# taz.de -- Bestattung in Regalen: Letzte Ruhe auf der Himmelsleiter | |
> Das Kolumbarium Heiligstes Herz Jesu in Hannover lädt zu einer neuen, dem | |
> Leben zugewandten Form der Totenruhe ein. Nach einem Jahr ist die Bilanz | |
> des Sterbe-Startups mit 100 Vormerkungen positiv. Ein Besuch. | |
Bild: Noch ist Platz frei: die "Himmelsleiter" im Kolumbarium Heiligstes Herz J… | |
HANNOVER taz | "Das Kolumbarium wird videoüberwacht", steht auf blauen | |
Plaketten gut sichtbar unter den elegant geschwungenen Säulen der | |
Eingangspforte. Rechtlich gesehen ist das Kolumbarium Hl. Herz Jesu in | |
Hannover ein Friedhof in einer Kirche. | |
Architektonisch gesehen ist es ein schöner Ort für die letzte Ruhe. Beides | |
zusammen macht, dass es der einzige katholische Kirchenbau weit und breit | |
ist, der zugleich unter Denkmal und Objektschutz steht. | |
Die katholische Kirche an diesem Ort, Spitzname "Tempel auf Jerusalem", hat | |
eine wechselvolle Geschichte: 1905 wurde die Kirche geweiht, errichtet für | |
die rasant wachsende Zahl katholischer Arbeitsmigranten aus dem heutigen | |
Polen, die sich rund um das Misburger Industriegebiet am Rande von Hannover | |
niederließen. | |
Zuletzt aber ist die Gemeinde ebenso rasant geschrumpft wie gealtert, | |
sodass sie vor einigen Jahren der katholischen Pfarrkirche St. Martin | |
angeschlossen wurde. Dann wurde sie im Zuge der Strukturreformen im Bistum | |
Hildesheim auch als Kirchort aufgegeben - und nun blickt Herz Jesu, dank | |
eines bemerkenswerten Abnabelungsprozesses von der katholischen Kirche, | |
seiner ungewissen, aber immerhin vorhandenen Zukunft als | |
Beisetzungs-Startup entgegen. | |
Rund 50 Kirchen waren vom Bistum Hildesheim zur Schließung vorgesehen, sagt | |
der heutige Geschäftsführer des Kolumbariums, Johannes Kollenda. Praktisch | |
bedeutete das: Abriss, Umnutzung oder Verkauf. | |
Im Falle von Herz Jesu entschied sich der Pastoralrat 2009 für die | |
Umnutzung, nachdem in einem Wettbewerb verschiedene "selbsttragende | |
Konzepte" vorgestellt wurden. Dabei setzte sich die Idee eines | |
"Kolumbariums" des Architekten Thomas Rauck durch. | |
2010 wurde die Ex-Kirche Herz Jesu erstmal "entwidmet" und ist seitdem | |
kirchenrechtlich nur noch ein Friedhof mit hübscher Fassade. In Deutschland | |
bemüht man sich meist um eine halbwegs würdevolle Lösung für die | |
Abriss-Gemeinden, wogegen in Holland und Großbritannien schon Fitnesscenter | |
und Kaufhäuser in ehemaligen Kirchen eingezogen sind. | |
Trotzdem, auch die würdigste Umnutzung braucht ein Geschäftsmodell - mit | |
"Businessplan, Marketing, das volle Programm", wie Johannes Kollenda sagt. | |
Kollenda kam erst später hinzu, als die Urnenbeisetzungsstätte schon | |
beschlossene Sache war. Der Mittvierziger kommt aus der | |
Unternehmensberatung, stammt aus Misburg, ist sein Leben lang dort gewesen | |
und selbst Katholik; schon als Kind kannte er die Jerusalemer Gemeinde. | |
Heute vereint er das Unvereinbare, er beseelt und belebt eine Idee, die | |
unter anderen Umständen wohl niemals Wirklichkeit geworden wäre. | |
Ob mehr als nur das Gemäuer gerettet wurde, darüber herrscht freilich nach | |
einem Jahr noch Uneinigkeit. Letztlich müssen sich auch die | |
alteingesessenen polnischen Katholiken weiterhin heimisch fühlen in einem | |
Bauwerk, das heute offiziell weder Gemeinde noch Kirche ist. | |
Gewöhnungsbedürftig ist es sicherlich, wenn der vertraute Gottesdienst nun | |
Gedenkgottesdienst heißt, freitags stattfindet und auf einmal ein sehr | |
vielschichtiges Publikum anlockt. | |
Von außen wirken die berankten steinernen Fassaden mit ihren weinrot-weißen | |
Glasfenstern besänftigend, würdig, tröstlich. Beim Betreten des Sakralbaus | |
trifft der Besucher auf eine fantastische Innenarchitektur: Verkopft, mit | |
reichen Bezügen und Bildern hantierend, irgendwo zwischen | |
Schneewittchensarg und Jakobsleiter, der Himmels-Metapher aus dem Alten | |
Testament. | |
Die "Himmelsleitern" mit ihren gläsernen Stellplätzen wirken schwerelos und | |
durchlässig - eine schöne Vorstellung, dass sie nach und nach mit | |
dekorativen Urnen angefüllt werden, mit vergangenem, aber gelebten Leben. | |
So müssen im Himmel die Ikea-Regale aussehen. | |
Die Leitern gehören auch zum Businessplan - da jede der | |
Leiterkonstruktionen rund 50.000 Euro kostet, können die Gerüste erst nach | |
und nach mit Glasfächern aufgestockt werden. Solange das Geschäft nicht | |
Pleite geht - und das Bestattungs- und Friedhofsgewerbe gilt gemeinhin als | |
krisensicher - werden sich die Plätze auf der Leiter allmählich füllen, | |
werden mehr und mehr Leitern hinzukommen. | |
Die Stahlstreben sind bereits vorhanden. Für Trauerfeiern können nach | |
Bedarf Organisten, Caterer und ehrenamtliche Trauerhelfer hinzu bestellt | |
werden - Outsourcing eben. | |
Damit tritt das Kolumbarium in Konkurrenz zu städtischen Friedhöfen und | |
Bestattern, wobei die besondere Kombination von Transparenz und | |
Traditionshaftung auch akzeptanzfördernd wirkt. Die gut sichtbaren Urnen in | |
ihren Glaskästen lassen sich kaum mit der traditionellen Urnenbeisetzung in | |
Verbindung bringen, wo das Aschegefäß schleunigst aus dem Blickfeld der | |
Angehörigen unter die Erde verschwindet. | |
Die Transparenz, die sich durch das gesamte Konzept zieht, scheint gut | |
anzukommen. Ehrlicher ist es allemal, sich auch als der "Trauer- und | |
Pastoraldienstleister" zu verstehen, zu dem die überalterte Gemeinde | |
ohnehin schon geworden ist - sich einzugestehen, dass man mittlerweile | |
ohnehin öfter auf Beerdigungen als Kaffeekränzchen geht. | |
Kollenda jedenfalls zieht nach dem ersten Jahr positive Bilanz. 100 Plätze | |
auf der Himmelsleiter sind schon verkauft. Und irgendwie stehen auch die | |
Urnen der 17 bislang Verstorbenen immer noch mitten im Leben: Im | |
Kolumbarium finden Trauerfeiern und Firmlingstreffen, Kunstausstellungen | |
und Konzerte statt. Den Tod zurück "ins Leben zu holen", wie Johannes | |
Kollenda sagt, ist dem Sterbe-Dienstleister damit bereits gelungen. | |
14 Mar 2011 | |
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Schwerpunkt Stadtland | |
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