# taz.de -- Aufklärung über Agrosprit E10: Beschränkt wie Brüderle | |
> Redet nicht die FDP dauernd von "mündigen Bürgern"? Aber wenn es ums Auto | |
> geht, soll das Kraftfahrt-Bundesamt allen Fahrern sagen, ob ihr Wagen E10 | |
> verträgt. | |
Bild: Keine Ahnung und auch noch stolz drauf: FDP-Wirtschaftsminister Brüderle. | |
BERLIN taz | Für wie beschränkt halten mich der ADAC und die | |
Verbraucherschützer? Darauf gibt es jetzt eine exakte Antwort: Sie halten | |
mich für so beschränkt wie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). Kein | |
schöner Gedanke. | |
Denn Brüderle gibt zu, er wisse nicht, ob sein eigenes Auto den | |
umstrittenen Treibstoff E10 tanken kann, ohne Schaden zu nehmen. Obwohl die | |
Listen im Internet stehen, obwohl man ja mal beim Hersteller anfragen oder | |
sich an der Tankstelle informieren könnte: Nö, keine Ahnung und auch noch | |
stolz drauf. Und weil die anderen 40 Millionen Autobesitzer in Deutschland | |
offenbar genauso vernagelt vor dieser Frage stehen, soll jetzt das | |
Kraftfahrt-Bundesamt an alle Autohalter Briefe schicken. Darin soll stehen, | |
so ADAC und der Verbraucherzentrale-Bundesverband, ob unser Auto mit E10 | |
absäuft oder nicht. | |
Für die Bildungsrepublik Deutschland ist das eine Vollbremsung. Und für | |
Rainer Brüderles FDP-Credo des "mündigen Bürgers" sogar der Totalschaden. | |
Denn wir leben doch in Zeiten und unter einer Bundesregierung, wo | |
"Eigenverantwortung!", "Leistungsbereitschaft!!" und "persönliche | |
Initiative!!!" in Marmor gemeißelt als Fixstern der Politik gelten. Sie | |
sorgen sich um Ihre Rente im Alter? Informieren Sie sich und sorgen Sie | |
vor! Sie verlieren den Überblick bei der Wahl der Krankenkasse? Na, dann | |
strengen Sie sich mal ein bisschen an! Die Handy-Tarife verwirren Sie? Ja, | |
dann lesen Sie doch das Kleingedruckte! | |
Gerade das Gelbe im Schwarzgelben ist sonst immer weit vorn mit dabei, wenn | |
es darum geht, Kundinnen und Kunden möglichst orientierungslos im Irrgarten | |
der Konsumgesellschaft zurückzulassen. "Lasst die Menschen frei | |
entscheiden!", heißt es, wenn eine einfach zu lesende Kennzeichnung für | |
Zucker im Essen wie die Nährstoffampel abgeschmettert wird. Und so sieht es | |
dann auch aus in Deutschland: Die Zahl der überschuldeten Haushalte wächst | |
in einem Maße, dass inzwischen auch Privatleute offiziell pleite gehen | |
können. | |
Aber - huch! - jetzt geht es ja ums Auto. Und da ist natürlich alles | |
anders. Denn das Auto ist dem Deutschen was dem gemeinen Amerikaner die | |
Schusswaffe ist: Lieb, teuer, potenziell tödlich und mit einer Lobby | |
ausgestattet, die bei jeder Einschränkung mindestens den Weltuntergang | |
prophezeit. Wer solcherart infantil mit einem Fortbewegungsmittel umgeht, | |
von dem kann man offenbar nicht verlangen, er solle klären, was sein Baby | |
denn so zu trinken bekommt - solche Fürsorge des Staates wäre ja etwa bei | |
der Ernährung unserer Kinder überaus wünschenswert. Dabei sind ja nicht | |
einmal Autofahrer ganz so hinter dem Mond: Viele von ihnen sind echte | |
Preisfüchse, wenn es um Billigsprit geht; andere verbringen ihre Zeit bei | |
eBay oder im Autoteileshop, um höchst rational den billigsten Heckspoiler | |
zu erstehen. Manche sollen sogar Abitur haben. | |
Und klar, es gibt Verlustängste: Wenn das Auto für die Hälfte aller | |
Haushalte in Deutschland den wertvollsten Besitz darstellt, dann haben die | |
Menschen natürlich Angst, dass der Motor sich möglicherweise vom | |
E10-Schluckauf nicht mehr erholt. Aber wer sein knappes Geld auf ein Auto | |
spart, den sollten Verbraucherschützer vielleicht mal darüber aufklären, | |
dass es keine schlechtere Geldanlage gibt als einen Wagen, der schneller an | |
Wert verliert als eine griechische Staatsanleihe. | |
Aber genau für diese Menschen müssten Minister, ADAC und | |
Verbraucherschützer klare Angaben machen und sich nicht dümmer stellen als | |
sie sind. Dabei ist das mit den Massenbriefen von der Behörde eigentlich | |
gar keine schlechte Idee. Warum kein Schreiben, das mich auf die nächste | |
Krebsvorsorge hinweist? Oder darauf, dass ich immer noch nicht den | |
Stromanbieter gewechselt habe? Man könnte sich viele sinnvolle | |
Mailing-Aktionen vorstellen. Genauso kann man sich aber vorstellen, dass | |
die FDP die Erste wäre, die dann "sozialistische Zwangsbeglückung" schreien | |
würde. | |
8 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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