# taz.de -- Flüchtlingskinder werden von Schulen abgelehnt: Nicht jeder darf w… | |
> Immer mehr Schulen lehhnen Flüchtlingskinder ab, weil sie sich | |
> überfordert fühlen. Experten fordern mehr Lehrer und Durchsetzung der | |
> Schulpflicht | |
Bild: Immer mehr Flüchtlingskinder dürfen nicht zur Schule gehen | |
Der Flüchtlingsrat wirft dem Land Berlin und den Bezirken vor, gegen die | |
Schulpflicht zu verstoßen. Immer mehr Flüchtlingskinder dürfen nach | |
Recherchen des Rates nicht zur Schule gehen. "Die Situation ist besonders | |
in der Nähe der Sammelunterkünfte in Spandau, Marienfelde und | |
Steglitz-Zehlendorf angespannt", sagte Sprecher Walid Chahrour der taz. | |
"Weil die zuständigen Regelschulen keine Plätze bereitstellen, werden | |
Kinder im Grundschulalter von Hauslehrern in der Unterkunft beschult." | |
Weitere Kinder würden, angeblich aus Kapazitätsgründen, überhaupt nicht | |
beschult, so Chahrour weiter. | |
In der Erstaufnahmestelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in | |
Steglitz-Zehlendorf würden von 20 schulpflichtigen Kindern 18 nicht zur | |
Schule gehen, weil sich Bezirk und Senat streiten, wer für die | |
Bereitstellung von Schulkapazitäten zuständig sei, sagt der Rat mit Verweis | |
auf Daten aus dem Bezirk. Dem Flüchtlingsrat liegen ferner Berichte von | |
Eltern aus der Sammelunterkunft Marienfelde vor. Denen zufolge lehne das | |
Schulamt Tempelhof-Schöneberg die Einschulung von 16-Jährigen ab. Chahrour: | |
"Es heißt, die Kinder seien nur bis Ende dieses Schuljahres schulpflichtig, | |
für die paar Monate lohne sich die Einschulung nicht." | |
Der Senat bestätigt die Situation in einer Antwort auf eine | |
parlamentarische Anfrage der Grünen vom Januar: Die verweigerte Aufnahme | |
von Kindern an Schulen in der Nähe der Sammelunterkünfte werde "mit Mangel | |
an Schulplätzen und insbesondere mit knappen Ressourcen für Förderklassen | |
und integrierte Lerngruppen begründet", heißt es dort. Der Senat habe darum | |
im Heim in der Spandauer Motardstraße eine "Beschulung mit zwei | |
Lehrkräften" für bis zu 100 Kindern aufgebaut. | |
Chahrour vom Flüchtlingsrat erklärt: "Ein Schulbesuch ist für die | |
Eingewöhnung der Kinder in ihr neues Umfeld und für ihre psychische | |
Stabilisierung nach den Erfahrungen der Flucht wichtig. Je eher ein Kind in | |
die Schule geht, desto größer die Chancen auf eine erfolgreiche | |
Integration." | |
Einem bundesweiten Trend folgend nimmt die Zahl der Flüchtlinge in Berlin | |
wieder zu. Kamen 2009 noch 1.350 neu nach Berlin, waren es im vergangenen | |
Jahr fast 2.000. Tendenz weiter steigend. Da preiswerter Wohnraum knapp | |
ist, kommen sie immer häufiger in Sammelunterkünften unter, sodass Schulen | |
in deren Nähe mit Konzentrationen von Schülern ohne deutsche | |
Sprachkenntnisse konfrontiert sind. Hinzu kommt der Zuzug von Romakindern | |
aus den neuen EU-Staaten, die oft noch nie eine Schule besucht haben. Als | |
EU-Bürger unterliegen sie der Freizügigkeit, ihre Zahl ist landesweit | |
statistisch nicht erfasst. | |
Hinzu kommt: 2004 wurden vor dem Hintergrund gesunkener Flüchtlingszahlen | |
die Integrationsklassen abgeschafft, in denen neu eingereiste Schüler ein | |
Jahr lang separat Unterricht erhielten und hauptsächlich Deutsch lernten, | |
bevor sie in die Regelklassen kamen. Jetzt kommen sie sofort in die | |
Regelklassen und sollen dort von ihren Mitschülern Deutsch lernen. Die | |
Schulen haben zwar die Möglichkeit, für einige Stunden pro Woche separate | |
Lerngruppen für sie einzurichten. Zusätzliche Mittel gab es bisher dafür | |
aber nicht. | |
Dieser Ansatz stößt auf Kritik. Laut Buschkowsky sind die Lehrer | |
überfordert, wenn sie sich neben dem normalen Unterricht mit einer größeren | |
Zahl von Schülern befassen müssten, die kein Deutsch sprechen. Chahrour | |
erzählt von einem 15-jährigen Analphabeten, der ohne zusätzliche Hilfe | |
seinem Alter entsprechend in eine neunte Klasse gesteckt wurde. "Das bringt | |
ihm gar nichts." Auch der grüne Bildungspolitiker Ozcan Mutlu findet: "Es | |
macht keinen Sinn, Kinder ohne Deutschkenntnisse und ohne bildungsmäßige | |
Voraussetzungen lediglich in reguläre Klassen zu schicken. Das überfordert | |
diese Kinder, ihre Mitschüler und die Lehrer." | |
Die Senatsbildungsverwaltung hat auf die Kritik reagiert und die | |
Schulaufsicht angewiesen, die Flüchtlingskinder umgehend zu beschulen. Den | |
Bezirken, die Probleme haben, würden zusätzliche Stellen zur Verfügung | |
gestellt, sagt Sprecherin Beate Stoffers. Derzeit ermittle die Verwaltung | |
die Zahl der neuen Schüler. "Sollte es zutreffen, dass mehr Schüler | |
vorhanden sind als bisher errechnet, werden wir selbstverständlich | |
reagieren." | |
Steglitz-Zehlendorfs Bildungsstadträtin Anke Otto (Grüne) rechnet damit, | |
dass die Flüchtlinge ihres Bezirkes erst nach den Osterferien zur Schule | |
gehen können. "Wir haben jetzt endlich Räume. Der Senat muss bis dahin | |
Lehrkräfte einstellen." | |
7 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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