# taz.de -- Lena beim Vorentscheid zum Song Contest: Raab, immer wieder Raab | |
> Lena hatte schon gewonnen – mit "Taken By A Stranger" wird sie | |
> Deutschland am 14. Mai beim Eurovision Song Contest vertreten. Der | |
> eigentliche Sieger war aber Stefan Raab. | |
Bild: Jubel über "Taken by a stranger": Lena und Moderator der Show, Matthias … | |
KÖLN taz | 5.000 Lieder hatte die Plattenfirma Universal im Laufe der | |
vergangenen Monate für Lena sichten lassen. Komponisten und Texter von Los | |
Angeles bis Berlin-Friedrichshain sollten ihre Songs einschicken für Lena | |
Meyer-Landrut – zwölf dieser Vorschläge schafften es in die Show "Unser | |
Lied für Deutschland", zwei von ihnen schließlich standen am Freitagabend | |
in Köln im letzten Finale, „Push Forward“ von Pär Lammers und Daniel | |
Schaub, eine Ballade, sowie "Taken By A Stranger" von Gus Seyffert, Nicole | |
Morier und Monica Birkenes, ein amerikanisch-norwegisches Team. Mit 79 | |
Prozent der Televoting gewann Letzteres, ein wabernd, eher melodiearmes, | |
jedenfalls nicht mitgrölfähiges Lied, das im weitesten Sinne zur Kategorie | |
des Elektropop gezählt werden darf. | |
Das war ein deutliches Votum – aber es kam nicht überraschend zustanden. | |
Gut möglich, dass dieser Act, der offenkundig der liebste der Lena | |
Meyer-Landrut war ("Ich bin glücklich"), auch vom Publikum innig angenommen | |
wurde – aber hauptsächlich war es die Jury (neben Barbara Schöneberger und | |
Adel Tawil auch der Graf von Unheilig und Stefanie Kloß von Silbermond in | |
der ersten Vorentscheidungsrunde), die Stefan Raab sekundierte. Der nämlich | |
war offen entzückt von dem nun gewählten "Lied für Deutschland" und ließ | |
das während der Beratungen zu diesem Lied auch krass erkennen. "Taken By A | |
Stranger" war sein Favorit – und votierte damit gegen seine eigenen zwei | |
Songs, die er gemeinsam mit Lena Meyer-Landrut in die Endrunde gebracht | |
hatte. | |
Nun ist immerhin geklärt, dass die ARD eine gewisse Interessenkollision | |
nicht mehr würde verhandeln müssen. Seit 2008 ist es verboten, dass der | |
Moderator des Eurovision Song Contest auch Komponist oder Texter eines | |
Liedes des von ihm dirigierten ESC-Abends sein darf. Nun also darf Raab, | |
wie angekündigt, auch die Shows aus Düsseldorf moderieren. | |
Er wird damit endgültig zur ESC-Legende: Er wird damit Produzent (Guildo | |
Horn), Komponist, Texter und Performer (mit „Wadde hadde dudde da“), | |
Backgroundgitarrist (Max Mutzke) nun auch Moderator (in Düsseldorf) sein | |
können – Dirigent war er obendrein auch schon, das war 1998, als es noch | |
Liveorchester bei diesem Popfestival gab, wenngleich nur als Fake. | |
Nach Raabs Gusto, der den Eurovision Song Contest liebt und ihm anhängt wie | |
einem sportlichen Letztding, weil es, bekennenderweise für ihn um Kampf, um | |
Unwägbarkeiten, um Nervenstärke und so etwas wie Livestärke geht, hat der | |
ESC in Deutschland nun endlich das zeitgenössische Format gefunden – denn | |
es ist vor allem seines. Ohne ihn könnte die ARD keine ESC-Show zuwege | |
bringen, die ein relevantes Interesse wecken würde. Allein die Quote hapert | |
noch: Irgendwie unzufrieden stellende 3,25 Millionen schauten am Freitag | |
der Finalshow zu – das ist für diesen Sendetag in der ARD ein Wert, der | |
kein Glücksgefühl stiftet. | |
Aber: In Düsseldorf selbst, am 14. Mai, werden wie im vergangenen Jahr aus | |
Oslo, die ESC-Geschichten knapp 15 Millionen Leute an die Bildschirme | |
ziehen – im Showbereich sonst in Deutschland unerreicht, im | |
Gesamtsendepaket nur übertroffen von Länderspielen der | |
Fußballnationalmannschaft der Männer. Raab weiß um seine Stellung als | |
Präzeptor zeitgenössischen Popgeschehens, er hat sich über fast 20 Jahre | |
diesen Ruf als Mentor guten Pops glaubwürdig erarbeitet, er hat diese | |
Glaubwürdigkeit auch bei der Musikindustrie und den jungen Künstlern | |
gegenüber beinahe blanko; die ARD selbst wäre nicht in der Lage, mit ihrem | |
eher überalterten Publikumssegment Künstler wie Kloß, Tawil, | |
Müller-Westernhagen oder den Grafen von Unheilig für eigene Programme zu | |
gewinnen. | |
Insofern: Brainpool, Raabs Firma, eine Art TV-Neben-Vatikan des deutschen | |
Fernsehens, und die ARD sind eine prima Allianz eingegangen. Eine Gefühls- | |
und Denksportaufgabe für die ARD-Hierarchen dürfte allerdings werden, dem | |
Publikum zu erklären, warum "Unser Lied für Deutschland" aussah wie Pro7, | |
wie eine TV-Total-Show – aber nicht wie die ARD. Design, Anmutung, die | |
Liveband "Heavytones": Das hatte eine ästhetische Oberfläche, als hätte | |
sich ein Sender allein in die erste Reihe geschoben. | |
Raab und Lena rechnen nun beide zuversichtlich damit, dass ihr Lied in | |
Düsseldorf nicht den letzten Platz belegen wird – dafür ist die Produktion | |
Lena Meyer-Landruts insgesamt auch zu professionell auf die Geschmäcker der | |
Barbesucher in den coolen Vierteln Europas, das Publikumsalter des ESC zu | |
jung, um nicht zu reüssieren. Ob sie gewinnen, ist natürlich offen. Zum | |
zweiten Mal in Folge – das ist das Projekt "Titelverteidigung", welches | |
Raab im Vorjahr in Oslo auslobte. Ob es gelingt, ist wie alles in einer | |
wettkampfmäßig strukturierten Disziplin offen. Favoritenstürze gelten dem | |
Publikum als Herzensanliegen, wenn der avisierte Sieger sich seiner Sache | |
zu sicher scheint. Platz zwei – das wäre es auch. Es könnte auch jener | |
Platz, den die ARD höchstens erreichen möchte: Ihr bliebe dann erspart, den | |
Eurovision Song Contest abermals cofinanzieren zu müssen. | |
"Taken By A Stranger" wird, dafür braucht es keine besonders prophetische | |
Gabe, die Charts auf Platz eins erklimmen. Lenas Album ist seit einer Woche | |
schon längst dort. | |
19 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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