# taz.de -- Streit der Woche: "Politiker sind keine Vorbilder mehr" | |
> Es nicht egal, was ein Politiker im Privatleben treibt, sagt die | |
> Kabarettistin Lisa Fitz. Taz-Leserin Karin Lucassen hingegen meint: | |
> Politikern kann man eh nicht trauen. | |
Bild: Karl-Theodor zu Guttenberg: Links der adlige Politiker und rechts der Sch… | |
Ist Anstand eine Kategorie, um Politiker und ihre Arbeit zu bewerten? Die | |
meisten werden diese Frage wohl umstandslos mit Ja beantworten. Der Fall | |
des Karl Theodor zu Guttenberg aber, der für seine Doktorarbeit umfänglich | |
abgeschrieben hat, zeigt, dass für erfolgreiche und beliebte Politiker | |
möglicherweise andere Maßstäbe gelten. | |
Zwar haben in einer aktuellen ZDF-Erhebung 42 Prozent der Befragten | |
angegeben, die Glaubwürdigkeit des Verteidigungsministers sei durch die | |
Plagiatsaffäre dauerhaft beschädigt. 55 Prozent aber meinen das nicht. | |
Satte 60 Prozent wollen, dass Guttenberg weiter im Amt bleibt. "Müssen | |
Politiker anständig sein?" Diese Frage hat die sonntaz im Streit der Woche | |
gestellt. Ja, meint dazu die Kabarettistin Lisa Fitz: "Ich möchte keinen | |
Kanzler mit einem Rückgrat wie eine Nacktschnecke - sondern einen mit | |
Berufsethos." | |
Der Medizinwissenschaftler Peter Sawicki vom Kölner Institut für | |
Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie schreibt: "Natürlich | |
braucht menschliche Gesellschaft Anständigkeit und Moral - im Sinne einer | |
für alle gleichermaßen geltenden Übereinkunft, die Gesetze des | |
Zusammenlebens betreffend. Menschen müssen sich darauf verlassen können, | |
dass sie vor Übergriffen anderer sicher sind, dass Verträge gelten, dass | |
sie nicht belogen und betrogen, bedroht oder gar verletzt werden, sonst ist | |
Gesellschaft nicht möglich. Seit Tagen liefert Guttenberg aber ein | |
beschämendes Schauspiel, wie man Moral verbiegen und Begriffe umdeuten | |
kann. Er greift zu unredlichen Kniffen, damit ungestraft durchgeht, was | |
offen zutage liegt. Nämlich Täuschung und Diebstahl, also Rechtsbruch durch | |
den Abgeordneten Guttenberg, den er als Verteidigungsminister vertuscht, | |
wiederum unter fortlaufendem Bruch demokratischer Grund- und | |
Anstandsregeln. | |
Die Bundeskanzlerin, die Bildzeitung und andere Guttenberg- Befürworter | |
meinen, dass es wichtigere Probleme zu lösen gäbe, als über unzutreffende | |
Fußnoten also die ihrer Meinung nach lässlichen Sünden des | |
Verteidigungsministers zu diskutieren. Diese Argumente der | |
Guttenberg-Befürworter klingen ähnlich denen, mit welchen selbst massivste | |
Steuerhinterziehung zum Kavaliersdelikt verniedlicht wird. Arbeitgeber | |
machen in solchen Fällen gern die unwiderrufliche Zerstörung des Vertrauens | |
geltend." | |
Sein Beitrag endet mit der Bemerkung: "Ich versichere ausdrücklich, dass | |
ich keinen dieser Sätze selbst verfasst, sondern alle aus öffentlich | |
zugänglichen Texten kopiert, adaptiert und zusammengestellt habe. Peter T. | |
Sawicki." Der Pharmakritiker hatte von 2004 bis 2010 das Institut für | |
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen geleitet, auf Druck der | |
schwarz-gelben Koalition musste er seinen Posten räumen. Hintergrund | |
damals: Sawicki soll lax mit Spesenabrechnungen umgegangen sein - die | |
Vorwürfe mussten später zurückgenommen werden. | |
Auch die Politikberaterin Andrea Römmele von der Hertie School of | |
Governance sagt: "Ohne Frage müssen Politiker anständig sein - sonst | |
erhalten sie spätestens bei der nächsten Wahl von den Wählerinnen und | |
Wählern die Quittung. Die Grundwährung des politischen Geschäfts - und das | |
gilt auch für andere Lebensbereiche - ist Vertrauen." | |
## Politiker müssen auch mal unanständig sein | |
So sieht das auch die israelische Politikberaterin Melody Sucharewicz. | |
"Zwischen Politikern und Gesellschaft, die sie wählt und bezahlt, besteht | |
ein virtueller ethischer Vertrag, so selbstverständlich wie banal, der | |
nicht gebrochen und nicht strapaziert werden sollte", sagt sie. Dennoch | |
werde immer wieder mit zweierlei Maß gemessen. | |
"Mubarak, Ben-Ali, Gaddafi, Arafat, Mugabe, Bokassa, Idi Amin und die | |
Unzahl anderer haben einen unterschiedlich schlechten Job gemacht. | |
Gemeinsam war ihnen, dass sie sich schamlos auf Kosten der Bevölkerung | |
bereichert haben. Das wurde den ersten drei nicht verziehen, Arafat schon." | |
Also ist soweit alles geklärt? Nein, denn es gibt Streitteilnehmer, die | |
meinen, dass Politiker auch unanständig sein können - manchmal auch müssen. | |
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Anke Domscheit-Berg sagt: "Politiker sind | |
Menschen wie andere auch. Man kann sie nicht zwingen, bestimmte | |
Charaktereigenschaften an den Tag zu legen. Es sieht auch nicht danach aus, | |
als müsste jemand ausgesprochen anständig sein, um Karriere in der Politik | |
zu machen." | |
Sie fragt aber, ob Politiker anständig sein sollten - und ja, das sollten | |
sie. Denn "Menschen, die für uns Gesetze machen und Entscheidungen von | |
nationaler Bedeutung treffen, müssen den höchsten Ansprüchen an Integrität | |
und Anständigkeit genügen - wie sonst könnten Bürger ihnen vertrauen?" | |
## Momente großer Anständigkeit sind kaum zu finden | |
Ähnlich sieht das taz-Leserin Karin Lucassen, die fragt: "Warum nur diese | |
Aufregung wegen eines Doktortitels von einem Herrn von und zu? Politiker | |
sind doch schon längst kein Vorbild mehr." "Momente großer Anständigkeit | |
sind kaum zu finden" Und Martin Sonneborn, Satiriker und Vorsitzender von | |
DIE PARTEI, sieht die Sache realistisch: "Betrachtet man die politischen | |
Karrieren von Hitler, Mappus, Kohl, Stalin und Gaddafi, so stellt man fest, | |
dass Momente großer Anständigkeit kaum zu finden sind. | |
Der Humanist Mubarak war nebenher sogar jahrelang Diktator, wie sich gerade | |
herausstellt. Bundeskanzlerin Merkel kam über ein politisches Attentat auf | |
den eigenen Mentor ins Amt und verschweigt offensiv ihre Tätigkeit als | |
FDJ-Sekretärin, Lügenbaron Karl-Theodor zu Guttenberg übertrifft in seinem | |
populistischen Wahn selbst den im Vergleich plötzlich fast sympathisch | |
erfolglosen Westerwelle." Sonneborn weiß, wovon er spricht. | |
Er ist in seiner "Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, | |
Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI)" der | |
GröVorAZ, der Größte Vorsitzender aller Zeiten. | |
26 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
M. Rank | |
A. Maier | |
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