# taz.de -- Berlinale und der Iran: Offener Brief von Jafar Panahi | |
> Offener Brief von Jafar Panahi anlässlich der Eröffnung der 61. | |
> Berlinale. | |
Bild: Iris Berben, Bruno Ganz, Volker Schloendorff und viele andere zeigen sich… | |
In der Welt eines Filmemachers fließen Traum und Realität ineinander. Der | |
Filmemacher nutzt die Wirklichkeit als Inspirationsquelle, er zeichnet sie | |
in den Farben seiner Vorstellungskraft. Damit schafft er einen Film, der | |
seine Hoffnungen und Träume in die sichtbare Welt trägt. | |
Die Wirklichkeit ist, dass mir ohne Prozess seit fünf Jahren das | |
Filmemachen untersagt wird. Jetzt wurde ich offiziell verurteilt und darf | |
auch in den nächsten 20 Jahren keine Filme realisieren. Trotzdem werde ich | |
in meiner Vorstellung weiterhin meine Träume in Filme übersetzen. Als | |
sozialkritischer Filmemacher muss ich mich damit abfinden, die alltäglichen | |
Probleme und Sorgen meines Volkes nicht mehr zeigen zu können. Aber ich | |
werde nicht aufhören, davon zu träumen, dass es in 20 Jahren keines dieser | |
Probleme mehr geben wird und ich dann, wenn ich wieder die Möglichkeit dazu | |
habe, Filme über den Frieden und den Wohlstand in meinem Land machen werde. | |
Die Wirklichkeit ist, dass mir für 20 Jahre das Denken und Schreiben | |
untersagt wurde. Aber sie können mich nicht davon abhalten zu träumen, dass | |
in 20 Jahren die Verfolgung und die Einschüchterung durch Freiheit und | |
freies Denken ersetzt sein wird. | |
Mir wurde für 20 Jahre der Blick auf die Welt entzogen. Aber ich hoffe, | |
nach meiner Freilassung eine Welt ohne geografische, ethnische und | |
ideologische Grenzen zu bereisen. Eine Welt, in der die Menschen ungeachtet | |
ihres Glaubens und ihrer Überzeugungen in Frieden miteinander leben. | |
Ich wurde zu 20 Jahren Stillschweigen verdammt. Aber in meinen Träumen | |
schreie ich nach einer Zeit, in der wir uns gegenseitig tolerieren und | |
unsere jeweiligen Meinungen respektieren, in der wir füreinander leben | |
können. | |
Letztendlich bedeutet die Wirklichkeit meiner Verurteilung, dass ich sechs | |
Jahre im Gefängnis verbringen muss. In den nächsten sechs Jahren werde ich | |
in der Hoffnung leben, dass meine Träume Realität werden. Ich wünsche mir, | |
dass meine Regiegefährten in jedem Winkel der Welt in dieser Zeit so | |
großartige Filme schaffen, dass ich, wenn ich das Gefängnis verlasse, | |
begeistert sein werde in jener Welt weiterzuleben, die sie in ihren Werken | |
erträumt haben. | |
Ab jetzt und für die nächsten 20 Jahre werde ich zum Schweigen gezwungen. | |
Ich werde gezwungen, nicht sehen zu können, ich werde gezwungen, nicht | |
denken zu können. Ich werde gezwungen, keine Filme machen zu können. | |
Ich stelle mich der Wirklichkeit der Gefangenschaft und der Häscher. Ich | |
werde nach den Manifestationen meiner Träume in Euren Filmen Ausschau | |
halten: In der Hoffnung, dort das zu finden, was mir genommen wurde. | |
11 Feb 2011 | |
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