# taz.de -- Montagsinterview mit Gewerkschafter Peter Schrott: "Manchmal muss m… | |
> Kaum eine Demonstration in Berlin, auf der Peter Schrott nicht seine | |
> Ver.di-Fahne hochhält. Seit 51 Jahren ist er Gewerkschafter - als steter | |
> Verbindungsmann zur linken Szene und den sozialen Bewegungen. | |
Bild: "Alleine kann man nichts erreichen, auch nicht als Gewerkschaft." | |
taz: Herr Schrott, können Sie noch zählen, wie viele Demonstrationen Sie in | |
Ihrem Leben angemeldet haben? | |
Peter Schrott: Nö, keine Ahnung! Das ging ja schon in den 60ern los, mit | |
den Friedensdemos gegen den Vietnamkrieg. Später kamen die Ostermärsche | |
dazu, die Westberliner Liebknecht-Luxemburg-Ehrung, Demos gegen | |
Nazi-Aufmärsche oder gegen soziale Missstände wie Hartz IV. Fragen Sie doch | |
mal beim Verfassungsschutz nach. | |
Sie werden dort erfasst? | |
Aber ja. 1989 habe ich mal meine Akte einsehen dürfen. Da waren vier | |
Fünftel geschwärzt, trotzdem tauchten Demos auf, an die ich mich gar nicht | |
mehr erinnern konnte. Und 2006 wurde ja bekannt, dass das Berliner | |
Sozialforum, an dem ich für Ver.di beteiligt bin, vom Verfassungsschutz | |
beobachtet wird. Seitdem klagen einige von uns gegen das Land, dass | |
vollständig offengelegt wird, warum überhaupt und was alles gesammelt | |
wurde. | |
Sie waren lange Zeit Friedens- und Antifa-Aktivist, sind seit 51 Jahren - | |
seit Ihrem 15. Lebensjahr - ehrenamtlicher Gewerkschafter. Für welche Seite | |
schlägt Ihr Herz mehr? | |
Ich bin Gewerkschafter, der im Interesse der arbeitenden Menschen Bündnisse | |
schmiedet, vor allem mit den sozialen Bewegungen. Gewerkschaft sollte ja | |
nicht bei Gehaltsforderungen und Manteltarifverträgen aufhören. Es gilt | |
weiterhin der Spruch: Einen Finger kann man brechen, eine ganze Faust | |
nicht. Alleine kann man nichts erreichen, auch nicht als Gewerkschaft. | |
Wann haben Sie begonnen, Ihre Bündnisse mit den Bewegungen zu knüpfen? | |
Da war ich noch in der IG Druck und Papier. Ende der 70er, mit dem | |
Nato-Doppelbeschluss, muss das gewesen sein. Ich war stark in der | |
Friedensbewegung aktiv und habe mich mit dafür eingesetzt, dass in den | |
Gewerkschaften Friedens-AGs gegründet werden. Dann kam 1988 die Tagung von | |
IWF und Weltbank in Berlin - da musste ja auch was gegen unternommen | |
werden. Das war meine erste Kontaktaufnahme mit Bündnissen, die über die | |
Friedensbewegungen hinausging. Ab dann kamen auch die Schienen Dritte Welt, | |
Soziales und Antifaschismus dazu. | |
Sie sind gelernter Maurer, organisieren bodenständige Arbeiterpolitik - die | |
linke Szene diskutiert gerne auch abgehoben über Marx. Gab es da keine | |
Verständigungsprobleme? | |
Nein. Von meinem Lebenslauf her war ich immer für andere Einflüsse offen, | |
habe mich fortwährend weitergebildet. Und früher in der Gewerkschaftsjugend | |
hatten wir ja auch noch Kapital-Seminare, in der wir uns Theorie aneignen | |
konnten. Das hatte den Vorteil, dass ein Bewusstsein geschaffen wurde, um | |
zu erkennen, woher Probleme rühren. Heute dagegen werden gesellschaftliche | |
Auseinandersetzungen sehr oft aus dem Bauch heraus und nicht mit dem Kopf | |
beantwortet. | |
Aktuell sind einige soziale Bewegungen von den Gewerkschaften enttäuscht, | |
weil die im letzten Jahr einen "heißen Herbst" gegen Sozialkürzungen | |
ankündigt hatten, dann aber wenig folgen ließen. | |
Die Gewerkschaften haben zu lange auf Sozialpartnerschaft und das alleinige | |
Bündnis mit der SPD gesetzt. Man kann nicht erwarten, dass sie sich nun | |
urplötzlich wieder an Marx halten und die Unternehmer als Gegner bekämpfen. | |
Natürlich wollen viele soziale Gruppen gerne, dass wir den Generalstreik | |
ausrufen, aber wir müssen die Realitäten sehen. Da ist die Kraft noch nicht | |
wieder da. Warum fordern Gewerkschaften denn einen gesetzlichen | |
Mindestlohn? Weil sie nicht mehr in der Lage sind, das selber | |
flächendeckend in Tarifverhandlungen durchzusetzen. Wir müssen erst zu | |
alter Stärke zurückfinden. | |
Wie wollen Sie das hinbekommen? Der Trend geht ja eher in Richtung massiver | |
Mitgliederverlust. | |
Wir müssen weiterhin versuchen, Menschen für Gewerkschaften zu begeistern. | |
Je mehr Menschen wir vertreten, desto stärker können wir wieder Druck | |
ausüben. Das heißt auch, ohne Hemmungen an die jungen Leute ranzugehen. Und | |
die organisieren sich nun mal links. Auch deshalb mache ich die Demos und | |
Warnstreiks mit, verhindere, dass die Polizei nicht in die Demos reingeht | |
und auf die Leute eindrischt. Man muss den jungen Leuten Engagement | |
vorleben, damit sie sehen: Hey, die Gewerkschaften sind interessant, da | |
kann ich ja auch mitmachen. | |
Das klingt nach Zusammenarbeit als Mittel zum Zweck … | |
Nein, überhaupt nicht. Es geht darum, zusammen Stärke zu entwickeln. Und | |
das in allen gesellschaftlichen Bereichen. Da müssen sich die | |
Gewerkschaften noch mehr öffnen und endlich wieder kämpferischer werden. | |
Was können Gewerkschaften von den sozialen Bewegungen lernen? | |
Soziale Bewegungen können eher bestimmte Grenzen überschreiten und zivilen | |
Ungehorsam ausüben. Das trauen sich die Gewerkschaften heutzutage oft | |
nicht, da sind wir weder Fisch noch Fleisch. Manche haben ja schon | |
Muffensausen, bestimmte Demo-Aufrufe zu unterschreiben. Mit einem | |
Schmusekurs wird man aber nichts erreichen, nicht in Tarifverhandlungen und | |
nicht in der Veränderung der Gesellschaft. Das muss auch bei den leitenden | |
Personen in den Gewerkschaften sacken. | |
Würde nicht mehr Radikalität auch Leute abschrecken? | |
Das glaube ich nicht. Manchmal muss man eben auch Ärger machen. Als die | |
europäischen Hafenarbeiter 2003 und 2006 gestreikt haben, gingen in Brüssel | |
und Straßburg auch ein paar Scheiben kaputt. Die Polizei hatte da wenig | |
Chancen, weil die Arbeiter vereint und stark waren. Und ihre Botschaft war | |
danach in aller Öffentlichkeit präsent. | |
Sie selbst scheuen die Zusammenarbeit mit Autonomen nicht, pflegen | |
freundschaftliche Kontakte. Wie kommt das bei Ihren Ver.di-Kollegen an? | |
Ich hatte immer das Glück, als Bündnisverantwortlicher mit den sogenannten | |
Unanständigen zusammenzuarbeiten. Da wird ja auf Demos gerne getrennt: Hier | |
die Anständigen und Großkopfigen, da die bösen Antifas. Mein Ziel war es | |
immer, diese Trennung aufzuheben. Im Antifa-Bereich ist mir das ganz gut | |
gelungen. Obwohl ich noch oft gesagt bekomme, dass wir etwa nicht mit der | |
ALB, der Antifaschistischen Linken Berlin, zusammenarbeiten sollen. Das | |
seien ja die Schlimmen. | |
Und was antworten Sie dann? | |
Ich habe Leute von der ALB letztes Jahr zu uns in die | |
Bezirksgeschäftsführung und ins Präsidium eingeladen, um zu zeigen, dass | |
die ein ganz normaler Partner sind. Auch wenn die ALB manchmal dazu | |
tendiert, etwas größenwahnsinnig zu werden. Es gibt auch andere wichtige | |
Akteure im Antifa-Bereich. | |
Sie haben auch den Aufruf zu "Castor Schottern" unterzeichnet. | |
Ja! Das hat mir einen Brief von der Staatsanwaltschaft Lüneburg | |
eingebracht. Den hab ich bis heute nicht beantwortet. Hab ich kein | |
Interesse daran. Im Wendland war ich leider nicht, da lag ich schwer | |
erkältet flach. | |
Wie weit gehen Sie in den Mitteln Ihres Protests? | |
Im Augenblick wüsste ich nicht, wo ich nicht mitmachen würde. Bei allem was | |
zur Veränderung der Gesellschaft im Interesse der arbeitenden Menschen | |
beitragen kann, bin ich voll dafür. Und "Castor Schottern" ist so ein | |
Ansatz, weil die Atomindustrie nicht im Interesse der Arbeiterschaft | |
handelt. Insofern muss man einfach mal deutlich sage: Jawohl, Schluss mit | |
dem Scheiß! | |
Vertreten Sie damit eine Mehrheitsmeinung bei Ver.di? | |
Zumindest habe ich bei meinen Berliner Kollegen damit keine Probleme. | |
Und die Polizei, mit denen hatten Sie keinen Ärger? | |
Doch, doch. Während der Vietnamdemos saß ich auch mal in der | |
Zwei-mal-drei-Meter-Kombüse der Polizei. Und bei einer 8.-Mai-Demo in den | |
Neunzigern bin ich mal einer Polizeifaust im Wege gewesen. Ich musste ins | |
Krankenhaus, da wurde ein bisschen genäht und dann bin ich zurück zur Demo, | |
um die Sache als Anmelder zu Ende zu bringen. | |
Warum sind Sie überhaupt Gewerkschafter geworden - und nicht | |
Straßenprotestler geblieben? | |
Das ist meinem Elternhaus geschuldet. Mein Opa und mein Vater waren beim | |
Rotfrontkämpferbund, bei uns gehörte es einfach dazu, kämpferisch zu sein. | |
Und mein Weg war eben die Gewerkschaft. Als mich die Maurer-Kollegen auf | |
dem Bau dafür geworben haben, war ich sofort dabei. | |
Aber nicht jeder Gewerkschafter beteiligt sich ununterbrochen an Demos. | |
Man kann die Gesellschaft eben nur voranbringen, wenn man nicht nur etwas | |
für sich macht, sondern sich für linke Positionen einsetzt. | |
Was heißt für Sie links? | |
Dass man für die arbeitenden Menschen etwas Positives erreicht. Dass die | |
Bundesrepublik wieder sozialer wird. Wir müssen den Sozialstaat | |
zurückholen, da ist in den letzten Jahren viel kaputtgegangen. | |
Streiten Sie auch für eine ganz andere Gesellschaftsform? | |
Also ich hätte, wenn man mal die aktuelle Diskussion nimmt, keine Probleme, | |
"neue Wege" auszuprobieren. Warum denn nicht? Wenn man sieht, wie | |
abgewirtschaftet der Kapitalismus ist, dann muss ja irgendwas danach | |
kommen. Und ob das nun Sozialismus, demokratischer Sozialismus oder | |
Kommunismus heißt, ist mir sowas von egal. Auf alle Fälle muss im Interesse | |
der arbeitenden Menschen etwas Besseres herauskommen. | |
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie keine Gewerkschaftsarbeit machen? | |
Oh, mhm, schwer zu sagen. (lange Pause) Irgendwie hat alles, was ich mache, | |
mit Gewerkschaft zu tun. Das ist schon der Hauptinhalt meines Lebens. Ich | |
war aber mal dreieinhalb Jahre in Afrika. | |
Was haben Sie da gemacht? | |
Ich bin auf einer Fahrt zu einer Antifa-Demo nach Frankfurt (Oder) über | |
eine Anzeige vom Deutschen Entwicklungsdienst gestolpert. Dann hab ich den | |
Familienrat gefragt und der hat mir gestattet, dort für ein paar Jahre | |
runterzugehen. Erst sollte ich nach Togo, eine Druckerei aufbauen. Das hat | |
nicht geklappt. Dann bin ich nach Kamerun und habe mich um | |
Trinkwasserprojekte gekümmert. | |
Was haben Sie aus Afrika für sich mitgenommen? | |
Sehr viel. Wir lebten in einem afrikanischen Dorf, arbeiteten auf einem | |
Bauplatz oder fuhren in die Dörfer. Bewohner kamen zu uns und haben uns | |
gebeten, ob wir ihnen nicht Quellen einfassen oder Brunnen buddeln können. | |
Mit der Schaufel, bis zu 30 Meter tief. Es erdet, wenn man nicht nur | |
abgehoben in der Hauptstadt des Gastlandes sitzt und von oben herab auf die | |
Menschen guckt. Dazu diese Gastfreundschaft. Ich kann jedem nur empfehlen, | |
so etwas in seinem Leben zu tun. | |
Sie waren danach aber erst mal arbeitslos. | |
Ich stand dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, wie es so schön heißt, aber er | |
wollte mich nicht mehr. Dann kam die Anfrage, ob ich nicht ehrenamtlich | |
stellvertretender Vorsitzender beim Ver.di-Bezirk Berlin werden möchte. Da | |
habe ich gerne kandidiert. Seitdem mache ich auch Erwerbslosenarbeit. | |
Viele Arbeitslose fühlen sich von den Gewerkschaften nicht vertreten. Ging | |
es Ihnen anders? | |
Ganz deutlich: ja. Bei Ver.di gab es von Anfang an Erwerbslosengruppen und | |
Beratungen. Ich selbst vertrat im Beirat des Jobcenters | |
Charlottenburg-Wilmersdorf und in der Arbeitsagentur Nord den DGB und hab | |
mich für dort die "Kunden" eingesetzt. | |
Trotzdem wünschen sich viele mehr Engagement der Gewerkschaften für | |
Arbeitslose. | |
Allgemein habe ich auch den Eindruck, dass die Gewerkschaften in dem Feld | |
zu wenig handeln und diese Gesellschaftsgruppe vielfach links liegen | |
lassen. Nicht aus bösem Willen, sondern weil sie schlicht überfordert sind. | |
Sehr häufig hört man dann, dass man mit dem "Stammgeschäft" schon genug zu | |
tun hat. Ver.di nehme ich da aber ausdrücklich aus. Es wäre wünschenswert, | |
wenn die anderen Gewerkschaften sich an unserer Erwerbslosenarbeit ein | |
Beispiel nehmen würden. | |
Sie sind jetzt 66 Jahre: Wie alt muss Peter Schrott werden, damit er nicht | |
mehr demonstrieren geht? | |
Keine Ahnung, noch bin ich nicht müde. Warum auch. | |
Aber bei Ver.di treten Sie jetzt kürzer? | |
Ja, was die Bündnisarbeit angeht. Im Herbst hab ich das an zwei | |
Nachfolgerinnen abgegeben, auch wenn ich noch mal in der Arbeitsgruppe | |
Bündnis gewählt wurde. Weg bin ich also nicht. Ich bin ja auch in die | |
Ver.di-Seniorenarbeit eingestiegen. Ich will weiter mithelfen, dass wir in | |
die eingeschlagene Richtung gehen. | |
Werden Sie also niemals aufhören mit Gewerkschaftsarbeit? | |
Ich glaube, ich mach das, bis ich den Löffel abgebe. | |
30 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Simon Poelchau | |
Konrad Litschko | |
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