und | |
all die anderen "guten" Kommunismen, wie [1][Ralf Hutter jüngst an dieser | |
Stelle] schrieb, auf die man sich auch positiv beziehen könnte. Kommunismus | |
ist nicht identisch mit Bürokratendiktatur graugesichtiger Männer. Also, | |
dürfen darf man schon. Aber soll man es deswegen auch? Welchen Nutzen kann | |
es bringen? | |
In der ganzen winterlichen Aufregung um das K-Wort war doch eines ziemlich | |
bemerkenswert: Von ein paar Wortmeldungen abgesehen, gab es eher keine | |
Erregung, sondern Belustigung. Früher waren die Kommunisten noch stolz | |
darauf, dass "die Herrschenden" mit Schrecken reagierten, wenn sie den | |
Kommunismus forderten. Heute erschrecken die nicht, sondern klopfen sich | |
kichernd auf die Schenkel. | |
So von der Art: Haha, die schräge Tante hält schneidige Reden im Kreise von | |
ein paar Irren. Selbst im einstigen Zentralorgan des Antikommunismus, in | |
Springers Welt, überwogen die ironischen Spitzen angesichts des | |
missglückten Versuchs, mit Radical Chic zu punkten. | |
Aus dem Gespenst des Kommunismus, das einstmals in Europa umging, ist das | |
Gespött des Kommunismus geworden. Und ich denke, das hat seine guten | |
Gründe. | |
Schließlich weiß man heute längst - und auch die, die es nicht bewusst | |
wissen, haben eine unbewusste Ahnung davon -, dass Wörter wie radikal oder | |
Kommunismus zu Catch-Phrasen verkommen sind, zu sprachlichen Markern. Wer | |
sie benützt, will etwas signalisieren. Etwas von der Art: Seht her, ich bin | |
ein ganz toller Kerl, nicht so ein Warmduscher wie all die andern. Es ist | |
mehr eine Werbe- und Marketingstrategie, dient zum Aufbau einer Unique | |
Selling Proposition. Wir sind cool, die anderen fad. Wir radikal, die | |
anderen angepasst. Kauft uns. | |
Das Reale, um das es da geht, ist also nicht eine kommunistische | |
Revolution, sondern Image, ein Gefühl: Die, die sich in die maximal | |
radikale Pose wirft, darf sich als toller, cooler Hecht fühlen und hängt | |
denen, die nicht so radikal reden, das Image von faden, verzagten Luschis | |
um. So funktioniert Radical Chic. | |
Die Vision, die Energien raubt | |
Dieser entleerte Radikalismus hat aber eine Reihe negativer Auswirkungen. | |
Er raubt denen, die sich ihm verschreiben, die Fähigkeit, wichtige | |
Unterscheidungen zu treffen. Er verhöhnt alles, was innerhalb "des Systems" | |
(System ist auch so ein Lieblingswort dieses Radikalismus) Verbesserungen | |
bringen könnte. Für ihn zählt nur die ganz große Veränderung, das ganz | |
Andere. Der Kommunismus, der kommt zwar noch lange nicht, und | |
wahrscheinlich kommt er nie, aber alles, was bis dahin an realen Reformen | |
gemacht werden kann, zählt nicht. So in etwa stellt sich die Welt für diese | |
Art von Kommunisten dar. | |
Und deshalb entfaltet das radikale Maulheldentum heute eine ganz andere | |
Wirkung als noch vor hundert Jahren: Früher verlieh die Utopie des | |
Kommunismus vielen zehntausenden Linken Kraft, sie hatte eine energetische | |
Wirkung. Heute passiviert sie dagegen. Sie verleiht niemandem Kraft, sie | |
raubt sie eher. Weil die kleinen, sukzessiven Änderungen ohnehin nichts | |
bringen, die großen aber nirgendwo in Sicht sind, richtet sich der | |
Kommunist wohlig ein in seiner Passivität. Er ist der keppelnde, übel | |
gelaunte, besserwisserische Balkonmuppet, der nichts beizutragen hat als | |
den Hinweis, dass die Reformer doch nur zur Stabilisierung des Systems | |
führen. | |
Kein Korrektiv mehr | |
In gewissem Sinn funktioniert der "Kommunismus" oder die "ganz andere | |
Gesellschaft" oder die "große Änderung", die im wortradikalen Justemilieu | |
gerne beschworen werden, wie das Paradies im Christentum: Dieses versprach | |
dem Sklaven das Himmelreich und machte klar, dass der Kampf gegen die | |
irdische Versklavung angesichts dieser gloriosen Aussicht eine unbedeutende | |
Nebensache sei. Der Kommunist beschwört die eminente Veränderung und | |
erklärt, dass der Kampf um kleine Verbesserungen eine unbedeutende (ja | |
kontraproduktive) Nebensache sei. | |
Der Kommunismus ist also zu einer hohlen Phrase verkommen. Kluge Radikale | |
wenden an dieser Stelle ein, dass auch die Reformer die Radikalen brauchen, | |
als Korrektiv, als Ansporn. Dass die Pragmatiker die Visionäre brauchen, da | |
sie ohne diese vom Kurs abkämen. Doch ich kann nicht sehen, dass das Wort | |
Kommunismus und diejenigen, die es heute gebrauchen, diese Wirkung in | |
irgendeiner Form entfalten. Eher drängt sich der Eindruck auf, dass es sie | |
daran hindert, diese Wirkung zu haben. Dazu sind sie zu sehr von jeder | |
Realität, nein, mehr noch: selbst von dem, was irgendwie gerade noch | |
vorstellbar ist, abgekoppelt. | |
Selbst wer den guten Kommunismen anhängt, handelt sich damit eine Reihe | |
weltfremder Romantizismen ein, wie Andre Brie in der Sächsischen Zeitung | |
schrieb: "Absterben des Staates, völlige Herrschaftsfreiheit, absolute | |
Überwindung der Warenwirtschaft, des Marktes und Geldes." | |
Das Wort Kommunismus evoziert also nichts als eine Reihe leerer | |
Imaginationen. Kann ja sein, dass sich das irgendwann einmal wieder ändert. | |
Aber bis dahin sollte man das K-Wort doch besser in der Asservatenkammer | |
ablegen. | |
30 Jan 2011 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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