# taz.de -- Brandenburger Punk-Band vor Gericht: "Knall sie ab und hilf dir sel… | |
> Die Band Krachakne sind vier Freizeitpunker, die meist Anti-Nazi-Lieder | |
> singen. Linksextremistische Hassmusiker, sagt der Verfassungsschutz. | |
> Jetzt stehen sie vor Gericht. | |
Bild: Sie haben mächtige Gegner: die Jungs der Brandenburger Band "Krachakne". | |
Die Polizei hat am Montagmorgen Einlasskontrollen vorbereitet. Rotes | |
Flatterband ist im Foyer des Amtsgericht Neuruppin gespannt, Polizisten | |
durchsuchen Taschen. Das hat man hier schon lange nicht mehr erlebt. Aber | |
heute wird gegen vier Extremisten verhandelt, Linksextremisten. Wulf, | |
Patrick, Kevin, Felix. | |
Patrick ist mit seinen 22 Jahren der Älteste der vier. Felix, der Jüngste, | |
hat gerade seinen 18. Geburtstag gefeiert. Es sind Schuljungengesichter. | |
Unsicher schleichen sie in den hellen, holzgetäfelten Saal 317. Graue | |
Kapuzenpullover, enge Sweater, kinnlange Haare oder Raspelschnitt. Kevin | |
(20) kaut auf seinem Kaugummi. Wulf mustert die Journalisten. Nervös sei er | |
schon, murmelt der 19-Jährige. "Das ist doch alles etwas heiß gerade." | |
Es ist ihr gemeinsames Hobby, das sie in das Neuruppiner Amtsgericht in | |
Brandenburg gebracht hat: Krachakne. "Assipunk" nennen die vier ihre Band. | |
Derbes Geschrammel, gebrüllter Gesang. Nichts, was über Neuruppin hinaus, | |
80 Kilometer nördlich von Berlin, bekannt wäre. Vier Freizeitpunker, die | |
Anti-Nazi-Lieder singen. Linksextremistische Hassmusiker, sagt der | |
Verfassungsschutz. Gewaltanstachler, sagt die Neuruppiner | |
Staatsanwaltschaft. | |
Es ist das erste Mal, dass sich in Brandenburg eine linke Band vor Gericht | |
verantworten muss. Früher handelten sich Punkbands wie Slime, Wizo und Die | |
Ärzte immer mal wieder Klagen ein. Zuletzt gab es das länger nicht. Erst | |
recht nicht gegen eine Lokalband eines Flächenlands, das bisher für seine | |
rechtsseitigen Problemlagen bekannt war. | |
Im Gerichtssaal erhebt sich die Staatsanwältin. "Öffentlicher Aufruf zu | |
Körperverletzungshandlungen" auf drei Konzerten, liest sie die Anklage vor. | |
Dann zitiert sie den Liedtext von "Schieß doch, Bulle". Es war Krachaknes | |
Beitrag zum 1. Mai. "1. Mai, alles brennt, / auch schön, wie dieser Wichser | |
rennt." Wulf, Patrick, Kevin und Felix hören angespannt zu, regen keine | |
Miene. "Bullenschwein, ach Bullenschwein, / wir schlagen dir die Fresse | |
ein." Ein Anwalt schüttelt den Kopf. "Die Polizei, dein Freund und Helfer, | |
/ knall sie ab und hilf dir selber." | |
Einer der drei Verteidiger kritisiert. "Da haben sie ja eine möglichst | |
krachige Version ausgesucht, um die Anklage schmackig zu machen", sagt er. | |
Zu dem Lied gebe es verschiedene Texte, es sei doch nicht sicher, welcher | |
überhaupt gesungen wurde. | |
Dann trägt der Verteidiger Texte anderer Punkbands vor. "Bomben bauen, | |
Waffen klauen, den Bullen auf die Fresse hauen", heißt es da. "Alles nicht | |
indiziert", sagt der Anwalt. Er beruft sich auf die Kunstfreiheit. | |
Stilistisch überzogene Gesellschaftskritik, das gehöre zum Punk eben dazu. | |
Der Richter ruft eine Pause ein. Auch weil einer der Angeklagten, Patrick, | |
keinen Anwalt hat. Die Jungs treffen sich im Flur mit ihren Eltern. | |
Der Prozess passt gut in die Zeit. Auf Bundesebene erklärt | |
Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gerade dem Linksextremismus den | |
Kampf. Präventionsprojekte sollen Jugendliche von Autonomen fernhalten. | |
Initiativen gegen Neonazis müssen für Fördergelder ihre Verfassungstreue | |
unterschreiben, und die ihrer Partner gleich mit. Als Bespitzelung und | |
Generalverdacht, kritisieren das viele Anti-rechts-Initiativen. Kaum ein | |
Bundesland will die Klausel übernehmen. | |
Eigentlich, sagt Wulf, sei die Band doch gar nicht so politisch. In den | |
Texten gehe es eher um Alltagssachen. "Gegen Nazis zu sein, ist doch | |
normales Denken", so der Sänger, ein kräftiger, blonder Kurzhaariger. Eine | |
CD hat die Band bisher veröffentlicht, in Eigenregie, 2008. "Untagrund | |
Anarchie" und "Fröhlich", heißen die Lieder. Titel der CD: "Hintagitta". In | |
Neuruppin sind sie damit regelmäßig aufgetreten. In ihrem Lieblingsclub, | |
dem "Mittendrin", einem alternativen Jugendzentrum, von der Stadt | |
gefördert. Oder 2009 auf dem "Tag der Jugend" - ausgerichtet und finanziert | |
aus dem Rathaus. | |
Als Krachakne Ende 2009 im evangelischen Jugendclub "Schieß doch, Bulle" | |
spielt, kommt es zum Eklat. "Menschenverachtend" sei der Text, kritisiert | |
einer der Angestellten, informiert die Polizei und erteilt der Band | |
Hausverbot. Als Krachakne einige Wochen später wieder im "Mittendrin" | |
spielen, steht vor der Tür ein Polizeiaufgebot. Jetzt wird auch der | |
Brandenburger Verfassungsschutz aufmerksam. | |
"Linksextremistische Hassmusik", überschreibt die Behörde im April 2010 | |
eine Mitteilung. "Hassmusik ist nicht dem Rechtsextremismus vorbehalten." | |
Auch linkerseits würde Gewalt verherrlicht, würden Gesellschaftsgruppen, | |
vor allem Polizisten, "entmenschlicht". Als Beispiel nennt der | |
Verfassungsschutz Krachakne. "Gewaltorientiert und demokratiefeindlich" sei | |
die Band. Wenig später ermittelt auch die für Internetkriminalität | |
zuständige Staatsanwaltschaft Cottbus: wegen Gewaltaufrufen auf dem | |
Myspace-Profil von Krachakne. Im September erreicht die Band die Anklage | |
wegen Gewaltaufrufen. | |
In Brandenburg gibt es 2,5 Millionen Einwohner. 600 davon seien | |
linksextrem, darunter 300 Gewaltbereite, teilt das Innenministerium der | |
rot-roten Landesregierung mit. Neben Krachakne gebe es fünf weitere | |
"Hassbands". "Mit der Ausbildung einer linksextremistischen Musikszene | |
scheint sich eine Subkultur zu bilden, die von Entideologisierung, | |
undefinierten Hassgefühlen und Gewaltgeneigtheit geprägt ist", heißt es in | |
einer Antwort auf eine CDU-Anfrage. | |
Im Oktober indiziert die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf | |
Bitten des Brandenburger LKAs eine CD von "DieVisitor". Die Punkband aus | |
Brandenburg/Havel hatte in ihrem Lied "Copkiller" ebenfalls Gewalt gegen | |
Polizisten besungen. Der Wirkungskreis der Bands aber ist begrenzt. | |
Krachakne, teilt das Innenministerium auf Nachfrage mit, sei über Neuruppin | |
hinaus nicht bekannt. | |
Bisher wurde Brandenburg in puncto Extremismus vor allem mit Neonazis in | |
Verbindung gebracht. Zehn Jahre saß die DVU im Landtag, die NPD brachte es | |
2009 auf 2,6 Prozent der Stimmen. Knapp 500 gewaltbereite Rechtsextreme | |
zählt der Verfassungsschutz aktuell im Land - und 23 Neonazi-Bands. | |
"Hauptthema ist der Rechtsextremismus", sagt Ingo Decker, Sprecher von | |
Innenminister Dietmar Woidke (SPD). "Aber überall, wo Hass propagiert wird, | |
müssen wir eingreifen." | |
Jens-Peter Golde muss überlegen, was er über Krachakne sagen soll. Der | |
55-Jährige ist Bürgermeister in Neuruppin, sitzt für die Wählergruppe "Pro | |
Ruppin" im Rathaus. Völlig überzogen sei Krachaknes jetzt verhandelter | |
Liedtext, die Anklage deswegen gerechtfertigt, sagt Golde. Gleichzeitig sei | |
das Ganze aber auch misslich. "Weil wir junge Leute brauchen, die aktiv | |
gegen rechte Erscheinungen sind." | |
Golde hat mit Krachakne gesprochen, auch mit dem "Mittendrin". "Schieß | |
doch, Bulle" habe man nicht mehr im Repertoire, sagt Sänger Wulf. Felix, | |
Patrick und Kevin haben die Band verlassen. "Jetzt sind alle erst mal eine | |
Runde eingeschüchtert", sagt Wulf. | |
Im Amtsgericht vertagt der Richter die Verhandlung. Der Prozess werfe | |
Fragen auf, die "tiefergreifend sind". Patrick G. brauche einen Anwalt. | |
Eine Woche hat er Zeit, sich einen zu suchen. Patrick nickt artig. | |
Wulf, Patrick, Kevin und Felix verlassen den Saal. Die Anspannung sackt ab, | |
erstes Lächeln huscht über die Gesichter. Im Foyer hat die Polizei die | |
Einlasskontrollstelle abgebaut, nur vor der Tür steht noch ein | |
Einsatzwagen. | |
Er werde Krachakne weiterführen, sagt Wulf vor dem Gericht. In welcher Form | |
auch immer. Einen Titel für eine neue CD habe er schon, scherzt der | |
19-Jährige schon wieder: "Staatlich anerkannte Hassmusik". | |
22 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |