# taz.de -- "Mehr Demokratie" zum neuen Wahlrecht: "Neulinge haben auch Wissen" | |
> Das neue Stimmrecht gebe Talenten von außen eine Chance, lobt Manfred | |
> Brandt von "Mehr Demokratie". Parteien sollten keinem verbieten, für sich | |
> zu werben. | |
Bild: Zu kompliziert? Manche WählerInnen kamen mit dem neuen Wahlrecht nicht k… | |
taz: Herr Brandt, Ihr Verein Mehr Demokratie hat das neue Wahlrecht | |
erstritten. Viele stöhnen, es sei zu kompliziert. | |
Manfred Brandt: Das wird besser. Es war das letzte Mal, dass Bürgerschaft | |
und Bezirke gleichzeitig wählten. Auch erhielten viele Bürger die | |
Musterstimmzettel erst kurz vor der Wahl. Dabei lebt das Wahlrecht davon, | |
dass die Menschen sie schon vier Wochen vorher bekommen und damit Zeit | |
haben, die Kandidaten kennenzulernen. | |
Sind Sie denn zufrieden? | |
Ja, die Wählerinnen und Wähler haben Einfluss darauf genommen, wer sie | |
vertritt. Das ist deutlich zu sehen. Das ist das wichtigste Ziel der | |
Reform. Nur so werden die Parteien sich öffnen und politische Arbeit | |
attraktiv auch für Talente von außen machen. | |
In allen Parteien haben unbekannte Newcomer erfahrene Politiker verdrängt. | |
Wie erklären Sie, dass Thomas Böwer (SPD) mit 15-jähriger | |
Parlamentserfahrung in seinem Wahlkreis nur fünf Prozent erhielt und leer | |
ausgeht? | |
Seine Mitbewerberin hatte offensichtlich eine höhere Akzeptanz. Vielleicht | |
gaben viele einer engagierten Frau den Vorzug. Frauen profitieren von | |
diesem Wahlrecht. | |
Geht so nicht wichtiges Polit-Know-how verloren? | |
Wieso geht es verloren? Die Nicht-Wiedergewählten verstecken ihr Wissen ja | |
nicht zu Hause und treten aus ihrer Partei aus. Und etwa 80 Prozent der | |
Abgeordneten kommen wie von der Partei vorgeschlagen ins Parlament. Die | |
sogenannten Neulinge haben auch Wissen und Können und sind mitunter schon | |
alte Polithasen. Warum soll das schaden? | |
CDU-Politiker Nikolas Haufler, der auch auf Russisch unter | |
Russlanddeutschen um Stimmen warb, kam von Platz 50 der Landesliste auf | |
Platz sieben. Wie kommt ein Kandidat nach vorn? Muss er vernetzt sein in | |
Vereinen und Communities? | |
Da ist was dran. Das bedeutet aber auch Bodenhaftung und ist völlig o.k. | |
Davon profitiert doch auch seine Partei. | |
Oder muss man prominent sein? Theater-Intendantin Isabella Vértes-Schütter | |
und Ex-Senator Jan Ehlers wurden nach vorn katapultiert. Wie leicht muss es | |
da für Schauspieler sein, ins Parlament zu kommen? | |
Positive Bekanntheit ist doch kein politisch negatives Qualitätsmerkmal. | |
Konkret, die Wahl von Isabella Vértes-Schütter wird die Kulturschaffenden | |
freuen, und ein alter Polithase wie Jan Ehlers bereichert das Parlament. | |
Die auf Platz 31 am oberen Seitenende Platzierten bekamen viele Stimmen. | |
Muss man die Wahlbögen ändern? | |
Ja, dringend. Besser wären vielleicht Fünfer-Blocks oder ein Leporello. Da | |
muss man ein paar Kreative ran lassen. | |
Welche Rolle spielt Geld bei der Wahl? | |
Nicht unwichtig, aber nicht entscheidend. | |
In Eimsbüttel-West hat die bei der GAL an zweiter Stelle platzierte | |
Stefanie von Berg aus Spenden bezahlte Plakate aufgestellt und ein Mandat | |
gewonnen. Mancher raunt, es sollten nur die Erstplatzierten mit Plakaten | |
werben. | |
Das würde dem Zweck und Geist der Wahlrechtsreform zuwiderlaufen. Geld zu | |
sammeln und für ein Mandat zu kämpfen, gehört zur politischen | |
Qualifikation. Davon profitiert auch die Partei. | |
Kritiker sagen, man könnte Mandate kaufen; wir bekämen amerikanische | |
Verhältnisse. | |
Das ist Quatsch. Das droht eher bei einem Wahlrecht, das nur auf | |
Spitzenkandidaten einer Partei zugeschnitten ist. Viele engagierte | |
Kandidaten sind für einen erfolgreichen Wahlkampf wichtiger als viel Geld. | |
Führt das Wahlrecht zu Zwist in den Parteien? | |
Der Kampf um sichere Listenplätze war beim alten, reinen Listenwahlrecht | |
härter, allerdings verdeckt. Wer jetzt keinen guten Listenplatz hat, kann | |
hoffen, dass der Wähler es besser regelt. Das macht die Konflikte | |
transparenter und milder. Bei einigen besteht da noch Lernbedarf. | |
Sollte es in Parteien einen Kodex geben, was Kandidaten dürfen? Bei der | |
Linken ist das Sammeln eigener Spenden tabu. | |
Das ist eine Frage der innerparteilichen demokratischen Kultur und o.k., | |
solange es ihnen nicht verboten wird, für sich zu werben, um von hinten | |
nach vorne gewählt zu werden. In der SPD gab es die Absprache, Plakate im | |
Wahlkreis nur für Platz eins und zwei aufzustellen. In Süderelbe hat ein | |
Kandidat auf Platz drei selber Schilder aufgestellt und wurde gewählt. So | |
etwas muss möglich sein. | |
25 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Integration | |
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