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# taz.de -- Bochumer Prozess um Fußballwettskandal: Betrug? Alles ist gut!
> War da was? In Bochum werden die größten Schiebungen in der
> Fußball-Geschichte verhandelt. Ach, zweite Liga Belgien ... So lange die
> Bundesliga nicht betroffen ist, ist's halb so schlimm.
Bild: Mitarbeiter des Bochumer Landgerichts.
Carsten Schwadrat kennt sich ganz gut aus. Der Verein Wacker Burghausen
beispielsweise ist dem Vorsitzenden Richter der 13. Großen Strafkammer am
Bochumer Landgericht ein Begriff. Der Fußballer de Camargo ist ihm auch
bekannt. Nur die Zuordnung stimmte nicht, wie ein Trainer sagen würde. "Ist
das der vom 1. FC Köln?", fragte Schwadrat, als Marijo C. über seine
Verstrickungen in den Skandal um verschobene Fußballspiele, korrupte
Schiedsrichter und dubios gewonnene Millionen auf dem Wettmarkt auspackte.
Nein, sagte einer, der vermutlich am ganz großen Rad drehte und sich bald
dafür vor Gericht verantworten muss. Den Hinweis, dass jener de Camargo bei
Borussia Mönchengladbach spielt, verpackte Marijo C. höflich. Dieser de
Camargo, den er erwähnte, habe dagegen in der zweiten Schweizer Liga
gespielt.
Puh. Nochmal gut gegangen. Aufatmen im Zuhörerbereich. Die Bundesliga ist
wieder einmal davongekommen. So lange ist alles gut. Dass die mutmaßlichen
Wettbetrüger einen Fußballverein gekauft haben, ist irgendwie schlimm.
Natürlich. Aber es war ja die zweite belgische Liga. In Finnland wurde das
Gleiche versucht, wahrscheinlich mit Erfolg, sagte ein anderer Zeuge aus.
Na gut, Finnland. Dass Marijo C. einmal zum Präsidenten eines europäischen
Fußballverbandes geflogen sei, um sich über geplatzte krumme Geschäfte zu
beschweren. Na ja, es war ein osteuropäischer Verband. Champions League?
Europa League? Unappetitlich, das schon, aber es waren ja teilweise auch
Qualifikationsspiele. Dass ein Torwart in der Disco auf die Fresse kriegen
sollte? Schlimm. Aber es kam ja nicht dazu.
Das deutsche Recht trägt zur Verharmlosung bei. Den Tatbestand des
Sportbetruges gibt es nicht. Wer ein Fußballspiel manipuliert, kann
strafrechtlich nicht belangt werden, solange er kein Geld dafür nimmt.
Strafbar ist, auf manipulierte Spiele zu wetten, weil dadurch private
Anbieter geschädigt werden, die es im Grunde gar nicht geben darf.
Zumindest nicht in dieser Form. Oder sind sie doch legal. Warum gibt es die
Wettbude um die die Ecke, wenn es doch nur den staatlichen Anbieter Oddset
geben darf? Da blickt niemand durch, und wenn niemand durchblickt, sinkt
das Interesse zwangsläufig.
Dabei geht es hoch her in Bochum. Der Schiedsrichter eines
WM-Qualifikationsspiels, so sagten Zeugen aus, war höchstwahrscheinlich
bestochen. Es war ein Spiel der deutschen Gruppe vor dem Turnier in
Südafrika. Aber gut, es war Liechtenstein gegen Finnland. Da geht es um
nichts. So scheint es zumindest.
Wenn bulgarische Gewichtheber des Dopings überführt werden, ist das ja auch
nur eine Randnotiz. Ben Johnson und Alberto Contador. Das sind Fälle, in
denen es einen Aufschrei gibt. Der allerdings noch harmlos sein dürfte im
Vergleich zu einem Dopingfall in der Fußball-Bundesliga. Solange der
Lieblingssport der Deutschen in einem sauberen Licht erscheint, ist alles
gut.
Nach nun 17 Verhandlungstagen vor dem Bochumer Landgericht und anderen
Enthüllungen ist aber auch klar, dass der europäische Fußball in einem
tiefen Sumpf steckt. Der Sport fasziniert Millionen Menschen, weil niemand
weiß, wie es ausgeht. Dass manche es doch wissen, ist ein Skandal, dessen
Dimensionen in der deutschen Öffentlichkeit verharmlost werden. Die
Massenblätter und Fachmagazine würden an jedem Tag einen Reporter im Saal C
240 sitzen haben, wenn auch nur ein Bundesligaspiel betroffen wäre. So
kommen sie nur ganz sporadisch, wenn überhaupt. Ist ja nur 2. Liga, SC Verl
und Meuselwitz.
Allein in den vergangenen fünf Monaten seien "70 bis 100 Spiele manipuliert
worden", sagte Carsten Koerl, Geschäftsführer von Sportradar. Seine Firma
kassiert Millionen Euro von der Fifa, der Uefa, dem DFB, der DFL und
anderen Verbänden, um den Wettmarkt zu überwachen. Die Zahl ist
verschwindend gering in Relation zu den etwa 15.000 Spielen, die im
gleichen Zeitraum beobachtet wurden. Aber sie zeigt: Es wird munter
weitergemacht, obwohl die vermeintlich bösen Betrüger seit November 2009
hinter Gittern sitzen oder saßen, um vor Gericht zu sitzen. Dass alle
erwischt worden sind, und das auch nur durch Zufall anhand von
Telefonüberwachungen im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens, ist mit
hoher Wahrscheinlichkeit ein Trugschluss.
Der Wettmarkt ist groß, allein in Deutschland werden jährlich etwa 4
Milliarden Euro umgesetzt. Das zieht Kriminelle an. Die Summen, die bei
asiatischen Anbietern platziert werden, sind um ein Vielfaches höher. "In
Asien ist leider alles möglich", seufzte Richter Schwadrat einmal. Auch ihm
wurde manchmal schwindlig, wenn er hörte, wie Menschen, die als Kellner
arbeiteten oder an der Kasse, mal eben 65.000 Euro auf ein Spiel in der
deutschen Oberliga setzten.
Nach allem, was bislang durchsickerte, wird auch im Prozess gegen Marijo
C., den aus dem Hoyzer-Skandal bekannten Ante S. und vier weitere
Angeklagte ab 21. März kein Spiel der Bundesliga in den Blickpunkt rücken.
In der 287 Seiten langen Anklageschrift finden sich hingegen verdächtige
Spiele aus Kanada und der ersten Liga in Österreich. Na gut, Österreich.
11 Feb 2011
## AUTOREN
Marcus Bark
## TAGS
Deutscher Fußballbund (DFB)
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