# taz.de -- Mozilla-Geschäftsführer übers Open Web: "Wir verbinden Freibier … | |
> Mark Surman, Mozilla-Foundation-Geschäftsführer, über die rebellische | |
> Marke Mozilla, das revolutionäre Potenzial des Internets und kommerzielle | |
> Strategien als politische Intervention. | |
Bild: Mozilla, der neue Punk: Die Sex Pistols haben die Musikindustrie verarsch… | |
taz: Herr Surman, der Titel des Medienkongresses, den die taz und der | |
Freitag organisieren, lautet "Die Revolution haben wir uns anders | |
vorgestellt". Welche revolutionäre Rolle spielt das Internet wirklich? | |
Mark Surman: Die große Errungenschaft des Netzes ist es, ein | |
Kommunikationsmittel für Leute zu sein, die sonst kein Gehör finden. Das | |
Internet bringt in gewisser Weise den Kollektivismus voran. Aber in einem | |
Sinne, der quer durch das verläuft, was wir früher als links und rechts | |
bezeichnet haben. Unternehmen, die man als konservativ bezeichnet hätte, | |
machen sich heute kollektive Arbeitsstrategien zu eigen, etwa beim | |
Crowdsourcing. Ob etwas im Netz offen oder geschlossen ist, das ist | |
interessant, denn da werden unterschiedliche Zugänge zur Verfügung | |
gestellt, die unterschiedliche politische Narrative erzeugen. | |
Auch Mozilla und sein bekanntestes Produkt, der Browser Firefox, gilt als | |
revolutionär. Doch die meisten Leute, die ihn benutzen, wissen gar nicht, | |
warum. Was ist das Besondere an Firefox? | |
Unser Browser ist schneller, hat keine Viren, keine Pop-ups, er ist äußerst | |
flexibel bei der Integration von Anwendungen. Das sind alles Dinge, die | |
User gut finden, weil sie ihnen das Leben einfacher machen, und das ist | |
auch der Grund, warum unsere Marktanteile steigen. Außerdem, und das ist | |
die andere Hälfte des Besonderen, sind alle Produkte von Mozilla offen, | |
frei und für alle zugänglich. Mozilla handelt immer nach seinen | |
Gründungswerten des open web. | |
Was bedeutet in diesem Zusammenhang frei? Frei im Sinne von Freibier? | |
Der marxistische Theoretiker Antonio Gramsci sagte einmal, dass es keine | |
gute, sozialistische Zeitung ohne einen Sportteil geben kann. Die Wahrheit | |
dieser Aussage besteht darin, dass man das Freibier mit den Werten | |
zusammenbringen muss, also umsonst zu sein, den Interessen der Nutzer zu | |
entsprechen und dabei aber mit sozialen Zielen verbunden sein. Selbst wer | |
nicht weiß, dass Mozilla eine NGO ist, weiß, dass Mozilla irgendwie eine | |
rebellische Marke ist. Und das ist für viele der wichtigere Aspekt als das | |
Freibier. | |
Machen Sie das alles aus purer Philanthropie, aus technischem Interesse | |
oder für den guten Ruf von Mozilla? | |
Von allem etwas. Natürlich erhoffen wir uns jede Menge guter Ideen, von | |
denen wir profitieren. Aber das Ziel von allem, was wir machen, ist pure | |
Philanthropie. Den Gründern der Mozilla-Stiftung ging es darum, die | |
Freiheit des Internets zu bewahren, denn Microsoft war damals dabei, das | |
Internet zu zerstören. Die Mozilla-Gründer wollten das Web im Sinne eines | |
Legobaukastens erhalten: jeder kann alles benutzen, neu mischen und etwas | |
anderes erschaffen. Die einzige Möglichkeit war, eine Marktstrategie zu | |
entwickeln, die mit Microsoft konkurrieren konnte. Und es hat funktioniert. | |
In Deutschland benutzen 50 Prozent aller User unseren Browser. Es ist zwar | |
eine kommerzielle Idee, aber eine, die eine politische Intervention | |
darstellt. | |
Man könnte sagen, dass Mozilla sich Malcolm McLaren zum Vorbild genommen | |
hat. Die Idee von Punk wurde erst zum globalen Phänomen, als McLaren die | |
Sex Pistols als Marke erfand und sie zu einem Kassenschlager machte. | |
Richtig. Als Anarchist und Punk bin ich sowieso lieber mit den Liberalen | |
als mit den Stalinisten zusammen. Auch die Linken haben zunehmend gemerkt, | |
dass wir hybride Herangehensweisen brauchen, die auf soziale Ziele | |
gerichtet, aber marktorieniert sind. Wichtig dabei ist jedoch, dass wir | |
nicht nur auf den Markt gehen, um eine Idee zu verkaufen, sondern um den | |
Markt neu zu gestalten. So wie Punk die Plattenfirmen verarscht und die | |
Regeln verändert hat, haben wir Microsoft verarscht und die Regeln | |
geändert. | |
Da wären wir bei Marshall McLuhan. Erst schaffen wir die Werkzeuge und dann | |
fangen sie an, uns zu verändern. | |
Ja und jetzt wird relevant, welche Entscheidungen wir treffen. Die | |
Druckerpresse und die Ära industrieller Medien hatte uns das Schöpferische | |
genommen und uns in die Publikums-Ecke gedrängt. Das Equipment, um selbst | |
aktiv zu werden, war einfach zu teuer und hochspezialisiert. Doch | |
spätestens mit dem Befehl "Copy and Paste" gelang im Internet in vielerlei | |
Hinsicht eine Revolution. Bilder, Sound, Videos und Text wurden variabel. | |
Wir können sie einfach nehmen und an anderer Stelle einfügen. Das ist eine | |
riesige konzeptionelle Veränderung für die Gesellschaft. Doch das Netz | |
erlahmt und wir müssen dafür sorgen, dass wieder mehr Dynamik eintritt, | |
viel mehr Leute viel mehr mitgestalten. | |
Haben Sie Schwierigkeiten mit Leuten, die Mozilla für Produkte, Software | |
und Projekte für Zwecke kapern, die nicht in Mozillas Sinn waren? | |
Natürlich kommen Leute, die bestimmte Features für Firefox anbieten, und | |
natürlich kommt auch jede Menge Schrott rein. Aber da gibt es ein ganzes | |
System, das auf einem Community-Governance-Modell basiert, das das | |
überwacht. So wie bei Wikipedia. Dieses Problem haben wir immer. Das ist | |
die Natur der Bestie, wenn man offen operiert. | |
Offene Operationen können aber auch schiefgehen. Wo sehen Sie derzeit die | |
größte Gefahr für das offene Internet? | |
Die drei größten Gefahren liegen im Bereich der Privatsphäre, der Frage, | |
wer überhaupt entwickeln darf und wer wann und wie Internetzugang hat. Die | |
Balance zwischen Offenheit und persönlicher Verantwortung ist sehr | |
schwierig. Wir entwickeln gerade ein Tool, das eine komplett andere | |
Architektur hat. Es bietet dieselben Vorteile der Sozialen Medien, aber | |
garantiert mehr Schutz der Privatsphäre. | |
Mozilla veranstaltete letztes Jahr einen Kongress zum Thema Bildung und | |
dieses Jahr eine zum Thema Medien. Was hat Mozilla mit Bildung zu tun? | |
Der Horizont des Internets beträgt ja bis zu 100 Jahren. Da reicht es | |
nicht, nur auf einen Browser zu gucken. Also investieren wir darin, | |
herauszufinden, was wir tun müssen, um Offenheit und Freiheit des Internets | |
zu garantieren. Vor 50 Jahren wusste niemand, was Cholesterin, Kalorien | |
etc. sind. Heute sind wir vielleicht immer noch fett, aber wir haben ein | |
Grundwissen über diese Dinge und deswegen die Wahl, fett zu werden. Über | |
das Internet gibt es dieses Grundwissen noch nicht. Und deshalb bringen wir | |
technische Entwickler mit klassischen Lehrern und Software-Pädagogen | |
zusammen und hoffen, dass wir eine radikale Ideen im Bereich der Pädagogik | |
entwickeln können. | |
Und was versprechen Sie sich von der Zusammenarbeit mit den Medien? | |
Wir haben beispielsweise eine Anwendung entwickelt, die 48 Stunden nach | |
ihrer Veröffentlichung von der Regierung der USA übernommen wurde: Wenn | |
Präsident Barack Obama seine jährliche öffentliche Rede an die Nation hält, | |
wird sie in der medialen Übertragung sofort mit Untertiteln in vielen | |
Sprachen zu sehen sein. Aber ganz allgemein geht es uns darum, dass wir | |
wissen, wo das Potenzial des Web liegt und wo es gefährdet ist. Und wir | |
wollen den Journalisten zeigen, wie das Web denkt, und von ihnen lernen, | |
wie man eine Geschichte erzählt. Von dieser Zusammenarbeit erhoffen wir | |
uns, die Grundidee des Journalismus, die Verteidigung von Freiheit und | |
Demokratie, zukunftsfähig zu machen. | |
6 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
Meike Laaff | |
## TAGS | |
taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
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