# taz.de -- Die Weiße Rose in Hamburg: Der vergessene Widerstand | |
> Eine Ausstellungsreihe erinnert an den Hamburger Zweig der Weißen Rose. | |
> Acht ihrer Mitglieder wurden hingerichtet oder starben in Haft, weil sie | |
> sich gegen das Nazi-Regime aufgelehnt hatten. Die Veröffentlichungen dazu | |
> sind spärlich. | |
Bild: Der Gegner: Hitler spricht auf dem Hamburger Rathausbalkon. | |
HAMBURG taz | Draußen weht der Elbwind gegen den Baumwall, als Angela | |
Bottin ihr Comeback beginnt. Leichtfüßig steigt sie auf eine Bühne in der | |
Hafen-City, um eine Rede über ihr Lebensthema zu halten, über das sie seit | |
genau 20 Jahren öffentlich kein Wort gesprochen hat: Mut. | |
300 Zuhörern drängen sich an diesem Januarabend im Saal der | |
Körber-Stiftung. So ein großes Publikum saß zuletzt in Bottins Ausstellung | |
1991 für die mutigen Hamburger beisammen - jene Frauen und Männer, oft noch | |
Jugendliche, die während der NS-Diktatur unter Lebensgefahr Widerstand | |
leisteten. Die sich bis nach München vernetzten. Bis zur berühmten | |
Widerstandsgruppe "Die Weiße Rose". | |
Ich kann über diese Schicksale nicht mehr reden, sagte Bottin sich lange. | |
Kann mich nicht mehr beschäftigen mit Familie Leipelt aus Wilhelmsburg. Mit | |
Hans Konrad Leipelt, dem energiegeladenen Chemiestudenten, der sich im | |
Sommer 1943 mit anderen Nazi-Gegnern fragte, wie sie auf die Hinrichtungen | |
der Gleichgesinnten in München reagieren sollten, die Hinrichtungen von | |
Christoph Probst und der Geschwister Scholl; der mit den anderen | |
diskutierte, ob man jetzt die Lombardsbrücke über der Alster sprengen | |
sollte oder das Gestapo-Hauptquartier an der Stadthausbrücke. | |
Der Tod ihres Lebensgefährten Thorsten Müller, der als 17-Jähriger selbst | |
Flugblätter der Weißen Rose in Hamburg verteilte, sein Tod Ende 1991, kurz | |
nachdem sie ihre gefeierte Enge-Zeit-Ausstellung zur NS-Geschichte der | |
Universität Hamburg eröffnet hatte, "war eine Zäsur", sagt Bottin. | |
Womöglich nicht nur für sie: 20 Jahre lang hat es daraufhin für dieses kaum | |
beachtete und wenig erforschte Kapitel der NS-Geschichte nicht mehr solch | |
eine Öffentlichkeit gegeben. | |
Bottin, 54, rote Haare, heute Mitarbeiterin der Wissenschaftsbehörde, soll | |
an diesem Abend die Tür zu ihren Geschichten wieder aufstoßen. Den | |
widerständigen Hanseaten ist jetzt in Hamburg eine wochenlange | |
Ausstellungsreihe gewidmet, angestoßen von der Weißen-Rose-Stiftung. Fast | |
alle, die überlebten, hat Bottin einst interviewt. | |
Als Erstes sagt sie dem Publikum, der Titel der Veranstaltung: "Ein | |
Hamburger Zweig der Weißen Rose?", sei fehlerhaft. Nach ihren | |
Nachforschungen und Gesprächen mit Überlebenden müsse sie das korrigieren, | |
sagt Bottin. "Das Fragezeichen", rüffelt sie, "das sollte gleich in ein | |
Ausrufezeichen verwandelt werden, oder in einen Punkt." | |
Man hätte die Auftaktsrede zur Ausstellungsreihe auch einem renommierten | |
Historiker überlassen können: Prof. Dr. emer. Hans Mommsen, Nestor der | |
NS-Forschung hierzulande, der ebenfalls für die Aufarbeitungsreihe gewonnen | |
wurde. Doch was die Widerstandsszene in Hamburg betrifft, verfüge Bottin | |
nun mal über "absolutes Spezialwissen", sagt Hildegard Kronawitter, | |
Vorsitzende der Weiße-Rose-Stiftung in München. Anders gesagt: Obwohl | |
Bottin vor zwei Jahrzehnten aufhörte zu forschen, weiß sie mehr als alle | |
anderen. | |
Was weiß das kollektive Gedächtnis der Deutschen noch über die etwa 40 | |
Personen, die die Gestapo zwischen März 1943 und Januar 1944 verhaftete? | |
Über diese in Hamburg aktive "lose Vereinigung von Staatsfeinden", wie ein | |
NS-Generalstaatsanwalt sie nannte? Über die Studenten, Professoren, | |
Schüler, die aus ihrer Ablehnung der NS-Ideologie kaum einen Hehl machten? | |
Die einzige verfügbare Darstellung liefert nicht etwa ein Historiker, | |
sondern ein Stadtteilkulturzentrum. 8 Euro kosten die rund 100 gebundenen | |
Seiten des Kulturpunkts Barmbek Basch. Darin versammelt sind alle Beiträge | |
zur Weißen Rose Hamburg aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia. | |
Eine Hobby-Historikerin verfasst diese seit etwa einem Jahr. Wobei der | |
engagierten Chronistin als Hauptquelle das zuletzt 1981 verlegte Buch | |
"Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand" dient, das aus Gesprächen mit | |
Überlebenden die Geschehnisse zu rekonstruieren versuchte. | |
Trotz des Mutes der Hamburger, die dem populären Münchener Widerstand um | |
Sophie und Hans Scholl in nichts nachstanden, trotz acht Angeklagter, die | |
hingerichtet wurden oder in Haft starben, schrieb noch niemand | |
historiografisch fundiert die Geschichte nieder aus all den | |
Selbstzeugnissen, überlieferten Gestapo-Akten und zahllosen Interviews. | |
Die Oppositionellen trafen sich an mehreren Orten in der Stadt: In zwei | |
Buchhandlungen, im Universitätsklinikum Eppendorf, in Vorlesungen an der | |
Uni, im Haus der Familie Leipelt in Wilhelmsburg und in anderen | |
Privatwohnungen. Einige, wie Heinz Kucharski und Margaretha Rothe, hatten | |
bereits um 1940 die Frequenzen ausländische Sender auf die Wände von | |
S-Bahnabteilen geschrieben. Darauf stand die Todesstrafe. | |
Andere brachten ab 1942 die Flugblätter der Weißen Rose aus München nach | |
Hamburg, wie Traute Lafrenz, die einige Semester in München studierte und | |
dort mit Hans Scholl liiert war. Oder wie Hans Leipelt, der im April 1943 | |
das sechste Flugblatt mit dem Titel versah: "Ihr Geist lebt trotzdem | |
weiter!" Nach der blutigen Zerschlagung des Münchener Kreises zwei Monate | |
zuvor setzte man dessen Aufrufe zu einer Volkserhebung an der Elbe fort. | |
Militante Aktionen wurden erörtert, vielleicht bereits geplant. | |
Doch der Verfolgungsdruck der NS-Behörden war zu groß. Ab dem Sommer 1943 | |
rollte eine Verhaftungswelle über das weder sonderlich konspirativ noch | |
organisiert vorgehende Netzwerk. Bereits einige Monate zuvor war es der | |
Gestapo gelungen, einen Spitzel einzuschleusen: Maurice Sachs, ein | |
Franzose, der aus dem Pariser Intellektuellenmilieu stammte, sich als Jude | |
ausgab und derart Vertrauen erschlich. | |
"Die Verfolgung der Regimegegner in Hamburg war ungleich härter als in | |
München", erläuterte Hans Mommsen als Gastredner der aktuellen | |
Veranstaltungsreihe. Und wie Bottin stellte der Historiker fest: Die | |
Akteure in der Hansestadt "stellten sich bewusst in die Tradition der | |
Weißen Rose", womit diese Bezeichnung "angemessen" sei. | |
Was die Dimensionen von Verfolgung betrifft, kommt Familie Leipelt eine | |
zentrale Rolle zu. Da Bottin ihre Ergebnisse bisher nur bruchstückhaft | |
veröffentlicht hat, stellt eine Schülerarbeit aus den 1980ern den letzten | |
Stand der Forschung dar. Eindringlich beschreibt das Familien-Schicksal den | |
Alltag in einem verbrecherischen Staat: Aufgrund der jüdischen Wurzeln von | |
Mutter Katharina, einer Chemikerin, waren alle Leipelts ab September 1935 | |
von den Nürnberger Rassegesetzen betroffen. | |
Tochter Maria durfte die Oberschule nicht besuchen und Sohn Hans war | |
gezwungen, von Hamburg an die Münchener Universität zu wechseln. Dort wurde | |
er am 8. Oktober 1943 verhaftet. Er hatte Geld gesammelt für die Witwe des | |
Münchener Professors Kurt Huber, der aufgrund seiner Beteiligung an den | |
Aktionen der Weißen Rose kurz zuvor hingerichtet worden war. | |
Als Hochverräter - auch weil Mitwisser die Sprengstoffüberlegungen | |
denunzierten - verurteilte man Hans Leipelt zum Tode durch das Fallbeil. | |
Sein überliefertes Gnadengesuch dokumentiert, was ein "Mischling ersten | |
Grades" in Nazi-Deutschland ertragen musste. | |
Seine Hoffnung beruhe darauf, schreibt Leipelt offen an die NS-Justiz, dass | |
berücksichtigt werde, "wie groß der psychische Druck der Verhältnisse | |
gewesen ist". Schon in der Schule sei er missachtet worden. Dennoch habe er | |
als Soldat in zwei Feldzügen seine Pflicht getan, "wie meine Auszeichnungen | |
beweisen". Die Entlassung aus der Wehrmacht "empfand ich als schwere | |
Zurücksetzung". | |
Um studieren zu dürfen, habe er ein "besonderes Gesuch" gebraucht. An der | |
Uni sei er "als Mensch zweiter Klasse behandelt" worden. Hinzu komme "die | |
Diskriminierung meiner Mutter" und die Deportation der Großmutter, "die | |
ganz gewiss dem Staat nie geschadet hat". Fast alle Verwandten hätten ihre | |
Stellung, den Besitz, die Wohnung verloren und seien deportiert worden. | |
Menschen, "von denen ich ebenfalls nichts als Güte erfahren hatte". | |
Dann schreibt Leipelt: "So mag doch der, in dessen Hand es steht, zu | |
begnadigen, sich durch Mitgefühl für das, was mich zu meiner Einstellung | |
trieb, und einem daraus geborenen Verständnis für sie sich bewogen fühlen, | |
die Härte der Strafe zu mildern". | |
Hans Leipelts letzte Hoffnung lag in der Menschlichkeit seiner Henker. | |
Die schickten Anfang 1945 Telegramme von München an den "Volksgerichtshof | |
Potsdam", die noch heute erhalten sind. Am 19. Januar übermittelte die | |
Deutsche Reichspost an den "Oberreichsanwalt": "ZU 11 J 118/44 | |
VOLLSTRECKUNG LEIPELT WEGEN FLIEGERSCHADEN ZUR ZEIT NOICHT MÖGLICH BERICHT | |
UNTERWEGS = OBERSTAATSANWALT MUENCHEN 1 VOLLSTRECKUNGSABTEILUNG". | |
Am 31. Januar 1945 kam eine weitere Nachricht: "ANGELEGENHEIT OHNE | |
ZWISCHENFALL ERLEDIGT = OBERSTAATSANWALT MUENCHEN 1". | |
Hans letzte Hoffnung lag im Nirgendwo. | |
"Die Weiße Rose. Der Widerstand von Studenten gegen Hitler": bis 15. April, | |
Galerie im Georgshof, Hamburg | |
15 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Mart-Jan Knoche | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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