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# taz.de -- Berliner Schule auf der Berlinale: Jenseits von Wetzlar
> Mit dem Wettbewerbsbeitrag "Schlafkrankheit" wagt sich Ulrich Köhler ins
> postkoloniale Kamerun. Schön: Die Sensibilität des Films für die
> Geräusche der Flüsse und Wälder.
Bild: So sieht es aus, wenn die pechschwarze Dunkelheit der Kameruner Nächte i…
Eine Ausfallstraße in Yaoundé, der Hauptstadt Kameruns. Alex
(Jean-Christoph Folly) kauft Zigaretten an einem Straßenstand. Als der
Händler ihm den Preis für die Schachtel nennt, protestiert er: "Halten Sie
mich für einen Touristen? 600 Franc - nicht mal in Paris kostet eine
Schachtel Zigaretten so viel, 10 Euro!" Der Händler entgegnet, der
Wechselkurs sei falsch veranschlagt. "600 Kameruner Franc, das ist weniger
als ein Euro." Verlegen kramt Alex die Scheine aus der Hosentasche.
Diese Szene aus Ulrich Köhlers Wettbewerbsbeitrag "Schlafkrankheit" birgt
einiges: die Angst des Europäers, von seinem afrikanischen Gegenüber
übervorteilt zu werden, den Hang zur Überreaktion, den diese Angst mit sich
bringt, die Scham im Augenblick, in dem der eigene Irrtum begriffen wird.
"Schlafkrankheit" hat mehrere solcher Szenen, in manchen findet eine
Übervorteilung tatsächlich statt, in anderen bleibt sie Projektion der
Figuren, doch die Angst, das Unbehagen und die Überheblichkeit grundieren
fast jede Interaktion zwischen Europäern und Kamerunern. Köhler gelingt es
mit diesen Szenen, auf subtile Weise daran zu erinnern, dass das
postkoloniale Dilemma keinen einfachen Ausweg kennt. Ungleich verteilte
Ressourcen und Machtasymmetrien gehen nicht spurlos am Miteinander vorbei.
Wobei Alex Fall besonders liegt, da er zwar Franzose ist, seine Eltern aber
aus dem Kongo eingewandert sind.
Alex ist Arzt und reist im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation nach
Kamerun, wo er ein Entwicklungshilfeprojekt zur Eindämmung der
Schlafkrankheit evaluieren soll. Seine Geschichte prägt den zweiten Teil
des Films, der erste Teil kreist um den deutschen Arzt Ebbo (Pierre Bokma),
der im Begriff steht, Yaoundé zu verlassen, um sich mit seiner Frau und
seiner Tochter im hessischen Wetzlar einzurichten. In der letzten Szene
dieses ersten Teils steht Ebbo in der leer geräumten Küche, unrasiert,
Tränen in den Augen, ein Bier in der Hand, während er mit seiner bereits
nach Deutschland zurückgekehrten Frau telefoniert. Als sie ihn fragt, ob
alles in Ordnung sei, antwortet er: "Doch, doch", und unterdrückt dabei ein
Schluchzen. Eine lange Schwarzblende folgt.
Es braucht keine prophetische Gabe, um zu ahnen, dass sich Alex und Ebbos
Wege kreuzen werden. Die beiden erinnern nicht zufällig an den
Flussdampferkapitän Marlow und den Elfenbeinhändler Kurtz aus Joseph
Conrads "Herz der Finsternis". Doch Conrads Buch ist nicht die einzige
Inspiration für Köhler, in Alex Geschichte hat sich noch ein anderer Roman
niedergeschlagen, "Season of Migration to the North" von dem sudanesischen
Schriftsteller Tayeb Salih. Darin geht es um einen Sudanesen, der als Kind
nach England kommt und sich nach seiner Rückkehr in den Sudan nicht mehr
zurechtfindet. Die beiden Geschichten zu verbinden ist eine kluge Setzung
von Köhler, denn so entkommt er der Versuchung, das recht abgenutzte und
mit einem Fuß in kolonialer Tradition stehende Drama des weißen Mannes auf
dem Schwarzen Kontinent noch einmal zu erzählen. Zudem ist
"Schlafkrankheit" im Hier und Jetzt geerdet; Ebbos tropischer Wahnsinn ist
weniger ausgeprägt als der von Kurtz, und der Film berührt durchaus auch
politische Fragen wie die, ob Entwicklungshilfe sinnvoll ist oder nicht.
Er lässt das aber zugleich auch wieder hinter sich, allein schon in der Art
und Weise, wie die pechschwarze Dunkelheit der Kameruner Nächte in Szene
gesetzt wird, wie Autoscheinwerfer oder Taschen- und Stirnlampen diese
Dunkelheit erleuchten, aber eben immer nur stückweise. Oder in der
Sensibilität des Films für die Geräusche der Flüsse und Wälder. Und
schließlich ist da noch das Nilpferd, das am Ende, in der letzten
Einstellung, von rechts nach links durchs Bild stapft. Vielleicht hätte
Köhler sich hier noch ein bisschen mehr Zeit nehmen können für den Anblick
dieses Tiers, sodass sich alle Symbolik zugunsten der reinen Nilpferdphysis
verflüchtigt. Das ändert aber nichts daran, dass "Schlafkrankheit" ein
souveräner Schritt vor die Tür der Eigenheime ist, in denen sich die
Regisseure der Berliner Schule lange Zeit so wohlfühlten.
13 Feb 2011
## AUTOREN
Cristina Nord
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