# taz.de -- Prozess in Frankfurt: Mörder verlangt Schmerzensgeld | |
> Der Entführer und Kindsmörder Magnus Gäfgen klagt auf Schadenersatz. Er | |
> leide bis heute unter der Folterdrohung des Frankfurter | |
> Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner. | |
Bild: Magnus Gäfgen (r.) neben seinem Anwalt Michael Heuchemer: Er verklagt da… | |
FRANKFURT/MAIN taz | Magnus Gäfgen präsentierte sich mal wieder in seiner | |
Lieblingsrolle: als Opfer. Der verurteilte Entführer und Kindsmörder | |
verlangt vom Land Hessen Schadenersatz. Wegen einer Folterdrohung im | |
Frankfurter Polizeipräsidium sei er heute noch traumatisiert. Am Donnerstag | |
verhandelte das Frankfurter Landgericht über die Klage. | |
Vor neun Jahren hatte der damals 27-jährige Jurastudent Gäfgen aus Geldgier | |
den Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und ermordet. Gäfgen wurde | |
später zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt seit neun Jahren im | |
Gefängnis Schwalmstadt. | |
Nun aber fordert Gäfgen vom Land Hessen Schmerzensgeld in bislang | |
unbenannter Höhe. Begründung: Als Gäfgen verhaftet wurde, ließ ihm der | |
Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner die Zufügung von | |
Schmerzen androhen. In diesem Moment hoffte die Polizei noch, den | |
elfjährigen Jakob retten zu können - während Gäfgen schwieg oder Lügen | |
erzählte. | |
Der Student verriet den Fundort von Jakob erst, als ihm ein Kommissar im | |
Auftrag von Daschner düster die baldige Ankunft eines "Spezialisten" | |
ankündigte. Außerdem habe ihn der Kommissar gepackt, geschüttelt und | |
geschlagen. Daschner und der Kommissar wurden später wegen Nötigung - milde | |
- bestraft. Beide erhielten nur eine Verwarnung, außerdem wurde ihnen eine | |
Geldstrafe angedroht. | |
Der renommierte Münchener Gerichtspsychiater Norbert Nedopil bestätigte nun | |
in einem Gutachten, dass Gäfgen tatsächlich an einer "posttraumatischen | |
Belastungsstörung" leide. Die "Ohnmachtsgefühle" bei der polizeilichen | |
Folterdrohung könnten mit hierzu beigetragen haben, so der Psychiater. Es | |
gebe aber noch mehrere andere mögliche Ursachen für das Entstehen der | |
psychischen Störung, etwa der Verlust von Gäfgens Lebensperspektive und die | |
Erfahrung, einen Menschen getötet zu haben. Allerdings passten die Symptome | |
von Gäfgens Störung - dass er mehr frage "was habt Ihr mir angetan" als | |
"was habe ich getan" - zu einer Nachwirkung der als ausweglos erlebten | |
Gewaltdrohung. | |
Der Anwalt des Landes Hessen, Thomas Kittner, kritisierte das Gutachten. Es | |
gehe viel zu wenig auf Gäfgens Tötungshandlung ein. "Wenn jemand den | |
minutenlangen Todeskampf eines Kindes selbst verursacht und miterlebt, dann | |
muss das doch viel traumatisierender sein als eine Verhörsituation", | |
empörte sich Kittner. Nedopil räumte ein, dass eine derartige Erfahrung | |
alles andere überlagern könne, vor allem wenn der Tötungsakt dramatischer | |
verlaufe als ursprünglich geplant. | |
Nun muss das Gericht entscheiden, ob es das rechtswidrige Vorgehen der | |
Polizei als Grund für Gäfgens psychische Probleme anerkennt. Die Richter | |
deuteten an, dass Gäfgens Weigerung, über die Erdrosselung Jakobs zu | |
sprechen, im Zivilprozess zu seinen Lasten gehe. | |
Gäfgen, der mit Handschellen in den Saal geführt worden war, hörte sich die | |
Ausführungen Nedopils regungslos an, zurückgelehnt, die Hände im Schoß. Er | |
ist jetzt 35, wirkt aber immer noch jungenhaft. Hinter Gittern hat er | |
längst sein Staatsexamen abgelegt und ein Buch über seine angebliche | |
Läuterung geschrieben ("Allein mit Gott"). Vor Gericht fand er aber kein | |
Wort der Trauer oder der Selbstkritik, vielmehr war er bei seiner Aussage | |
ganz auf das ihm angetane Unrecht fixiert. Nur einmal zeigte Gäfgen | |
Emotionen: als der Kommissar, der ihn damals verhörte, seine Aussage | |
machte. | |
## Ein falsches, "politisches Urteil" | |
Kommissar Ortwin Ennigkeit wusch seine Hände in Unschuld. Er habe Gäfgen | |
nicht einmal angefasst, und schon gar nicht geschüttelt oder geschlagen. | |
"Warum lügt dieser Mensch so?", fragte er mit Blick auf Gäfgen. Er bestritt | |
auch, dass er Gäfgen Schmerzen angedroht habe. "Ich habe ihm nur | |
angekündigt, was passiert, wenn er nicht sagt, wo Jakob steckt." | |
Die Richter fanden aber, dass dies aus dem Mund eines Polizisten doch wie | |
eine Drohung klingen könnte. Außerdem beharrte Ennigkeit darauf, dass der | |
Student nicht wegen der angekündigten Schmerzen gestanden habe. Vielmehr | |
habe seine, Ennigkeits, eindringliche Fragetechnik zum Erfolg geführt. "Ich | |
habe ihm zwar Angst gemacht, aber Angst vor Alpträumen, dass er nachts | |
schweißgebadet aufwachen wird, wenn er nicht sofort sagt, wo wir Jakob | |
finden können." Auch dies fand das Gericht nicht sehr überzeugend, da | |
Gäfgen ja wusste, dass Jakob zu diesem Zeitpunkt schon tot war. | |
Ennigkeit zeigte sich als lebendiger Erzähler. Dass er strafrechtlich | |
verurteilt wurde, hat er aber immer noch nicht akzeptiert. Das sei ein | |
falsches, "politisches Urteil" gewesen, sagte er den verblüfften | |
Frankfurter Richtern. Auf Rechtsmittel habe er nur deshalb verzichtet, um | |
endlich seine Ruhe zu haben. Dennoch lässt ihn Gäfgen nicht los. Auch | |
Ennigkeit arbeitet an einem Buch. | |
Gegen Abend wurde endlich Wolfgang Daschner befragt. Auch der inzwischen | |
pensionierte Beamte hält sein damaliges Verhalten heute noch für zulässig. | |
Wortreich schilderte Daschner, dass die Anwendung "unmittelbaren Zwangs" in | |
vielen Spielarten "bis zum Todesschuss" erlaubt sei. Das Gericht ließ den | |
Unbelehrbaren reden und wies ihn kein einziges Mal darauf hin, dass die | |
Erzwingung von Aussagen mit Schmerzen eindeutig verboten ist. | |
Gäfgens Anwalt Heuchemer wollte von Daschner vor allem wissen, welche | |
hochrangigen Stellen in der hessischen Politik ihm vorab Rückendeckung | |
gegeben hatten. Im Strafprozess hatte Daschner zwar entsprechende | |
Andeutungen gemacht, aber keine Namen genannt. Im jetzigen Prozess war er | |
nur noch Zeuge und hatte kein Aussageverweigerungsrecht mehr, was Heuchemer | |
nutzen wollte. Im Vorfeld hatte der Anwalt sogar erklärt, die Aufklärung | |
der Wahrheit sei sein und Gäfgens eigentliches Interesse. Die Forderung | |
nach Schmerzensgeld sei nur ein Vehikel, um Daschner zur Aussage zu | |
zwingen. Gäfgen interessierte sich dann aber doch nicht so sehr für die | |
Aufklärung. Vor der Vernehmung Daschners ließ er sich zurück in seine Zelle | |
bringen. | |
Die ganz große Sensation blieb bei der Aussage Daschners freilich aus. Er | |
habe damals nicht mit Volker Bouffier - zu dieser Zeit Innenminister, heute | |
hessischer CDU-Ministerpräsident - gesprochen. "Herr Bouffier war meines | |
Wissens sogar im Urlaub", sagte Daschner, um alle Zweifel zu zerstreuen. | |
Sein Ansprechpartner im hessischen Innenministerium sei der damalige | |
Präsident des Landeskriminalamts, Norbert Nedela, gewesen. Er sei aber | |
davon ausgegangen, dass auch der damalige Innen-Staatsekretär Udo Corts | |
(CDU) informiert gewesen sei. | |
Nedela habe ihm den Eindruck vermittelt, dass seine Überlegungen, Gäfgen | |
Schmerzen anzudrohen und notfalls auch zuzufügen, unterstützt werden. | |
Während Daschner sein Amt als Vize-Chef der Frankfurter Polizei bald nach | |
der Affäre verlor, wurde Nedela ein Jahr später zum | |
Landespolizeipräsidenten befördert. Allerdings kann ihm Daschners | |
Enthüllung auch jetzt nicht mehr schaden. denn seit letzten November ist er | |
nicht mehr im Amt. Der neue hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) hatte | |
Nedela wegen Kritik an dessen Führungsstil entlassen. | |
Genaueres wollte Anwalt Heuchemer nun auch über den so genannten | |
Spezialisten wissen, "Warum lassen Sie diesen Beamten mit dem Hubschrauber | |
aus dem Urlaub nach Frankfurt einfliegen? Werden hier etwa spezielle | |
Fähigkeiten vorgehalten?" Daschner verwies darauf, dass der Beamte privat | |
eine Übungsleiterlizenz des Deutschen Sportbundes besitze. "Und es gibt | |
Sportarten bei denen es erlaubt ist, anderen Schmerzen zuzufügen, etwa | |
Ringen oder Judo", so der wenig überzeugende Erklärungsversuch Daschners. | |
Wie der Prozess um das Schmerzensgeld ausgehen wird, ist völlig offen. Das | |
Landgericht hatte Gäfgen mangels Erfolgsaussichten ursprünglich nicht | |
einmal Prozesskostenhilfe gewähren wollen. Doch das | |
Bundesverfassungsgericht erzwang 2008 eine Verhandlung, weil die Klage | |
"schwierige Rechtsfragen" aufweise. Christoph Hefter, der Vorsitzende | |
Richter des Frankfurter Gerichts, kündigte nach der unerwartet langen | |
Verhandlung an, das Urteil werde erst am 1. Juni verkündet. | |
18 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |