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# taz.de -- Kid Congo auf Dauertournee: "It's the weather, it's the war"
> Der Musiker Kid Congo steckt in vielen Projekten, die Linien seines
> Lebens weiterzeichnen. Wer außer ihm kann das schon: mondän getextete
> Garagenpunksongs.
Bild: "Habe einfach nicht aufgehört zu spielen": David Oliveira.
Im Mai dieses Jahres wird Kid Congo 50. Und ist damit eindeutig ein
bisschen aus dem Kidalter heraus. Doch so einen Bühnennamen jetzt noch
abzugeben wäre auch Quatsch. Immerhin erinnert er an die Zeit, als Brian
Tristan, so hieß Kid dereinst, in Kalifornien lebte und mit zarten 15
Jahren Erster Vorsitzender des Ramones-Fanclubs wurde. Als solcher lernte
er mit 18 in New York den Ersten Vorsitzenden des Blondie-Fanclubs kennen,
der ihm irgendwann eine Gitarre umhing und mit ihm eine Band gründete.
Der Blondie-Fan hieß Jeffrey Lee Pierce, die Band The Gun Club. Danach
spielte Kid Congo bei den Punk-Rockabilly-Garage-HeldInnen The Cramps, bei
Nick Caves Begleitband The Bad Seeds, auch mal bei Die Haut und The Fall
und trat immer wieder mit verschiedenen Soloprojekten auf. Congo ist bis
heute prima im Geschäft. "Habe einfach nicht aufgehört zu spielen", sagt
er. "Nur Jammen war nie mein Ding."
"Momentan denke ich viel über die Vergangenheit nach", erzählt Brian/Kid
heute, immer noch schlank, feingliedrig, neuerdings fern der Bühne mit
Bestagerbrille ausgestattet, in der gleichen lächelnden Tonlage, in der er
singt, und unterstreicht seine Sätze mit den Gesten einer spitzbärtigen,
mexikanischen Elfe. Er ist zum Proben ein paar Tage in Berlin und sitzt in
einem Neuköllner Café in der Nähe von Khans Wohnung, dem Elektromusiker,
mit dem er bei Kid & Khan spielt.
Sie unterlegen Elektrobeats mit Gitarre und haben die "Twin
Peaks"-Titelsonghaucherin Julee Cruise begleitet. Die aktuelle Tour mit
Khan und Julee Cruise, Alex Hacke, Danielle de Piciotto und Chris Hughes
geht bis zum Abschiedsgig am Sonntag in Berlin, zwei Tage später beginnt
Kid mit seinem aktuellen Soloprojekt, den Pink Monkey Birds, in der
Hauptstadt die nächste Tournee.
## Freunde, Verluste
Dann fährt er zurück nach Washington. Sein Freund hat da einen Job
ergattert, "im Museum. Aber ich vermisse New York", sagt er. Und erzählt,
wie er sich früher zusammen mit Jeffrey Lee Pierce ausmalte, als senile
Alkoholiker auf dem Balkon einer heruntergekommenen Wohnung in der Bowery
zu sitzen und sich in den Erinnerungen an die wilden Zeiten in die
ausgehenden Haare zu kriegen. Jeffrey Lee Pierce starb mit 37 an einer
Hirnblutung. Lux Interior, der Sänger der Cramps, erlag vor zwei Jahren
einer Herzerkrankung.
Congo, der eine Zeit lang den Künstlerdoppelnamen Congo-Powers trug, weil
er aus Greencardgründen eine Freundin heiratete, bestellt Tee und ein
kleines Obstfrühstück. Er schreibe an seinen Memoiren, sagt er, und klingt
eher sympathisch beschämt als eingebildet, schon eine ganze Weile, es gebe
auch einen interessierten Verlag. Geschichten über die Geburtsstunde des
Punks in den USA, über Los Angeles und das New Yorker CBGBs, Drogen und
Präqueerness liest man eben gern. Seit seinem vom Rock n Roll früh
beendeten Journalistikstudium hat Kid Congo immer wieder geschrieben. Bei
der Arbeit an den Memoiren sei ihm "noch mal bewusst geworden, was es
heißt, in den USA Chicano zu sein".
Congo entstammt einer second generation-Einwandererfamilie aus Mexiko, mit
nur noch wenig aktivem Spanisch, aber viel aktiver Benachteiligung. "Unsere
Eltern haben nur Englisch mit uns gesprochen, damit wir es leichter als sie
haben." Doch fühle er sich mit zunehmendem Alter "immer mehr wie ein
Fremdkörper im weißen Amerika. Komischerweise wird mir erst jetzt stärker
bewusst, dass ich eine andere Hautfarbe habe. Außerdem bin ich ja gleich
Mitglied bei mehreren Minderheiten, Chicano, schwul, Punkmusiker."
Aufgewachsen sei er dennoch mit "einem diffusen Stolz auf die mexikanische
Kultur, die man eigentlich gar nicht richtig kannte. Weil man immer
irgendwie dazwischenhing". Und weil die Helden der Kindheit eher "die
Chicano-Beatles" Thee Midniters waren als die weißen Liverpooler.
## Eine viel zu ernste Sache
Mit den alten Bandmitgliedern, sofern sie noch leben, pflegt er wieder
Kontakt. "Es gab eine Zeit, in der Musikmachen für mich eine viel zu ernste
Sache wurde. Eigentlich fing ich mit Jeffrey ganz spielerisch an, aber
irgendwann viel später ging es nur noch um Politik, um Statements. Meine
Bands waren kompliziert, meine Wohnsituation in New York war kompliziert."
Die Bands waren unter anderem die Knoxville Girls mit Mitgliedern von Sonic
Youth, Pussy Galore und Boss Hog, oder Congo Norvell, ein morbides Duo mit
einer Sängerin, die zu verlorenen Gitarrensounds mit tiefer Stimme Balladen
intonierte.
2006 hatte er "eine Art Erleuchtung", als er nach Jahren mal wieder die
Cramps live in Los Angeles erlebte: "Lux Interior und Poison Ivy schienen
so verliebt beim Konzert - er schrie wie immer herum, turnte über die
Bühne, und sie lächelte ihn über ihre Gitarre hinweg an, nach ungefähr 30
Jahren Ehe und gemeinsamem Musikmachen. Ich dachte: Das ist hier die
eigentliche Show!" Congo erzählt, dass er auch jetzt, nach Lux Interiors
Tod, häufig Poison Ivy besucht, die in einer Art privatem
Rock-n-Roll-Museum in der Nähe von Los Angeles lebt. "Erstaunlicherweise
geht es ihr ganz gut. Als Pärchen sind die beiden privat ja ziemlich unter
sich geblieben, aber jetzt geht sie wieder unter Leute und hat ansonsten
mit der Verwaltung des Cramps-Nachlasses zu tun."
Aktuell, in Washington, hat Kid Congo mit komplizierten Bands nicht mehr so
viel am Hut: "Ich lege manchmal in irgendwelchen Clubs meine alten Singles
auf und versuche ansonsten, mich aufs Schreiben zu konzentrieren."
Ablenkung finde er in Washington kaum, nachts führen alle Regierungsbeamten
nach Hause in ihren Speckgürtel, und die Stadt werde leer. "Man muss nicht
wie in New York ständig kämpfen und sich anstrengen, um zu leben."
Mit seiner zurückhaltenden, vorsichtigen Art und dem brachial-harmonischen
Trashgitarrensound, der sich enorm von der Angeberei eines landläufigen
Sologitarristen unterscheidet, hat sich Congo über die Jahre gerettet. Ohne
an Drogen, der Liebe, der Armut oder dem Ego zugrunde zu gehen. Und ohne
seinen Namen mehr als den leidenschaftlichen Fans dieser Musik bekannt zu
machen: Mit Frontsäuen und attention suckers wie Lux Interior oder Jeffrey
Lee Pierce in einer Band zu spielen geht auch an den MitmusikerInnen nicht
spurlos vorüber.
## Schöne Entschuldigungen
Bei der aktuellen Tour mit den Pink Monkey Birds wird er mit seinem
eigenwilligen Gitarrenstil eventuell auch Gun-Club- und The-Cramps-Lieder
in Ehren halten. Und selbstredend seine eigenen, mondän getexteten
Garagenpunksongs wie "The Weather, the War" vom Album "Philosophy and
Underwear", ein charmantes Stück über das Ende einer Beziehung nach 9/11,
bei dem Entschuldigungen für den schwindenden Sexdrive herausgekramt
werden: "Its the weather, its the war, Im confused, Im a whore." Es muss
eben nicht immer alles am Alter liegen.
23 Mar 2011
## AUTOREN
Jenni Zylka
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