# taz.de -- Tschernobyl-Drama bei Berlinale: Die Hyperaktiven und die Ahnungslo… | |
> Der Wettbewerbsbeitrag "V Subbotu" (An einem Samstag) setzt ein, als der | |
> Morgen des 26. April 1986 in der Stadt Prypjat graut. Der Reaktor von | |
> Tschernobyl steht gleich nebenan. | |
Bild: Einer der wenigen Momente des Innehaltens in "V Subbotu". | |
Seit die Brüder Luc und Jean-Pierre Dardenne 1999 für ihren Film "Rosetta" | |
in Cannes die Goldene Palme erhielten, hat ihre eigenwillige Art, die | |
Kamera auf den Nacken und den Hinterkopf der Protagonisten zu halten, | |
Schule gemacht. Wo immer sich eine Filmfigur hastig bewegt und eine | |
unruhige Kamera ihr dabei in dichtem Abstand folgt, kann man sichergehen, | |
dass sich diese Figur in einem Zustand existenzieller Not befindet. Ihre | |
Lebensumstände sind prekär, vielleicht greift sogar ein Begriff, den der | |
italienische Theoretiker Giorgio Agamben Mitte der neunziger Jahre prägte: | |
der Begriff des "nackten Lebens", das heißt: einer auf ihre Kreatürlichkeit | |
reduzierten Existenz, die nichts anderes vor Augen haben kann als ihr | |
bloßes Überleben. | |
Diese eigenwillige Kameraführung erzeugt Druck, Anspannung und ein Gefühl | |
von Nervosität. Und genau darauf zielt der russische Filmemacher Alexander | |
Mindadze mit seinem Wettbewerbsbeitrag "V Subbotu" (An einem Samstag). Der | |
Film setzt ein, als der Morgen des 26. April 1986 in der Stadt Prypjat | |
graut. Der Reaktor von Tschernobyl steht gleich nebenan. Ein Mann - später | |
erfährt man, dass es der junge Parteifunktionär Valerij (Anton Shagin) ist | |
- hetzt über eine Straße, dann durch verwinkelte Gänge auf dem | |
Betriebsgelände des Reaktors, in einen Besprechungsraum hinein und wieder | |
ins Freie. Die Kamera ist ihm dabei dicht auf den Fersen. Er hat die | |
Explosion des Reaktors und den Brand gesehen. Die anderen Funktionäre | |
wiegeln ab; die Evakuierung von Prypjat schließen sie aus. | |
Hektisch geht es weiter. Valerij hetzt in die Stadt, hetzt zu seiner | |
Freundin Vera (Svetlana Smirnova-Marcinkevich), hetzt mit ihr zum Bahnhof. | |
Doch den Zug, der Prypjat verlässt, verpassen sie. Was folgt, ist, recht | |
buchstäblich, ein Tanz auf dem Vulkan, befeuert von viel Wein, Wodka und | |
russischem Rock n Roll. Dabei gibt sich Mindadze wenig Mühe, | |
nachvollziehbar zu machen, warum Valerij, Vera und die wenigen anderen, die | |
begreifen, was geschehen ist, in Hyperaktivität verfallen, ohne je | |
ernsthaft nach einem Ausweg aus der Stadt zu suchen. Fast scheint es, als | |
hätte das alte Klischee von der Irrationalität der russischen Seele eine | |
Halbwertszeit von 25 Millionen Jahren. | |
Auf ihrem Weg zum Bahnhof durchqueren Valerij und Vera einen Park. | |
Ahnungslose Bürger genießen den sonnigen Frühlingstag. Die rennenden, | |
stolpernden, strauchelnden Protagonisten stoßen immer wieder mit den | |
Spaziergängern zusammen, manchmal auch mit einem Klettergerüst, Sträuchern | |
oder Bäumen. Das Ganze ist, unfreiwillig, kaum von der Körperkomik des | |
Slapsticks entfernt. Und obwohl die Inszenierung sehr künstlich ist, klebt | |
sie an den Konventionen des filmischen Realismus. Schade - denn hätte | |
Mindadze in diesen Einstellungen das Tempo gedrosselt, man hätte sich in | |
einem jener Albträume wähnen können, in denen man unbedingt von der Stelle | |
kommen muss, es aber nicht tut, obwohl man doch läuft und läuft. | |
15. 2., 9.30 Uhr und 20.30 Uhr, Friedrichstadtpalast; 22.30 Uhr | |
International, 20. 2., 20 Uhr, Urania | |
14 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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