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# taz.de -- Zum Tod von Günter Amendt: Im Dienste der Lust
> Der Sozialwissenschaftler und Drogenexperte Günter Amendt ist bei einem
> Unfall gestorben. Amendt war einer der radikalsten Sexualaufklärer des
> Landes.
Bild: Drei Windlichter: Günter Amendt, der Schauspieler Dietmar Mues und desse…
Es waren meist Fragen, mit denen er sein Gegenüber aus dem Konzept brachte.
Was bringt es, Konsumenten von Drogen wie Marihuana zu kriminalisieren?
Hilft das wirklich einer aufgeklärten Gesellschaft? Und welchen Sinn macht
es, Haschischraucher in die Illegalität zu treiben, zugleich aber jene, die
Rauschmittel im industriellen Maßstab herstellen, Pharmafirmen oder
Drogenkartelle, in Frieden zu lassen?
Günter Amendt hatte keinen inneren Raum für alarmistische Allüren; ihm war,
darin seinem Idol und Lieblingslyriker Bob Dylan ähnlich, das
Zusammenhängende, das Uneindeutige lieber. Dieser Kader der
Achtundsechzigerbewegung bevorzugte die kühle Leidenschaft - Posen des
Grellen und Ungefähren törnten ihn ab. Allein deshalb war ihm die
alternative Szene ein Milieu, dem er misstraute.
Als militante Kader der Sechziger, wie Ulrike Meinhof und Andreas Baader,
subproletarische Jugendliche als Objekt ihrer Begierde ausmachten, war es
Amendt, der mit FreundInnen darum nachsuchte, den Jugendlichen zu helfen,
selbstständige Erwachsene zu werden - und sie mit rechtsstaatlichen Mitteln
aus der staatlichen Fürsorge zu befreien. Mit Menschen spielt man nicht,
sagte er, man benutzt sie nicht für politische Zwecke, die nicht die ihren
sind.
Amendt, 1939 in Frankfurt am Main geboren, studierte in den Sechzigern in
den USA, hörte bei Adorno und Horkheimer, war als Teil des Sozialistischen
Deutschen Studentenbundes immer ein Teil des Bruchs mit der
nationalsozialistischen Väter- und Müttergeneration. Ihm ging es um bessere
Lebensbedingungen für Jugendliche, nicht um die "Systemfrage" - und früh
konnte Amendt wissen, dass die Bewegung der Libertären Gewinne verbuchen
kann. Sein Buch "Sex Front", das 1970 erscheint, war ein lapidares
Büchlein, das ohne missionarisches Gewese das Wahrhaftige über das Sexuelle
in einer zeitgenössischen Sprache auszudrücken wusste: Homosexualität ist
okay, Frauen und Männer können sich Lust bereiten, wenn sie das gemeinsam
wollen, Sex ist nicht Fortpflanzung. Und: Selbstbefriedigung ist prima.
Sein Ton in diesen wie anderen Büchern war von frappierender Souveränität.
Da erzählte einer einfach, wie es sein kann, wenn man den ganzen Plunder
des "So sollst du sein" weglässt und lieber ausprobiert. Besondere
Aufmerksamkeit - als einer der wenigen der SDS-Kader - schenkte er
proletarischen, nicht mittelschichtigen Jugendlichen. Seine Promotion, 1972
in Gießen abgeschlossen, trug den Titel "Sexualverhalten von Jugendlichen
in der Drogensubkultur" - sie verschränkte beide Hauptströme der
öffentlichen Arbeit Amendts. Drogen und Sexuelles - Felder, die von
Hysterie und Furchtproduktion befreit werden sollten. Als Teil der
sexualwissenschaftlichen Community, befreundet mit Volkmar Sigusch, Martin
Dannecker, Gunter Schmidt und Reimut Reiche, gab er, Anfang der
Achtzigerjahre, unter den Fittichen des Konkret-Labels, Konkret Sexualität
heraus - ein bis heute gut zu lesender Versuch, Sexuelles über das
Medizinistische hinaus zu denken.
Damals war er noch Mitglied der DKP, der realsozialistischen Werbeagentur
der DDR in der BRD - warum er Teil der postbolschewistischen Familie sein
wollte, wussten auch Freunde nicht recht zu erklären. Es muss mit
restreligiösen Aspirationen zu tun gehabt haben: Amendt selbst, der an den
Grünen wie Alternativen das Unverbindliche, Undisziplinierte und
Antiproletarische kritisierte, der den Machtlosen Stimme geben wollte,
bevorzugte Verbindlichkeit, bürgerliche Seriosität ohne Dünkel und den
Anspruch auf Aufklärung. Esoterisches war ihm fremd, Magisches, wenigstens
in der Person Bob Dylans nicht: Diesen hob er auf sein Schild wie einen
Messias des Coolen.
Amendt war ein Volksaufklärer par excellence. Er hat die sexuelle Frage
demokratisiert und in einem Sound erörtert, der frei von Verklemmung und
kitschiger Romantisierung war. Seine letzte Intervention las man im Merkur
- eine summary von 30 Jahren gesellschaftlicher Erregung in Sachen
sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Es war das womöglich
Beste, das in jüngster Zeit zu diesem Thema publiziert wurde.
Amendt, wie absurd!, kam am Samstag bei einem Verkehrsunfall, an einer
Ampel stehend, ums Leben. Der schuldige Autofahrer soll unter leichtem
Drogeneinfluss gestanden habe. Amendt wurde nur 71 Jahre alt.
14 Mar 2011
## AUTOREN
Jan Feddersen
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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