# taz.de -- Gewalt in Nigeria: Die Stadt der Barrikaden | |
> Die zentralnigerianische Stadt Jos war ein beliebtes Ausflugsziel. Bis | |
> sie sich zu einem Schmelztiegel ethnischer und sozialer Gewalt | |
> entwickelte. | |
Bild: Mehr als 200 Menschen sind seit Weihnachten 2010 in und um Jos getötet w… | |
JOS taz | Das Klima ist mild, und nirgendwo sonst gedeihen Obst und Gemüse | |
so gut. Jos, die Hauptstadt des nigerianischen Bundesstaats Plateau, war | |
einst ein beliebtes Ausflugsziel. Doch heute ist schon die Fahrt dorthin | |
eine Plage. Es dauert zehn Straßensperren und zehn Soldaten, bis man | |
endlich in Jos ist. | |
An jeder Straßensperre leuchtet ein unfreundlicher Soldat mit einer | |
Taschenlampe ins Auto und knurrt den Fahrer an. "Woher kommt ihr?", will er | |
wissen. Der Fahrer begrüßt ihn leise auf Haussa, der wichtigsten Sprache in | |
der Region. Nachdem er den Kofferraum auf- und wieder zugemacht hat, geht | |
es weiter zur nächsten Sperre. An der zehnten platzt einem der Mitfahrer | |
der Kragen. | |
Er sitzt hinter dem Beifahrersitz, trägt ein bunt gestreiftes Hemd und eine | |
Fliegermütze, wie sie auch Entwicklungsminister Dirk Niebel während seiner | |
Afrikareisen aufzusetzen pflegt. "Ich bin vom Bildungsministerium", fährt | |
er den Soldaten an. Der lässt sich überraschend schnell beeindrucken, und | |
der alte, schlammbraune Peugeot darf weiterfahren. | |
An Kontrollen mussten sich die Menschen, die in Jos leben, längst gewöhnen. | |
Doch seit Wochen sind sie massiv verschärft worden. Nicht nur an den | |
Stadtgrenzen, sondern auch im Zentrum. Überall rauschen nagelneue, grün | |
schimmernde Geländewagen über die Straßen. Auf den Ladeflächen sitzen | |
Soldaten in Tarnanzügen und schauen fast schon gelangweilt den Fußgängern | |
zu. "Das hat die Regierung getan: Sie hat mehr Soldaten geschickt. Doch das | |
hilft gar nichts, denn so wird der Konflikt nur unterdrückt", ärgert sich | |
Samuel Goro, der das interreligiöse Zentrum für Friedensförderung (Cepan) | |
in Jos leitet, und blickt wütend auf die Straße. | |
Samuel Goro, evangelischer Pastor, spielt auf die Veränderungen seit | |
Heiligabend an. In den christlichen Vierteln Anguwan Rukuba und Gada Biyu | |
kam es zu vier Explosionen, 80 Menschen starben, mitten in den letzten | |
Vorbereitungen für das Weihnachtsfest. | |
## Christen vs. Muslime | |
Weit über 200 Menschen sind seitdem in und um Jos in wechselseitigen | |
Racheangriffen ums Leben gekommen. In die Gegend rund um Gada Biyu traut | |
sich kaum noch ein Muslim, denn Jos ist geteilt wie nie zuvor. Dabei lebten | |
früher auch Muslime in mehrheitlich christlichen Gegenden und umgekehrt. | |
Augustina Haruna jedenfalls hatte sich über viele Jahre nie darüber | |
Gedanken gemacht. Die Katholikin ist mit einem Muslim verheiratet. "Meine | |
Schwiegermutter hat mich damals gefragt, ob ich dazu bereit wäre. Und ich | |
war es." | |
Viele Jahre hat sie deshalb mit ihrem Mann in Rikos Kato am Stadtrand von | |
Jos gelebt, dort die vier eigenen Kinder und die Zwillinge ihrer | |
verstorbenen Schwester großgezogen. "Tina war es, die unsere Kinder während | |
des Ramadan geweckt hat, damit sie vor Sonnenaufgang etwas essen." Das hat | |
ihr Mann Alhadji Abdulaziz Haruna immer wieder stolz erzählt, seine Frau | |
bewundernd von der Seite angeschaut und sie liebevoll Tina genannt. | |
Doch jetzt ist Tina fort, zu ihrer Schwester geflüchtet. Am Telefon klingt | |
sie müde und fertig. "Wir haben uns in den vergangenen zwei Monaten genau | |
zweimal gesehen." Ihre Angst ist riesengroß. "Ich bin doch die einzige | |
Christin, die noch dort sein würde. Was würden sie wohl mit mir machen?" | |
Wer tatsächlich hinter den Anschlägen von Heiligabend steckt, die die Stadt | |
so stark zerrüttet haben, lässt sich bis heute nicht sagen. Zuerst bekannte | |
sich per Videobotschaft eine islamistische Gruppe dazu, von der noch | |
niemand etwas gehört hatte. Mittlerweile hat Boko Haram die Verantwortung | |
übernommen. Boko Haram - übersetzt etwa "Westliche Bildung ist Sünde" - | |
gilt in Nigeria derzeit als das größte Sicherheitsrisiko. | |
Die radikalislamistische Gruppe mit Hauptquartier in Maiduguri, Hauptstadt | |
des nordöstlichsten Bundesstaates Borno, begann bereits im Sommer 2009 | |
einen Aufstand gegen die Staatsmacht in mehreren Städten Nordnigerias; bei | |
dessen Niederschlagung wurden über tausend Menschen getötet. Sie hat sich | |
gerade wieder zu einem tödlichen Attentat bekannt und will nach eigenem | |
Bekunden einen der Gouverneurskandidaten in Borno ermordet haben. Weitere | |
Anschläge sollen folgen. | |
Im muslimischen Viertel rund um die Zentralmoschee und den großen Markt von | |
Jos ist es laut und wuselig. An den Straßenrändern sitzen Händler, bieten | |
Stoffe, Gemüse, Datteln und Kolanüsse an. Einige verschleierte Frauen | |
erledigen die letzten Einkäufe, bevor es zu dämmern beginnt, und kleine | |
Jungs ziehen durch die Straßen. Ihre T-Shirts und Stoffhosen sind dreckig, | |
und jeder hält eine schäbige Plastikschüssel in der Hand. Irgendjemand wird | |
ihnen schon ein paar Naira oder etwas zu essen in das Plastikgefäß legen. | |
Vom lauten Straßenleben ist im Haus von Sheik Balarabe Dawud nichts zu | |
spüren. Sein Anwesen liegt etwas abseits auf einem Hinterhof. Der "Chief | |
Imam" der Zentralmoschee sitzt in seinem Besucherzimmer auf einem großen | |
Sofa. Immer wieder muss er das Gespräch unterbrechen, weil sein Handy | |
klingelt. Als er das letzte Gespräch beendet hat, wird er einen Moment | |
still und kneift dann ein wenig seine Augen zusammen. | |
"Boko Haram soll hinter den Anschlägen stecken?", fragt er rhetorisch. "Das | |
weiß ich nicht. Wir wissen doch nicht einmal, wer Boko Haram ist. Wir | |
kennen niemanden, der zu Boko Haram gehört", sagt er dann und will sich | |
nicht auf weitere Spekulationen einlassen. Sheik Balarabe Dawud streicht | |
eines der Kissen glatt, dann platzt er heraus mit dem, was ihn schon so | |
lange quält. "Sie nennen uns Siedler. Und damit sollen wir keinerlei Rechte | |
haben." | |
## Siedler vs. Einheimische | |
Siedler und Einheimische: dieses Wortpaar beschreibt die | |
Auseinandersetzungen wohl am besten. Denn in Plateau hält niemand mehr den | |
Konflikt für einen religiösen, auch wenn auf den ersten Blick Christen | |
gegen Muslime und Muslime gegen Christen kämpfen. Vielmehr geht es um zwei | |
Fragen: Wem gehört Jos wirklich, und wer hat die Macht in Plateau? Denn die | |
Gegend ist im Laufe der vergangenen 100 Jahre zum Schmelztiegel geworden. | |
Verantwortlich dafür war nicht das milde, freundliche Klima, sondern einmal | |
mehr waren es Bodenschätze. | |
Daran erinnert auch das Museum, das einige Kilometer vom muslimischen | |
Viertel entfernt liegt. Das kleine Gebäude ist umgeben von riesigen, alten | |
Bäumen, an deren Ästen Vögel ihre Nester gebaut haben. Die ganze Anlage | |
wirkt fast unwirklich. Denn mitten in Jos ist es hier plötzlich wieder | |
ruhig, grün und friedlich. Musa führt durch die Ausstellung. Er erklärt, | |
wie in den vergangenen 100 Jahren rund um Jos Zinn abgebaut worden ist. | |
Dieser lockte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts vor allem Siedler aus dem | |
Norden an, von denen die meisten muslimische Haussa waren. | |
Ihre Arbeitskraft wurde in den Minen gebraucht, denn die Einheimischen, die | |
sich überwiegend zum Christentum bekannten, wollten lieber weiter in der | |
Landwirtschaft arbeiten. Über Jahrzehnte ging die Arbeitsteilung gut, bis | |
die Minen geschlossen wurden. Die Siedler wollten bleiben, schließlich war | |
Jos über die Jahre auch zu ihrer Heimat geworden. | |
In dieser Heimat sind die meisten Menschen nur noch müde, ganz gleich, ob | |
sie sich nun Christen oder Muslime, Einheimische oder Siedler nennen. Und | |
die meisten von ihnen haben Angst. Dazu kommen wirtschaftliche Einbußen. | |
Wer will schon in der krisengebeutelten Stadt ein Unternehmen aufbauen oder | |
Urlaub machen? Das spürt auch Musa, dem die Besucher seit Monaten | |
ausbleiben. "Du weißt ja, die Krise", sagt er. | |
Um das Wort "Krise" wieder streichen zu können, wird indes wenig getan. | |
Zwar bieten einige nichtstaatliche Organisationen Friedensprojekte an, doch | |
mit so viel Engagement kann die Regierung nicht aufwarten. Im Gegenteil: | |
Samuel Goro ist sicher, dass die wiederkehrenden Ausschreitungen von | |
wenigen Drahtziehern organisiert und finanziert werden. "Woher sollen die | |
jungen Leute denn sonst das Geld für Messer und Pistolen bekommen?", redet | |
er sich in seinem kleinen Büro in Rage und wird dann noch etwas lauter: | |
"Die Täter sind doch bekannt. Aber niemand wird bestraft." | |
Er ärgert sich nicht nur über die Jugendlichen, die immer wieder durch die | |
Straßen ziehen, Häuser niederbrennen und Menschen abschlachten. Seine Wut | |
richtet sich gegen die Hintermänner, zu denen - wie in Jos viele denken - | |
sicherlich auch der ein oder andere Politiker zählt. Für unschuldig hält er | |
aber ebenso wenig Kirchen und Moscheen. "Es gibt Anzeichen dafür, dass dort | |
Waffen gelagert werden. Stell dir vor, dort, wo eigentlich Frieden | |
gepredigt wird!" Und dann lehnt er sich ein wenig in seinem Stuhl zurück | |
und holt tief Luft: "Aber irgendwann kommen wir dahin. Irgendwann werden | |
wir Frieden haben." | |
3 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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