# taz.de -- Gedenktag wird geprüft: Streit um Vertriebenentag | |
> Die Bundesregierung soll die Einrichtung eines Gedenktags für die | |
> Vertriebenen prüfen. Die Opposition rügt einen unkritischen Antrag zur | |
> "Charta". | |
Bild: Ein Jude betet für die Ofer des Nationalsozialismus. | |
BERLIN taz | Der Bundestag debattierte am Donnerstag über den Antrag "60 | |
Jahre Charta der deutschen Heimatvertriebenen - Aussöhnung vollenden!". Das | |
Papier stellt fest, dass die "Charta" vom 5. August 1950 "ein wesentlicher | |
Meilenstein auf dem Weg zu Integration und Aussöhnung" gewesen sei. | |
Norbert Lammert (CDU), Bundestagspräsident, wird in dem Papier mit dem | |
Ausspruch zitiert: "Die Charta der Heimatvertriebenen gehört zu den | |
Gründungsdokumenten der Bundesrepublik, sie ist eine wesentliche | |
Voraussetzung ihrer vielgerühmten Erfolgsgeschichte." Der Antrag sieht in | |
der Charta "einen Beitrag dazu, das Bewusstsein und die Urteilsfähigkeit | |
der Menschen gegenüber den Vertreibungen weltweit zu schärfen". | |
Abschließend stellt der Antrag einen Forderungskatalog auf, der in einem | |
Prüfungsauftrag für einen Gedenktag am 5. August sowie für eine | |
"Gedenkmöglichkeit" für die Angehörigen der bei Flucht und Vertreibung | |
Umgekommenen mündet. | |
Diese Einschätzung der "Charta der Vertriebenen" und die Forderung nach | |
einem Gedenktag stieß im Vorfeld der Debatte auf Kritik der Opposition. Im | |
Zentrum stand die positive Wertung der "Charta" sowie deren angeblich | |
segensreiche Wirkung. | |
Übereinstimmend wurde konstatiert, dass der Antrag sich gegenüber der | |
"Charta" völlig apologetisch verhalte. Mit keinem Wort werde erwähnt, dass | |
der Kontext der Vertreibung mit den Verbrechen Nazi-Deutschlands in dem | |
Dokument ausgeblendet, dass der Völkermord an den Juden mit keinem Wort | |
erwähnt, dass die deutschen Vertriebenen als die größten Opfer geschildert | |
werden. | |
Diesen "Mangel an politischer und historisch-moralischer Distanz" erklärte | |
Wolfgang Thierse (SPD) für "unerhört". Der in der Charta ausgesprochene | |
"Verzicht auf Rache" sei, so die Sprecher der Opposition, absurd. | |
Verzichten könne man nur auf etwas, was einem zustehe. Sowohl von Volker | |
Beck (Bündnisgrüne) wie von Luc Jochimsen (Linke) wurde darauf hingewiesen, | |
dass zu den Unterzeichnern der "Charta" Mitglieder der SS gehört hätten. | |
Auch von Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung | |
"Flucht,Vertreibung,Versöhnung" war Kritik zu hören. Krzysztof Ruchnewicz, | |
Leiter des Willy-Brandt-Zentrums in Wroclaw/Breslau und Mitglied des | |
Beirats, sagte der Frankfurter Rundschau, ein Gedenktag auf dieser Basis | |
sei "ein Rückfall in die Zeit des Kalten Kriegs". Seiner Kritik schloss | |
sich auch Michael Wildt an, Historiker an der Humboldt-Universität und | |
Mitglied des Beirats. Auch der Zentralrat der Juden lehnte den Beschluss | |
ab. Dessen Generalsekretär Stephan Kramer warnte vor einer katastrophaler | |
Außenwirkung. "Man könnte auf die Idee kommen, das revanchistisch zu | |
nennen." | |
10 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
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